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Rathausturm mit Copernicus-Denkmal

Horst Ernst Krüger

Die Geschichte zweier Thorner Niederungsdörfer



THORN - Festschrift zur 750-Jahr-Feier der Stadt Thorn, S. 35ff
Horst Ernst Krüger [Hrsg.]
Hannover 1981

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[35] Man erinnere sich: Durch Verträge mit Herzog Conrad von Masowien und dem vom Papst eingesetzten Bischof Christian wurde das Culmerland, das Territorium zwischen Weichsel, Ossa- und Drewenzfluß, darüber hinaus die Gebiete, in denen die heidnischen Pruzzen siedelten, dem Deutschen Orden überlassen. Die Verschreibungen wurden vom Papst und vom Kaiser, als den höchsten kirchlichen und weltlichen Autoritäten, bestätigt. Rechtlich war das Eigentum an diesem Land dem Hochmeister des Kreuzritterordens Hermann von Salza verbrieft und besiegelt, als er den Landmeister Hermann Balk im Sommer 1231 mit sieben Rittern und einer zusammengewürfelten Mannschaft von an die 300 Lanzen auf das rechte Weichselufer übersetzen ließ. Nur die Pruzzen, die sich bisher allen Versuchen zur Christianisierung und politischen Unterwerfung erfolgreich widersetzt hatten, gaben nicht ihre Unter[36]schrift. Sie haben sich - so würde man heute sagen - weltpolitisch isoliert und erlagen in einem viele Jahrzehnte dauernden erbitterten Verteidigungskampf dem Deutschen Ritterorden. Bei seiner Staatsgründung, die sich zunächst auf das Culmerland erstreckte, unternahm er den großangelegten, bisher in der europäischen Geschichte nie unternommenen Versuch, eine auf Expansion und Machtzuwachs zielende Mönchsrepublik zu begründen. In dieser Zielsetzung unterschied er sich von den anderen Orden, die in der Ostkolonisation ebenfalls Pionierdienste geleistet haben. Die Benediktiner und die Zisterzienser beschränkten sich auf die Gründung von Klöstern, die nur begrenzte Bodenflächen an sich zogen und bewirtschafteten. Wenn im Weichbild dieser Klöster Bauern aus dem Westen angesiedelt wurden, so geschah das nie mit dem Ziel, einen weltlichen Staat zu entwickeln.

Im Hoheitsgebiet des Deutschen Ordens konnten solche Klöster auch gegründet werden, aber Grundeigentum durften sie nicht erwerben. Dies entsprach einer Vereinbarung zwischen dem Hochmeister Hermann von Salza und Kaiser Friedrich II. in Rimini. Hermann wollte den Orden nach den Erfahrungen beim Scheitern des Missionswerkes in Siebenbürgen nur dann in den entfernten Osten führen, in eine von slawischen Stämmen umgebene Landschaft, wenn er die Möglichkeit der weltlichen Herrschaft über diese Gebiete erhielt. Friedrich II. war einverstanden. Ohne diesen Vertrag zwischen dem Orden und dem Kaiser hätte es keinen Preußischen Staat gegeben. Er sicherte dem Hochmeister zu, daß alles Land, das der Deutsche Orden im Gebiet der Pruzzen erwerben würde, völlig frei sein soll von Dienstlast und Steuerpflicht und jeglicher Verantwortlichkeit gegen irgendeine politische Macht. Der Kaiser beurkundete seinem Freund Hermann von Salza und dessen Nachfolgern, daß keine Person, kein Graf, aus höherem oder niederem geistlichen und weltlichen Stande, den Orden in dieser Verleihung in irgendeiner Weise beeinträchtigen solle bei Strafe von 100 Pfund Gold.

Die Ritter des deutschen Ordens waren Mönche und mußten, wenn sie ihm beitreten wollten, Keuschheit, Gehorsam bis in den Tod und persönliche Armut geloben. Beim Aufbau ihres Staates übernahmen sie verantwortliche Funktionen in der Verwaltung, in der Landwirtschaft, im Heerwesen, in der Kirche, im Rechtswesen und in der Krankenpflege. Sie wurden nach den Ordensregeln in ihre Ämter gewählt und falls dies notwendig wurde, aus ihnen auch wieder entlassen. Das galt für den Hochmeister ebenso wie für die Landmeister, Komture, Vögte, Pfleger, Kreuzfahrer und Söldner-Hauptleute. Taten die Ritter Dienst als Priester, so unterstanden sie der Kirche, die durch den Bischof von Culm repräsentiert wurde. Der Papst hatte dem Orden sogar Patronatsrechte über die Kirche eingeräumt, an denen die örtlichen geistlichen Würdenträger vielfach Anstoß nahmen.

Ein Stab von "Berufsbeamten" aus den ersten Familien des Heiligen Römi-schen Reiches Deutscher Nation, eingeschworen auf mönchische und ritterliche Ideale, stand bisher in Europa einem weltlichen Staat nicht zur Verfügung. Er war angetreten mit Kreuz und Schwert, einen heidnischen Stamm, [37] zum Christentum zu bekehren. War dieses Werk getan, so sollte nach den Plänen des Papstes und des Kaisers, der geistlichen und der weltlichen Herrschaft des Abendlandes, das Christianisierungswerk für alle Zeiten durch den Ordensstaat abgesichert werden.

Das verbriefte Recht war also auf Seiten des Deutschen Ordens, als er nach der Besitznahme des Culmerlandes der ersten Ordensburg in Alt-Thorn 1231 viele weitere befestigte Häuser folgen ließ und in ihrem Weichbild Dörfer und Städte gründete. Dieses Werk der Kolonisierung vollzog der Hochmeister und Freund des Kaisers Hermann von Salza auf der Grundlage des Deutschen Rechts. Schon am 28. Dezember 1233 fertigte der Orden das Gesetzeswerk "Culmische Handfeste" aus, eine auf dem Magdeburger Recht beruhende Rechtssammlung, nach der zukünftig Grund und Boden verschrieben werden sollte.

Nach diesem Recht wurden die beiden culmischen Dörfer Alt-Thorn und Gurske gegründet. Die Landverschreibung erfolgte, da das Bodeneigentum beim Orden verblieb, in Erbpacht. Der Pachtzins wurde teils in Geld und teils in Naturalien entrichtet. Mit dem Landbesitz war außerdem die Kriegsdienstpflicht verbunden. Diese war jedoch auf das Culmerland beschränkt. Außerdem war in der Handfeste das Erbrecht geregelt. Nachkommen beiderlei Geschlechts waren erbberechtigt. Bei der Veräußerung eines Gutes erfolgte die Auflassung an den neuen Besitzer durch den Orden. Das setzte den Besitzverzicht des Verkäufers an den Orden voraus. Eine Zersplitterung des Besitzes war ebenso untersagt wie eine Zusammenlegung mehrerer Höfe in einer Hand.

Die Besiedelung des Landes und die Gründung von Gütern und Dörfern erfolgte durch Vergabe der entsprechenden Flächen an "Locatoren", d.h. Vermessungs- und Planungsbeamte. Diese verpflichteten sich, zur Urbarmachung und Bebauung des Landes Bauern zu werben. Für diese Kolonisationstätigkeit wurden sie als Schultheiß mit drei bis sechs zinsfreien Hufen zum eigenen Besitz in den neuentstandenen Dörfern eingesetzt. Mit der Verschreibung von größeren Gütern wurden militärische Verdienste belohnt. Im Ganzen legte der Orden mehr auf Kriegsdienst wert als auf Zins. Nach diesem Modell wurde bis zur vollständigen deutschen Besiedlung des Culmerlandes verfahren.

In Alt-Thorn hatte der Orden seine feste Stellung wegen ständiger Überschwemmungsgefahr geräumt und einige Kilometer weichselaufwärts im Jahre 1236 eine neue Burg errichtet. Ihr Standort war günstiger und von Überschwemmungen nicht bedroht. Rings um die Burg hatte sich im Laufe der nächsten Jahrzehnte die Stadt Thorn entwickelt. In Alt-Thorn verblieb ein Vorwerk des Ordens, das zur Komturei Thorn gehörte und von einem Pfleger verwaltet wurde. Das bedeutete: Hier wurde vom Orden selbst Landwirtschaft - Ackerbau und Viehzucht - betrieben. Auch eine Kirche wurde unter dem Patronat des Ordens errichtet, die nachweislich erst in den Kriegs-wirren der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zerstört worden ist. Sie hat [38] also bis zum Untergang der Herrschaft des Ordens bestanden. Der in ihr tätige Priester hatte Anspruch auf Dienst- und Naturalleistungen. Die notwendige Barschaft erhielt er, indem er sich die kirchlichen Amtshandlungen von den Gläubigen entgelten ließ. Auf einem Originalpergament mit Siegel des Hochmeisters Heinrich Dusemer von Arssberg vom 14. Oktober 1346 ist zu lesen:

Zum Gedächtnis an die vielen Ordensbrüder, die in der St. Johanniskirche ruhen, wird die Kirche zu Alt-Thorn mit den Dörfern Przysiek, (Wiesenburg), Smoln (Schmolln), Gurske und einer Wiese dotiert, die ihr bereits der Kom-tur von Thorn Johann Nothaft übereignet hatte.

Getreide und Malz lieferte die Komturei, Brenn- und Bauholz war im Wald zur freien Nutzung zur Verfügung und das Nutzvieh des Priesters sollte gemeinsam mit dem des Vorwerks und des Dorfes gehütet werden.

Von einer bäuerlichen Ansiedlung in Alt-Thorn zur Ordenszeit sind keine schriftlichen Überlieferungen vorhanden. Die Existenz eines Bauemdorfes ist auch deswegen unwahrscheinlich, weil die Weichsel noch nicht eingedeicht und das Überschwemmungsgebiet bis zu einem Höhenrücken reichte, der mehr als drei km vom rechten Ufer der Weichsel entfernt war. Höhenland, die einzige Existenzgrundlage der Bauern, gab es deswegen in Alt-Thorn nur in geringem Umfang. Gurske hatte mehr höher gelegenes, vor den jährlich sich wiederholenden Überschwemmungen nicht bedrohtes Land, auf dem hier siedelnde Bauern existieren konnten. Da in der culmischen Handfeste von 1233 schon ein Dorf Gorzk (Gurske) genannt ist, dürfte es sehr wahrscheinlich eine Pruzzen-Siedlung gewesen sein, denn in zwei Jahren, seitdem die ersten Ordensritter über die Weichsel gesetzt waren, kann ein neues Dorf mit aus dem Westen eingewanderten Bauern nicht entstanden sein. Auch von einem Schultheiß, der in den beiden Dörfern die Besiedlung leitete, ist in den historischen Quellen nichts zu finden. Die erste amtliche Urkunde datiert aus dem gleichen Jahr wie die Dotation für die Kirche in Alt-Thorn. Der Komtur von Thorn, Johann Nothaft, schlug seinem Hochmeister Heinrich Dusemer von Arssberg vor, das Dorf Gurske in einer Größe von 25 Hufen den ansässigen Bauern und ihren Nachfolgern zu ewigem Besitz zu übertragen. Dieser folgte dem Rat des Komturs; damit erhielten sie Rechte und Pflichten cölmischer Bauern, die ihre Zinsen unmittelbar dem Komtur in Thorn zu zahlen hatten. Der Zins in Höhe von 8 Skoter und 2 Hühnern pro Hufe mußte jährlich zu Martini an die Komturei gezahlt werden. Den Zehnten mußten die Bauern außerdem der Kirche in Alt-Thorn entrichten. Außerdem wurden sie der Burg mit Vorwerk in Alt-Thorn gegenüber dienstpflichtig, indem sie auf den vom Orden bewirtschafteten Flächen die Heu- und die Haferernte durchzuführen hatten.

Alt-Thorn und Gurske haben sich, solange der Orden die Landeshoheit innehatte, dennoch nicht zu Dorfgemeinschaften entwickelt, die dem Modell der Culmer Handfeste entsprachen. Burg, Vorwerk und Kirche von Alt-Thorn [39] waren eine schwere Belastung für die Bauern, die zur Ordenszeit nur sandige, das zweifache oder höchstens dreifache der Aussaat bringende Böden bewirtschafteten. Sie unterstanden in der Verwaltung der Dorfangelegenheiten und in der Gerichtsbarkeit dem Komtur von Thorn, der auch über die Einhaltung der Vorschriften des nach Culmischem Recht verliehenen Grundbesitzes wachte. Die Ordensverwaltung war gerecht, aber kleinlich und äußerst korrekt bis zur Abrech-nung des letzten Skoter. Der Komtur von Thorn verlieh am 11. Februar 1368 dem Kretzmer Peter in Gurske 13 Morgen Acker und Wiese gegen einen zu Martini zu entrichtenden Jahreszins von 48 Skoter, wobei dem Gastwirt drei Freijahre zugestanden wurden. Es war nicht ganz billig, Kleinbauer und Gastwirt in Gurske zu werden, denn jährlich 48 Skoter Zins aufzubringen war so viel wie zwei Mark des damaligen Geldes. Ein gutes Pferd hatte einen Wert von drei Mark. Dabei wurden die Zinsen für Bauern und Gastwirte nach der verlorenen Schlacht von Tannenberg noch kräftig erhöht. Für das in Gurske zur Verfügung stehende Land minderer Qualität konnten bei diesen Belastungen nicht genügend Bauern gefunden werden, die zur Übernahme der damals verwaist gewesenen Hufen zu bewegen gewesen wären. Im Jahre 1437 waren deshalb von 31 Hufen 9 wüst. Mit anderen Worten: Bei zwei Hufen je Bauernwirtschaft waren somit 11 Bauern in Gurske zum Ende der Ordensherrschaft vorhanden.

Im Jahre 1432 sind Teile der Burg und des Vorwerks in Alt-Thorn von den Polen zerstört worden. Den Kriegswirren der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts sind dann die Burg, das Vorwerk und die Johanniskirche schließlich völlig zum Opfer gefallen. Die Schlußbilanz der Ordenszeit war also katastrophal. Unsere beiden Dörfer Gurske und Alt-Thorn waren so wenig ertragreich für den polnischen König Kasimir IV, der am 27. Mai 1454 in Thorn festlich empfangen worden war, daß er schon drei Jahre danach dem Wunsch des Thorner Stadtrates entsprach, Gurske diesem zu übergeben. Neben anderen Dörfern, Höfen, Weingärten und Mühlen übereignete der König an die Stadt auch das Gut Wiesenburg und das Niederungsdorf Scharnau erblich und ewiglich zu Cölmischem Rechte zu besitzen, zu gebrauchen, zu genießen und in ihren Nutzen zu wenden, nachdem es derselben Unser Stadt Thorn am besten dünken wird und damit zu thun und zu lassen; auch um Vermeydung willen mancherley Gewalt und Brechung der Privilegien, die da möchten von Unsirn Nachkommlingen oder Verwaltern geschehen. Für die Entwicklung von Gurske war das Ende der Ordenszeit eine glückliche Fügung. Denn jetzt, unter der Oberhoheit einer reichen Hansestadt, die damals im Rang Danzig übertraf, deren Patrizierfamilien ihre Einkünfte als Kaufleute und Reeder bezogen und nicht wie der verarmte, verschuldete Orden dem letzten Bauern den Pachtzins abjagen mußten, gab es neue, bis dahin nicht gekannte Möglichkeiten für die Entwicklung des Dorfes.

In Alt-Thorn waren die Rechtsverhältnisse schwieriger, da das Dorf als Or[40]densbesitzung zu einem Staatsgut des polnischen Königs erklärt wurde. Zusammen mit anderen Gütern verpfändete dieser Alt-Thorn an die Thorner Bürger Gottschalk und Katharina vom Wege, die sie jedoch nach einem Rechtsstreit mit der Stadt Thorn wieder abtreten mußten. Dadurch gelangte das Gut in den Pfandbesitz der Stadt Thorn, bis es schließlich durch Urkunde des Königs Sigismund I. vom 11. Dezember 1514 der Stadt unter der Bedingung, die katholische Kirche wieder zu errichten, geschenkt worden ist. Die Auflage ist später stillschweigend unter den Tisch gefallen.

Die kleine Episode der Katharina vom Wege ist insofern von Bedeutung, als die reichen Patrizierfamilien aus Thorn sich anschickten, Grundeigentum des verfallenden Ordensstaates zu erwerben. Man erinnere sich an den Bürgermeister Tidemann vom Wege, der gegen die Ordensherrschaft konspiriert hatte, Mitinitiator des "Preußischen Bundes" war und mit allen Mitteln für Thorn einen Status zu erreichen suchte, der sich mit einer freien Reichsstadt messen konnte. Der Preis, den er am 27. Mai 1454 dem polnischen König Kasimir IV. zahlen mußte, als er diesem auf dem Altstädtischen Markt einen Thron errichtet hatte, erschien ihm nicht zu hoch. Die Rechnung ging für die einflußreichen Patrizierfamilien nur zum Teil auf. Zu Grundherren konnten sie sich nicht aufschwingen. Obereigentum am Boden behielt sich der polnische König selbst vor und verlieh ihn nach eigenem Gutdünken den sich ihm verdient gemachten Grundherren. Der Ausbruch aus der mittelalterlichen Bodenrechtsordnung gelang den einflußreichen Familien also nicht. Alt-Thorn und Gurske wurden später vom König von Polen dem Obereigentum der Stadt Thorn unterstellt. Unter Anno 1515 schreibt Zernecke:

Auf dem Reichstag zu Krakau haben I. Königliche Majestät der Stadt allergnädigst das Landgut Alt-Thorn verehret, davon die Privilegia annoch vorhanden und darinnen unter andern diese Worte zu lesen.

Es folgt bei Zernecke die Verleihungsurkunde des Königs Sigismund I. in lateinischer Sprache. Es führt in ein dorniges Gestrüpp, wollte man Motive des "Preußischen Bundes", dem auch der Stadtrat von Thorn angehörte, nach nationalen, wirtschaftlichen und moralischen Gesichtspunkten entwirren. Die Geschichte hat dem Thorner Stadtrat und nicht dem Deutschen Ritterorden Recht gegeben. In unseren Dörfern hat der Stadtrat nach Buchstaben und Geist das durchgeführt, was der Orden wollte, aber erst dann, als er ihn mit konspira-tiven politischen und militärischen Mitteln ausgeschaltet hatte.

Man kann das Handeln des Bürgermeisters Tidemann vom Wege verschieden beurteilen, nach den Motiven oder nach dem Erfolg. Thorn war zu dieser Zeit eine aufstrebende Stadt. Als bedeutendste der preußischen Städte und wichtiges Mitglied der Hanse unterhielt sie Handelsverbindungen nach Polen, Danzig, Dänemark, Holland und England. Sie hatte das Stapelrecht für alle auf der Weichsel verschifften Waren, das sie eifersüchtig als Quelle ihres Reich-tums hütete. Der Bürgermeister von Thorn hatte in dieser Hinsicht Erfolg.

[41]Nur das zählt in der Politik. Es hat durch seine kluge Politik die wirtschaft-lichen Voraussetzungen für die Zuwanderung deutscher Hansekaufleute aus dem Westen geschaffen. Zernecke berichtet unter Anno 1470: In diesem Jahre ist Heinrich Kriger, dieses Namens der erstere anhero nach Thorn kommen, und sehr berühmt geworden. Er starb Anno 1504 als 22jähriger Bürgermeister und 16jähriger Rathmann. Dies ist der aus Köln stammende Ahnherr des später in Gurske und Alt-Thorn ansässig gewordenen Bauerngeschlechtes Krüger.

In unseren beiden Niederungsdörfern Gurske und Alt-Thorn wurde unter der klugen Führung des Stadtrates kräftig Hand angelegt. Er faßte nach einer großen Weichselüberschwemmung am 23. Juni 1586 den weitsichtigen Beschluß, einen Damm von der Wiesenburger Grenze über Alt-Thorn zunächst bis nach Gurske bauen zu lassen. In der Thorner Chronik von Zernecke ist vermerkt: Der Tham zu Alt-Thorn von der Przysieker Gräntze bis an die Gegend, wo jetzt die Gursker Kirche steht, ward heur zu schütten angefangen. Die Stadt lieferte Baumaterial und stellte die notwendigen Handwerker. Im Schutze dieses Dammes wurden in Alt-Thorn etwa 20 Hufen und in Gurske 40 Hufen Niederungsland ackerfähig, wodurch für die vorhandenen Höfe die Existenzgrundlage verbessert und 24 neue Höfe, die ohne Ausnahme deutschen Bauern übergeben wurden, entstehen konnten. Das höher gelegene, von den Überschwemmungen nicht bedrohte Land war leichter Sandboden, der im Vergleich zu den neukultivierten Niederungsflächen dem Stadtsäckel je Hufe nur den halben Zins einbrachte. Wie leicht der Sandbo-den war, bekam einmal ein durchreisender polnischer König zu spüren, als er mit seiner Kutsche in dem mahlenden Sand stecken blieb. Er stieg aus und seufzte: Zalsie boze - Erbarm Dich Gott -. Worauf dieser Ort am nördlichen Rande der Gursker Gemarkung den "eingedeutschten" Namen Zalziebosche erhielt.

Vor Änderungen in den Eigentumsrechten und nachteiligen wirtschaftlichen Abhängigkeiten, in die die Belehnungen preußischer und immer zahlreicher werdender polnischer Grundherren durch die Krone im 15. und 16. Jahrhundert führte, blieben die deutschen Bauern in den zur Stadt Thorn gehörenden Bauerndörfern verschont. Sie können nach geographischen Gesichtspunkten in drei Gruppen eingeteilt werden: Gremboczin, Rogowo und Rogowko im Norden, Alt-Thorn und Gurske im Westen und noch weiter in der Niederung stromabwärts, Pensau, Bösendorf und Scharnau. Die Beziehungen dieser drei Dörfergruppen zur Stadt, die sich das Obereigentum am Boden und die Gerichtsbarkeit vorbehalten hatte, wurden ebenso wie beim Orden durch je eine Culmer Handfeste geregelt. Auf ausdrücklichen Wunsch der Bauern erhielten die Dörfergruppen darüber hinaus je eine "Willkür" 5 in der die innere Ordnung der Dorfgemeinschaften festgelegt ist. Vom sonntäglichen Kirchgang, den Rechten und Pflichten des Dorfschultheiße und der Schöffen, wozu auch die untere Rechtspflege gehörte, über die Termine, an denen die Grenzen und Zäune besichtigt und notfalls zurechtgerückt werden mußten, den Verkauf der Erzeugnisse auf dem Thorner Markt, den Bierausschank, die Holzentnahme, die Fischerei, den Vogelfang, die [42] Wolfsjagd, bis hin zum Verhalten in Kriegszeiten und bei Ausbruch der Pest war in der Willkür alles geregelt. Sich in das Studium der Handfeste und der Willkür zu versenken, die für Alt-Thorn und Gurske eher "Freibrief" genannt werden müßte, ist für den an der mittelalterlichen Rechtsgestaltung Interessierten sehr aufschlußreich.

Die "Handfeste" war ein Erbpachtvertrag, durch den der Bauer sein Ackerstück langfristig gegen Jahreszins übertragen bekam. Sie wurde in Abständen von 30 Jahren mehrmals mit nur kleinen Änderungen verlängert, bis schließlich die königlich-preußische Regierung im Anfang des 19. Jahrhunderts sie anerkannte und auf ihrer Grundlage den heutigen, auf liberalem Gedankengut basierenden Bauernstand schuf. Die "Willkür" muß man sich mehr als eine Zunftordnung der mittelalterlichen städtischen Gewerke vorstellen. Sie regelt anders als die sich im 19. Jahrhundert entwickelnde, auf dem Prinzip von Angebot und Nachfrage sich gründende liberale Marktordnung die wirtschaftlichen Beziehungen der Bauern untereinander aus christlich ein Glauben heraus. Übrigens galt dies für, Stadt und Land in gleicher Weise. In einer Zunfturkunde der Stadt Thorn aus dem Jahre 1523 wird in klassischer Weise das Prinzip offenbar, das auch Grundstein der bäuerlichen Wilkür war: Kein Handwerksmann soll etwas neues erdenken oder erfinden und gebrauchen, sondern jeder soll aus bürgerlicher Liebe seinem Nächsten folgen. Bis zu welchen Einzelheiten der Thorner Rat den wirtschaftlichen Alltag in den Dörfern reglementierte zeigen zwei weitere Urkunden: In einer Bekanntmachung des Stadtrates vom 2. Juli 1543 wird die Mahl- und Schankerlaubnis für die Bauern der Niederungsdörfer geregelt. Hier heißt es wörtlich: Niemandt von den baurn in der Stadt dörfer wohnende soll in Irck keine andere Mühle denn der Stadt gehörig fahren zu mahlen. Auch soll kein fremdes bier, weder Bromberg noch anders in der Stadt dörfer noch bey den Scholtzen, noch anderen hausern hinfort geschencket werden, bey des biers Verlust; besonder sind am bier, so in der Stadt gebrauen wird, begnügen lassen.

In einem Ratsprotokoll aus dem Jahre 1547 zum Thema der Nichteinhaltung der Holznutzungsverordnung in Gurske beklagte sich der Stadtrat: Die baurn in Gurschke sind Schuldigere und nicht fromme Leute, weil sie hart holtz nemlich Eichen Fällen. Zahlen von einer huben jährlich an Erb. raht 1,5 Mark. Trotzdem: Die Bauern aus den Niederungsdörfern hätten schon weit Ausschau halten müssen "ehe sie Existenzbedingungen gefunden hätten, die denjenigen entsprachen, die ihnen der großzügige Thorner Stadtrat bot." Im weiten Rund des Abendlandes galt zu jener Zeit der Grundsatz, daß es sich unter dem Bischofsstab besser wohnen lasse als unter dem Fürstenhut. Die weltlichen Grundherren hatten die alten frühmittelalterlichen bäuerlichen Freiheiten überall weitgehend eingeschränkt und ihre Untertanen zu Leibeigenen gemacht. Der Rat der wohlhabenden Hansestadt jedoch, dieser kleine Clan hanseatischer Patrizierfamilien, hat nicht nur die Rechts[43]verhältnisse des Deutschen Ritterordens übernommen, sondern war darüber hinaus Willens und in der Lage, die Existenzbedingungen seiner Bauern mit den ihm gegebenen Möglichkeiten zu verbessern. Sie waren, wie am Beispiel der Katharina vom Wege bereits erwähnt, mit den Thorner Patrizierfamilien verwandtschaftlich verbunden. Ein Nachkomme des Heinrich Kriger, des langjährigen Bürgermeisters von Thorn, war Hans Krüger, Bauer in Alt-Thorn und Kirchvater der 1614 gegründeten evangelischen Kirchengemeinde in Gurske.

Die Schreibweise des u-Umlautes wechselte in jener Zeit zwischen i, ü und y. Das K wurde in den zeitgenössischen Urkunden oft mit einem C geschrieben.

Unter Anno 1613 vermerkt Zernecke: Im Sommer ist die Gursker Kirche, dessen Grund im vorigen Jahre Simon Esken, Raths-Aeltester, als Halter geleget, völlig ausgefertiget. Anno 1614: Den 25 Mertz am Mariä Verkündigungs-Tage ist die neue Kirche zu Gurske also eingerichtet: Die erste Predigt daselbst that Johann Korbach in Deutscher, darauff die Amts-Predigt D. Johannes Turnovius in Polnischer Sprache, nach dessen Vollziehung sich eine ziemliche Anzahl Communicanten eingefunden: Nachmittage zur Vesper hat sich Paulus Paliurus, Prediger von Gremboczyn, hören lassen. Diesen Ceremonien haben viele Bürger aus der Stadt, auch einige aus dem Rath, als Ignatius Schultz, Egidius Lichtfuß und Daniel Esken, beygewohnet: Wobey zu mercken, daß Simon Esken, dieser Kirchen Fundator, bald darauf, nemlich den 14 Julii, dieses Zeitliche gesegnet hat.

Den 7 April ward Simon Kayser, oder Caesar, erster ordinarius Pastor Gurscensis, von E.E. Rath in solche Kirche eingewiesen, welchem 200 Marck versprochen, und 20 RthIr. zur Zehrung verehret worden: laut dem Gursker Kirchen-Buch hat er daselbst am Pfingst-Tage sein Ampt angetreten, hat Ao. 1622 den 18 Martii, nemlich am Palm-Sonntage, die Welt verlassen, und ist den 21 Mart. daselbst vorm Altar begraben worden.

Hier war Hans Krüger († 1648) langjähriger Kirchenältester. Vom Jahre 1613 an wurden die Kirchenbücher bis 1945 lückenlos geführt. Sie ent-halten sämtliche Nachkommen von Hans Krüger bis zur Flucht mit Vermerken über die wesentlichsten standesamtlichen Daten.

Die großen historischen Vorgänge, die zur Schwächung des polnischen Wahlkönigtums und seiner außenpolitischen Ohnmacht im 18. Jahrhundert führten, sind bekannt. Bei der ersten Teilung Polens 1772 fielen die Niederungsdörfer Alt-Thorn und Gurske ebenso wie alle anderen städtischen Güter, Dörfer und Forsten an Preußen, während die Stadt Thorn bis zur zweiten Teilung noch im polni-schen Staatsverband verblieb. Bei der preußischen Landesaufnahme 1773 hatte Alt-Thorn 19,6 Hufen und 9 deutsche Bauern, die ihre Höfe in Erbpacht besaßen, einen Handwerker und drei Einlieger. Gurske hatte 49 Hufen, 33 deutsche Bauern, einen Dorfschulzen, einen Gastwirt, einen Pfarrer, einen Lehrer, zu deren Amtsbezirken auch Alt-Thorn gehörte. Sämtliche Einwohner waren evangelisch und deut-scher Nationalität.

[44] Das Jahr 1786 hat sich in die Erinnerung der Niederungsbauern tief eingeprägt. Bei einer Weichselüberschwemmung brach der Damm an zwei Stellen. Die Gewalt des in die Niederung einströmenden Wassers war so groß, daß in Alt-Thorn und in Gurske, unweit der neuen evangelischen Kirche, die Erdmassen bis zu einer Tiefe von 18 m ausgespült wurden. An den Bruchstellen auf der dem Strom abgewandten Seite des Deiches verblieben riesigen Erdausspülungen wurden im Volksmund "Ausbruch" genannt. Diese Ausbrüche sind bis heute landschaftlich reizvolle kleine Seen. Die Folgen der Verwüstung, die das Hochwasser hinterließ, waren für die Bauern noch lange Zeit spürbar. In Alt-Thorn und in Gurske sind größere Ackerflächen versandet zurückgeblieben. Einem Bittgesuch der Bauern vom 23. August 1790 an den Stadtrat verdanken wir eine vollständige Namensaufstellung der beiden Bauernschaften mit der Größe der einzelnen Höfe.

Wir machen einen großen Sprung über die preußische Zeit hinweg. Sie brachte unseren beiden Dörfern unter dem Strich einen gesellschaftlichen Fortschritt: Die Abschaffung des aus dem Mittelalter überkommenen Pachtsystems. Damit wurden die bäuerlichen Betriebe zu selbständigen Unternehmungen, die alle in Privateigentum übergingen. Sie wurden gleichzeitig eingebunden, in eine Marktordnung, die sich in dem modern verwalteten liberalen Rechtsstaat gut und stetig entwickelte. Mit der Regulierung der bäuerlichen und gutsherrlichen Verhältnisse im Zuge der preußischen Agrarreform 1806/07 wurden in Alt-Thorn und Gurske sämtliche Besitzungen parzellenweise verselbständigt und privatisiert.

Unterbrochen wurde diese von Friedrich dem Großen bis zum Ende des Ersten Weltkrieges dauernde ruhige Entwicklung durch den großen Napoleonischen Krieg. Unsere Dörfer gehörten zum Aufmarschgebiet für Napoleons Rußland-Feldzug im Jahre 1812. Sie mußten der großen Armee Pferde, Futter und Nahrungsmittel liefern, Zahlungen leisten und Einquartierungen erdulden, bis sie vollständig ausgeplündert waren. Außer französischen und preußischen Regimentern sind auch polnische Schwadrone des Generals Dabrowski durchgezogen. Sie nahmen, wie Soldaten es in allen Zeiten getan haben, was nicht niet- und nagelfest war. Es ergab keinen Unterschied, ob die Requirierungsbefehle in französischer, deutscher oder polnischer Sprache ausgestellt waren. Zu allem Übel brachte im Rückzugsjahr der großen Armee aus Rußland eine Überschwemmung der Weichsel die Niederungsbauern zur völligen Verzweiflung. Kaum hatte das Wasser sich verzogen, gab es neue Einquartierungen. Diesmal waren die ungebetenen Gäste nachsetzende russische Soldaten. Sie nahmen, was sie benötigten, und gaben Quittungen in russischer Sprache. Die Niederungsdörfer hatten in diesem Unglücksjahr 1812/13 zum ersten Mal in ihrer Geschichte durchziehendes russisches Militär erlebt. Nicht hiervon soll berichtet werden und auch nicht über die folgenden 100 Jahre langsamer, aber ständiger Entwicklung der Landwirtschaftsbetriebe von der mittelalterlichen Drei-Felder-Wirtschaft zum ertragreicheren Fruchtwechsel mit neu eingeführtem Kartoffel- und Zuckerrübenbau und der durch züchterische Leistung und verbesserte Futtergrundlage leistungsfähiger werdenden Rindviehhaltung.

[45] Viele Höfe haben in dem merkantiler gewordenen 19. Jahrhundert die Besitzerfamilie gewechselt. Bis auf - zwei Fälle waren es Deutsche, die den frei gewordenen Hof übernahmen. Auf dem Gursker sogenannten "Hedberg" - vermutlich die niederdeutsche Bezeichnung für Heidberg - haben kurz vor dem ersten Weltkrieg zwei polnische Bauern Höfe gekauft und bis 1939 bewirtschaftet: Karczewski und Pietroszewski.

Viele Betriebe wurden vergrößert; aber weniger durch Pachtung als durch Zukauf. Johann Zittlau, dessen Hof in Alt-Thorn. bei der friederizianischen Landaufnahme im Jahre 1773 die Größe von 36 ha hatte, wurde bis 1919 von vier Generationen bewirtschaftet. In der dritten Generation war kein männlicher Hoferbe. Die Tochter Hermine Zittlau heiratete den Bauern Adolf Heinrich Krüger (1857-1914), ein Nachkomme der vorhin erwähnten Heinrich Kriger und Hans Krüger (†1648). Er hat im Jahre 1906 den Nachbarhof von Gustav Huhse zum Preis von 60.000 Goldmark auf eine Eigentumsfläche von 74 ha gebracht, die bis 1945 unverändert blieb. Der Betrieb wurde später durch eine geringfügige Parzellenpacht im Außendeich vergrößert. Adolf Krüger war preußischer Deichhauptmann und Mitglied der Landwirtschaftskammer für die Provinz Westpreußen in Danzig.

Es kam auch schon einmal vor, daß beim Würfeln in der Gastwirtschaft in Gurske, wenn das Bargeld verloren war, ein Ackerstück aufs Spiel gesetzt und verloren wurde. Das war jedoch die Ausnahme, denn es herrschte das Streben nach Vermehrung des Vermögens. Bauern sind immer landhungrig, auch in unseren beiden Niederungsdörfern. Deshalb hat sich die Zahl der Hofbesitzer im Vergleich zum Stand bei der Landaufnahme im Jahre 1773 im Laufe des 19. Jahrhunderts langsam verringert. Pächter gab es aber unter den Bauern nicht.


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letzte Aktualisierung: 13.03.2004