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Max Bär: Die Behördenverfassung in Westpreussen seit der Ordenszeit.  


Die Behördenverfassung
in Westpreußen seit der
Ordenszeit


Von
Max Bär

1912

Diese Seite ist ein Dokument mit einem Kapitel Text II. Westpreußen unter polnischer Herrschaft.
7. Die Städte
D. Thorn.
 

Die Zahl in blauer eckiger Klammer [23] bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang im Original.


[74]Thorn ist neben Kulm die älteste Stadt des Landes. Mit ihr zusammen erhielt sie in den letzten Tagen des Jahres 1233 das seitdem für das ganze Land maßgeblich gewordene Grundgesetz, die sogenannte Kulmer Handfeste. Schon ein Menschenalter später erfuhr die neben ihr erwachsene Neustadt Thorn eine gesetzliche Regelung ihrer städtischen Einrichtung. Das Jahr des Abfalls vom Orden und der Annahme der Schutzherrschaft des Königs von Polen, 1454, vereinigte beide Städte, nachdem sich der neustädtische Rat der Altstadt unterworfen hatte.

Die Verfassung von Thorn glich im allgemeinen der von Danzig. Rat und Gericht entwickelten sich als die für das Stadtregiment maßgebenden Körperschaften. Anfangs war der Schultheiß (scultetus) der Leiter des Gemeinwesens. Nach Ausbildung der beiden Körperschaften des Rates und des Gerichtes stand an der Spitze jenes der Bürgermeister, während der Vorsitzer des Schöppenstuhls Schultheiß, dann Richter hieß. Der Rat bestand zur Ordenszeit schließlich aus zwölf Personen, und neben dem einen regierenden erschienen noch drei weitere Bürgermeister und neben dem Rat ein Kollegium der Ältesten Herren, den bei den jährlichen Wahlen nicht wieder gekürten Ratsherren, zu denen beim jährlichen Wechsel des Vorsitzes auch die Bürgermeister übertraten. Das Gericht der Altstadt bestand aus zwölf Schöffen, der Schöffenstuhl der inzwischen entstandenen Vorstadt aus acht Personen, an dessen Spitze der aus der Mitte des Rates erwählte Vogt stand.

[75]Die Verfassung der Neustadt Thorn wich von der der Altstadt ab. Rat, und Gericht hatte auch sie. aber der Rat war beschränkt. Der Ordenskomtur wohnte seinen Versammlungen bei und führte den Vorsitz. Und andererseits stand schon früh der Gemeinde durch die Vertretung des Kollegiums der Zwölfer eine gesetzliche Teilnahme an der Regierung der Stadt zu.

Als die Neustadt 1454 mit der Altstadt vereinigt war, führte der Rat der letzteren allein die Verwaltung der Stadt. Die Teilnahme des wie in Danzig aus der Mitte des Rates nach Präsentation vom König ernannten Königlichen Burggrafen war nicht von wesentlicher Bedeutung. Einige Mitglieder aus der Neustadt haben wohl schon von der Vereinigung an zum Rate gehört. Die gesonderten Gerichte blieben bestehen. Eine Teilnahme der Gemeinde an der städtischen Verwaltung fand nicht statt. Nur nach Gutdünken zog der Rat Vertreter von ihr. wie zur Zeit des großen Krieges, zu den öffentlichen Angelegenheiten hinzu. Aber gleichzeitig mit den Danziger Ereignissen begann auch in Thorn die Gemeinde einen verfassungsmäßigen Anteil an der Regierung der Stadt zu erstreben. Es bedurfte nur eines Führers, daß der Streit zwischen der Gemeinde und dem selbstherrlichen Rat zum offenen Ausbruche kam. Ihm folgte, wie in Danzig, ein Entscheid des königlichen Schutzherrn. Das Jahr 1523 brachte die Reformatio des Königs Sigismund I., die bis zum Anfalle der Stadt an Preußen und neben ihr die gelegentlich neuer städtischer Zwistigkeiten von Kommissaren des Königs erlassene Konkordienformel des Jahres 1553 die Grundgesetze der städtischen Verfassung wurden.

Durch diese Reformatio wurden drei Ordnungen eingerichtet:

  1. der Rat unter Vorsitz des regierenden Bürgermeisters,
  2. die Mitglieder des alt- und neustädtischen Gerichtes unter Vorsitz des altstädtischen Schöppenmeisters,
  3. die Mitglieder des vorstädtischen Gerichtes und ein Ausschuß aus der Gemeinde unter Vorsitz eines aus ihrer Mitte vom Rate gewählten Sprechers, des sogenannten Redners.

Der Rat bestand aus 16 nunmehr auf Lebenszeit erwählten Personen, vier Bürgermeistern, acht alt- und vier neustädtischen Ratmännern, unter ihnen die vom Rate aus seinen Mitgliedern ernannten drei Richter von Alt-, Neu- und Vorstadt. Von dem Rat aus seiner Mitte präsentiert wurde auch der vom Könige ernannte Königliche Burggraf, der ehrenhalber nur als solcher die erste Stelle einnahm, während an der Spitze der regierende oder präsidierende Bürgermeister stand. Der Rat war die oberste Verwaltungs-, Polizei- und Gerichts[76]behörde. Seiner alleinigen Tätigkeit blieben außerdem besonders vorbehalten die Verleihung des Bürgerrechts, die Verwaltung des Vermögens der Unmündigen und der milden Stiftungen, die Ausübung des Patronatsrechtes über Kirchen und Schulen, die Wahl und Ernennung der Ratsmitglieder, der Mitglieder der beiden anderen Ordnungen und der städtischen Beamten, der Kriminalprozesse und die Konsistorial-, Ehe- und Injuriensachen. In peinlichen Sachen gab es keine Berufung. Bei ihrem Entscheide wirkte der Königliche Burggraf mit. Bei der Publikation der Urteile führte er den Vorsitz. Ihre Vollstreckung blieb den Gerichten überlassen. In allen bürgerlichen Rechtssachen aller Gerichte war der Rat die Berufungsbehörde. Seine Mitglieder waren die Vorsitzenden der städtischen Verwaltungsausschüsse mit Ausnahme der zur Prüfung der Stadtrechnungen angeordneten Zehnerdeputation. Die Verwaltung einiger seiner Geschäftszweige übertrug der Rat besonderen, aus seiner Mitte gebildeten Ausschüssen, so einem solchen das Kirchen- und Schulwesen, und dem Pupillenamt, das zugleich Quartier- und Polizeiamt war, die Pupillensachen, die Einquartierungsangelegenheiten, die Bürgerwachen, die öffentlichen Brunnen und das Feuerlöschwesen und die Gesundheitspolizei.

Das aus einem Bürgermeister und sieben Ratsherren bestehende Pupillen- und Quartieramt war zugleich ein kombiniertes Gericht, das in Streitsachen entschied, welche wegen Bauten und Servituten entstanden, und in Streitigkeiten, in denen Unmündige in Anspruch genommen wurden. Die einzelnen Bürgermeister und einige Ratsherren standen auch der Verwaltung der einzelnen Dörfer als sogenannte Halter oder Pflegeherren vor. Auf den Dörfern des Territoriums wurden geringe Sachen von den Schulzen entschieden, größere von den Pflegeherren, wichtige an den Rat gewiesen. Der Burggraf hatte die Aufsicht über die Juden und eine beschränkte Gerichtsbarkeit in Realinjuriensachen und bei Störungen der öffentlichen Ruhe und Sicherheit, aber nur bis zum Zapfenstreich. Soweit sie später begangen, gehörten sie vor den Präsidenten, der auch über wörtliche Beleidigungen, kleine Diebstähle, Schwängerungssachen und geringfügige Streitigkeiten urteilte.

Die Gerichte der Alt- und Neustadt, zusammen 24 Personen, bildeten die zweite Ordnung der Stadtregierung. An ihrer Spitze, auch an der des vorstädtischen Gerichtes, standen die Schöppenmeister. Den Vorsitz führten die vom Rate aus seiner Mitte erwählten Richter, die aber keine Stimme hatten, jedoch eine erste Instanz in kleinen Streitsachen besaßen. Die öffentlichen Gerichtssitzungen wurden als die [77] Bürgerdinge und Beidinge unterschieden; jene für Parteien, die beide Bürger waren, diese für eilige Sachen und für solche, bei denen keine oder nur eine der Parteien zum Bürgerstande gehörte. Daß die Berufungen an den Rat gingen, ist oben schon erwähnt, gegen ihn konnte an den König (das Assessorialgericht) Berufung eingelegt werden1).

Die dritte Ordnung bestand zunächst aus 20, seit 1565 aus 50, seit 1601 aus im ganzen 60 Personen, danach als Haus der Gemeinde oder die Sechziger bezeichnet. Die vorstädtischen Schoppen, früher acht, dann neun bis zwölf an der Zahl, waren geborene Mitglieder, im übrigen traten Kaufleute und Handwerker hinzu. Sie wurden vom Rat auf ein Jahr gewählt. Die Ordnung war in drei Abteilungen, welche Sorten genannt wurden, gegliedert.

Die drei Ordnungen verhandelten und beschlossen nur unter sich. Gemeinsame Vollversammlungen und Beratungen fanden nicht statt. Nur in besonders wichtigen Angelegenheiten wurden sie abgehalten. Die gegenseitigen Mitteilungen, die Communicationes ordinum, erfolgten durch Zusammenkunft ihrer Deputierten, von seifen der zweiten Ordnung des altstädtischen Schöppenmeisters, von seiten der dritten Ordnung des Redners, und vom Rat erschien der präsidierende Bürger- meister mit dem ältesten Stadtsekretär.

Für diejenigen Zweige der Verwaltung, an denen alle drei Ordnungen beteiligt waren, bestanden Ausschüsse unter der Benennung von Deputationen, in denen der Rat durch seine Vertreter den Vorsitz führte. Solche Deputationen waren folgende: Die Deputationen der Wachgelder, des Wallbaues, der Münze, des Weichselbrückenbaues2), der Generalkontribution, der Krön- und Kopfsteuer, der Hilfsgelder, die Brauhaus- und Branntweinhaltungsdeputation, die Kämmerei3), die Deputation des Spinn- und Spendhauses, des Armenwesens, der Manufakturen, der Straßenreinigung, der Untersuchung zur Regulierung des städtischen Schuldenwesens, die Grenzdeputation, die Zehnerdeputation zur Prüfung der Stadtrechnungen, bei welcher allein der Rat nicht vertreten war, und endlich das Wettgericht. Es bestand aus einem Ratmitglied als Wettherrn und acht Mitgliedern der beiden anderen Ordnungen. Die Zuständigkeit dieses Gerichtes erstreckte sichauf gewisse Polizeisachen, namentlich auf die Lebensmitteltaxe, Maß und Gewicht und auf Handels- und Handwerksvergehen.

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  • Seite 77:[Wenn Sie die Fußnoten-Nummer anklicken, führt Sie dies zurück zu Ihrem Ausgangspunkt.]

  • 1)  Vgl. oben S. 76.
    2)  Von ihr wurde auch die Brückenkaaae verwaltet.
    3)  Zu ihr gehörten die Kämmereikasse, die Zulage- oder Akzise- und die Pupillen- depositenkasse.
 
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© 2000  Volker J. Krüger, heim@thorn-wpr.de
letzte Aktualisierung: 01.11.2007