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Rathausturm mit Copernicus-Denkmal

Dr. Reinhold Heuer




Mitteilungen des Coppernicus-Vereins für Wissenschaft und Kunst, Heft 42, 1934, S. 122-155



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Die Holländerdörfer in der Weichselniederung um Thorn

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Im 17. und 18. Jahrhundert werden alle Bauern der Niederungsdörfer zu beiden Seiten der Weichsel um Thorn herum - und nicht nur hier - "Holländer", ihre Dörfer "Holländerdörfer" genannt.

Welchen Sinn hat diese Bezeichnung? Sehen wir zunächst ab von der Herkunft der "Holländer", über die weiterhin zu handeln sein wird, so bezeichnet der Ausdruck "Holländerdorf" lediglich eine seit Mitte des 16. Jahrhunderts im Weichsellande nach gewissen, neuen Grundsätzen in Bebauung genommene und verwaltete Ansiedlung. Deren Charakter ist am besten zu erfassen durch einen Vergleich mit der Eigenart der bis dahin gegründeten sog. Erbschulzendörfer1). Diese letzteren wurden im Beginn der mittelalterlichen Siedlung in Polen wie im Deutschordenslande in der Art angelegt, daß ein Unternehmer, etwa ein kapitalkräftiger Kaufmann, Lokator genannt, in Deutschland die Werbetrommel rührte, Auswanderungslustige zusammenbrachte, sie nach der neuen Heimat hier im Osten geleitete, ihnen ihre Ackerstellen anwies und von ihnen den jährlichen Zins für ihre ihnen erb- und eigentümlich gegebenen Grundstücke (Erbzinsrecht) für den Grundherrn einzog und an diesen abführte. Dafür erhielt er vom Grundherrn einen in der Anfangszeit erheblichen, später, als die Leistung und Verantwortlichkeit sich verminderte, als man nicht nach Altdeutschland zu gehen brauchte, um Ansiedlungswillige anzuwerben, sondern solche in naher Umgebung finden konnte, einen bescheideneren Teil der Dorfflur als erb- und eigentümlichen, zinsfreien Besitz zugewiesen, meist auch noch andere Vorrechte, und ferner die e r b l i c h e  Ausstattung mit dem Schulzenamt im Dorfe und damit ein Drittel sämtlicher Gerichtsgefälle, d. h. der Geld[123]strafen, die das unter seinem Vorsitz tagende Dorfgericht verhängte. Der Erbschulze saß also anfangs wie eine Art Gutsbesitzer unter den Bauern, die seiner Polizeigewalt unterstanden; später, im 14. und erst recht im 15. Jahrhundert, erhielt der Erbschulze nur ausnahmsweise solche Ausstattung mit ausgedehntem Grundbesitz, z. B. der in Scharnau 1403 vier Hufen, und andere Rechte2); in der Regel war er nunmehr einfach ein Bauer, der an Besitz und sozialer Stellung die übrigen Bauern nicht wesentlich oder gar nicht überragte, nur daß er sein Grundstück zinsfrei nutzte; so bekam z. B. der Erbschulze von Ober-Nessau 1415 nur eine Hofstätte im Dorf scharwerksfrei, "dafür soll er dem Hause Nessau gleich anderen freien Schulzen dienen", d. h., wenn Krieg ausbricht, dem Herrn zu Pferde ins Feld, doch gewöhnlich nicht außer Landes, folgen ("reiten" oder "reisen")3). Die Bauern in den Erbschulzendörfern besaßen ihre Hufen erb- und eigentümlich; ihr freies Verfügungsrecht jedoch war an die Zustimmung des Grundherrn gebunden, wodurch ihre Freizügigkeit eingeschränkt wurde. Verließ ein Bauer seine Stelle, so zog sie der Grundherr wieder ein und tat sie nach Belieben anderweitig aus, ebenso, wenn der Zins nicht gezahlt wurde. - Aus ihrer Mitte wählten die Bauern einige, meist zwei, Schöppen (so, nicht "Schöffen" hieß es hier im Weichsellande), die dem Erbschulzen in der Rechtsprechung zur Seite standen. - Der Erbbesitz gegen mäßigen Zins, die persönliche Freiheit, die Freiheit von Frondiensten für die Grundherrschaft waren die typischen Kennzeichen eines nach "deutschem Recht" gegründeten Erbschulzendorfes.

Anders lagen die Verhältnisse in den sog. Holländerdörfern seit Mitte des 16. Jahrhunderts (deren es in den an Preußen gekommenen Landesteilen im Jahre 1772 rund 400 gab). Wohl war zuweilen ein Vermittler tätig, der aber nur die Anwerbung der Ansiedler zu besorgen und dann mit dem Dorfe nichts weiter zu tun hatte. In den meisten Fällen aber trat kein Vermittler auf4); eine Gruppe von Ansiedlern führte durch einige aus ihrer Mitte gewählte Vertreter die Verhandlungen mit dem Grundherrn, die zum Ziel hatten, den zu erwerbenden Boden in langfristige Erbpacht (Emphyteuse) zu bekommen. Diese wurde in Langenau auf 25 Jahre festgesetzt5), in Nessau und Rudak auf 40 Jahre; in den Thorner Stadtdörfern ist anfangs ein unsicheres Schwanken zu beobachten: in Alt-Thorn6) wurde der erste Vertrag 1574 auf 20 Jahre abgeschlossen, dann nach Ablauf dieser Zeit 1594 vermutlich auf dieselbe Reihe von Jahren verlängert; in Gurske im Jahre 1604 ebenfalls auf 20 Jahre; dann aber dauerte nach der Neuordnung der Dorfverhältnisse durch Bürgermeister Heinrich Stroband die Pachtzeit stets und in allen Stadtdörfern 30 Jahre lang.

[124]Die Bauern hatten ein Einkaufsgeld - in Gurske7) betrug dieser "Gottespfennig" im Jahre 1604: 60 oder 50 fl.*) - und von jeder Hufe (30 Morgen) eine Jahrespacht zu zahlen. War die Pachtzeit um, so wurde der Vertrag in der Regel auf weitere 30 oder 40 Jahre verlängert. Geschah das nicht, so wurden die von den Pächtern errichteten Gebäude abgeschätzt und die betreffende Summe vom Nachfolger an sie ausgezahlt. So in Schilno8). In Alt-Thorn fielen die Gebäude, wenn die Pachtzeit um war, an die Stadt, die sie dem neuen Pächter bzw. dem Wiederpächter "zu neuem ließ und gönnete". Während der Dauer der Pacht hatte der Pächter ein völlig freies Verfügungsrecht über sein Grundstück; er konnte dessen Nutzung ohne besondere Erlaubnis des Grundherrn verpachten oder verkaufen, nur die Dorfgemeinde hatte hierbei ein Wort mitzureden. Starb der Kolonist, so erbte der älteste Sohn das Grundstück. Die Bauern solcher Dörfer waren also der Form nach Pächter, tatsächlich aber erbliche Nutznießer ihrer Grundstücke.

Einen deutlichen Einblick in die Eigenart der Holländerdörfer geben uns die erhaltenen Handfesten, d. i. durch Handschrift befestigte, bestätigte Urkunden, Pachtkontrakte und besonders die Willküren (von kiesen = Willensentschluß, Beschluß, rechtliche Bestimmung; der tadelnde Nebensinn unseres heutigen Ausdruckes Willkür liegt in der alten Zeit nicht in dem Wort; Dorfwillkür = Rechtssatzung, Dorfverfassung). Nur allgemeine Analogien finden sich fast allenthalben auf dem geschlossenen deutschen Sprachgebiet; in älterer Zeit heißen sie vielfach "Weistümer". Solche Dorfwillküren wurden erst seit dem 16. Jahrhundert schriftlich abgefaßt. Die älteste ist, soweit ich sehe, die des Dorfes Marienfeld, Amt Preußisch-Holland9), von 1539, doch ist dies keine Holländeransiedlung. Auch die Willkür des Dorfes Reichenberg, Krs. Dirschau10), von 1551 beruht nicht durchweg auf Holländergrundsätzen, obwohl wenigstens einer der dortigen "Erbnahmen" Holländer war (Philip Edzema) und das Dorf, durch Wasser und Unachtsamkeit verdorben, durch Anlage von Gräben, Schleusen usw. wieder urbar gemacht werden sollte und dazu mit "sonderlichen Freiheiten" ausgestattet wurde, was sonst auf den Typus der Holländerdörfer schließen lassen würde. Die Willkür des Dorfes Michelau, Krs. Schwetz11), und die der Klosterdörfer von Karthaus zeugen von Holländerart, sind jedoch nicht datiert. So bleibt als älteste Holländerwillkür die des Dorfes Neu-Schlingen12) (Schlinge heißt noch heute im Plattdeutschen das Dorf Schilno im Drewenzwinkel, Krs. Thorn, poln. Silno) vom Jahre 1562. Die Zweifel an der Richtigkeit der Datierung sind m. E. unbegründet; Sprache und[125]Schriftzüge passen in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts; aber sie hat wohl, flüchtig geschrieben und öfters verschrieben, mit Lücken bei Zahlenangaben, nicht Rechtskraft besessen, sondern dürfte eine vielbenutzte Abschrift des Originals sein, die auf Verlangen als Muster angefertigt wurde für ebensolche Willküren anderer Dörfer; so sind denn tatsächlich die der Dörfer Grabowitz, Kostbar und Duliniewo der von Schlingen nachgeschrieben. Das Thorner Exemplar der Schlinger Willkür ist in hochdeutscher Sprache geschrieben, doch guckt an einigen Stellen das Plattdeutsche ihres Verfassers oder ihrer Bauern hervor: die "Depede" = Tiefe (des Grabens); die Zäune von gutem "Struck" = Strauch, damit kein Vieh "durchkrupen" krauchen könne; "Ricke" = Reck, Zaun aus Stangen; "Flaß" Flachs; "Regelholz" = Riegelholz; "Sehle" = Sielen; "Mediken" = Mädchen; "Nabers" = Nachbarn. Leider ist der Vertrag, den der Grundherr, der Starost von Bobrownik13), mit den Bauern vorher geschlossen haben muß, nicht mehr vorhanden; wir wissen also nicht, ob diese damals schon, wie späterhin, Holländer genannt wurden, wie hoch der Pachtzins war, den sie ans Schloß zu zahlen hatten usw. Ein Vertrag muß aber natürlich vorausgesetzt werden, es wird auch auf ihn, den "Consensus und Gerechtigkeit" in der Willkür Bezug genommen; noch in viel späterer Zeit (1682) wird der Schlinger Pachtvertrag "Bewilligung und Gerechtigkeit für die Ländereien" genannt14). Und zwar muß der Vertrag eine Neubesiedlung des Dorfes eingeleitet haben, sonst hätte es nicht den Namen "Neu-Schlingen" bekommen. Es muß also, obwohl wir davon nichts wissen, schon früher ein Dorf Schlingen bestanden haben, das im Laufe der Zeit wüst geworden war. Sind das nur Schlußfolgerungen, so können wir an der Hand der Willkür schon für diese frühe Zeit der Holländerkolonisation die Grundsätze feststellen, die später in allen Holländerdörfern für deren Selbstverwaltung maßgeblich waren.

Es ist zunächst bezeichnend, daß die Willkür, die Dorfverfassung, den Bauern nicht von ihrer Obrigkeit, ihrem "Herren", dem Grundherrn, verliehen, sondern von der "Nachbarschaft" beschlossen worden ist. Nachbarschaft heißt der Gemeindeverband, Nachbar*) oder Mitnachbar wird der einzelne Bauer genannt. Die ganze Nachbarschaft hat sicher auch vorher den Pachtvertrag geschlossen. Sie war es auch, die sich ihren Schulzen und ihre Gerichtspersonen oder Gerichtsmänner, später auch "geschworene", d. h. vereidigte Schöppen und "der Rat" genannt, selbst "setzte", d. h. wählte, damit sie des Dorfes Recht [126] und Gerechtigkeit pflegen, allerlei Händel und Ratsgänge richten und mit gutem Recht beilegen sollten (Artikel 2). Und zwar wählte sie diese Männer auf ein Jahr, nach dessen Ablauf der Schulze ihr Rechnung zu legen hatte; sie besoldete ihn auch ("weil das Dorf klein ist" - wie die Holländerdörfer durchweg -, bekommt er als "Jahrlohn" von jeder Hufe 3 fl., wovon er aber noch etwas den Gerichtspersonen abgeben muß. A. 8). Sie, die ganze Nachbarschaft, entschied "hochwichtige Sachen", die der Schulze mit den Geschworenen nicht beilegen konnte, ausgenommen "Criminalia und Halsgerichte, welche gehoren auf's Schloß", das auch letzte Instanz war für diejenigen, die sich mit dem Entscheid des Dorfgerichts nicht zufrieden gaben. In ihrem Auftrage wurden alle Rechtssachen in das "Nachbarbuch" eingetragen, das also die Stelle der städtischen Schöppenbücher einnahm, und das jedenfalls mit anderen Schriftstücken und den Strafgeldern in der A. 36 erwähnten Lade lag; diese stand bei den Verhandlungen vermutlich altem Gebrauch gemäß offen, ihr Zuschlagen bedeutete den Schluß der Sitzungen. Die ganze Nachbarschaft bürgte dem Herrn für richtige und rechtzeitige Pachtzinszahlung, "wofür sich die Nachbaren in des Dorfes Consens und Gerechtigkeit verschrieben und geloben", nach dem ausdrücklich ausgesprochenen uralten Grundsatz alles genossenschaftlichen Lebens, aller Solidarität in Stadt (vgl. die Zünfte) und Land, der zugleich Grundsatz christlichen Lebens ist ("Einer trage des Anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen", Galater 6, 2): Alle for Einen und Einer for Alle, oder, wie es auf Starosteiländereien in den später in polnischer Sprache geschriebenen Verträgen heißt: Jeden za drugiego, Einer für den Anderen (auch: wszyscy za jednego, a jeden za wszystkich), und sie ließ säumigen Pachtzinszahlern durch den Schulzen soviel nehmen, daß der Zins bezahlt werden konnte (A. 9). - Die Nachbarschaft half aber auch dem Einzelnen: brannte ein Nachbar ohne Verschulden ab, so gaben ihm die Anderen zum Wiederaufbau pro Hufe eine bestimmte Anzahl Balken usw. und Bargeld; ebenso griffen sie bei Hochwasserschäden helfend ein (A. 29). Wurde einem Nachbarn ein Pferd, Ochs oder Kuh gestohlen, dann jagten die Nabers dem Dieb 10 Meilen in die Runde nach; bekamen sie ihn nicht, so hatten sie ihre Schuldigkeit getan; bekamen sie ihn, ließen sie ihn "nach Hubenschlag" hängen (A. 33)*). Wurden einem Nachbarn [127] wegen "Poddewode"*) durch Kriegsleute Pferde, Wagen, Stränge weggenommen, bezahlten es die anderen, wenn sie das Weggenommene nicht losbitten oder loskaufen konnten.

Die Nachbarschaft bildete eine festgeschlossene Genossenschaft, die darüber wachte, daß kein unliebsames Element sich in das Dorf eindrängte. Kein Nachbar durfte sein Land einem Fremden verkaufen oder vermieten, ehe er es "aufrichtig und mit ernstem Mut vor der Nachbarschaft 14 Tage lang ausgeboten" hatte. Der Käufer sollte "ein Teutscher, welcher Hollandisch Weis' und Gebrauch hält", sein. Daher verfiel derjenige, der sein Grundstück an einen Polen verkaufte, mit 10 fl. in der Nachbarschaft Strafe (A. 21). So streng wahrte damals, vor der Lubliner Union, das deutsche Dorf unter polnischer Oberherrschaft sein Deutschtum! Es ist bezeichnend, daß dies Verkaufsverbot an einen Polen in der Willkür von Kostbar (1729)15) fehlt. Auch wer einem untüchtigen Mann verkaufte, mußte "ohne alle Gnade" 10 fl. Strafe zahlen. Selbst einen Einwohner durfte der Bauer nur dann einnehmen, wenn die Nachbarschaft mit ihm zufrieden war; der Einwohner mußte dann auf dem Dorf gegen Kost und Lohn arbeiten; ging er ohne Ursache in andere Dörfer auf Arbeit, so mußte er seine "Wohnung und Stuhl weitersetzen und abziehen" (A. 9,7). -

Eingehende Vorschriften sorgten dafür, daß jeder sein Grundstück ordentlich abgrenzte mit dicht geflochtenen Weidenzäunen von 2 Ellen Höhe oder mit ebenso hohen Ricken, mit tiefen und breiten Gräben, so daß Vieh und Pferde nicht überspringen und des Nachbars Acker und Wiesen beschädigen konnten (genaue Bestimmungen regeln das Pfandrecht über solche ausbrechenden Tiere und ihre Behandlung), ebenso den Hof mit einer "Hofwehr" von gutem Strauch zur Verhütung des Durchkriechens von Kälbern, Schweinen, Gänsen. Die Schweine mußten geringt, d. h. mit einem durch die Nase gezogenen Ringe versehen werden, um ihnen das Wühlen zu erschweren (Art. 10-17). Rotzige Pferde durfte der Ansteckungsgefahr wegen kein Nachbar haben, ebenso durfte er aus demselben Grunde nicht Ochsen fremder Fleischer in die Weide nehmen (A. 18).

[128] Streng sind die Strafen für denjenigen, der seinem Nachbarn Knecht, Magd oder Taglöhner "abspendig" macht, daß sie, ehe ihre Zeit um ist, entlaufen. Wer sich gar etwas Gestohlenes zubringen läßt, "soll innerhalb eines Viertel(jahres) sein Land räumen und abziehen" (A. 9,8).

Über die nötige Disziplin handeln die Artikel 5 f. und 36/38: Unentschuldigtes Versäumen einer vom Schulzen verboteten*) Sitzung wird mit Geld bestraft; wer im Schulzenamt bei gerichtlicher Verhandlung einen anderen Lügen straft, "oder schlaget zorniger Weise auf den Tisch", oder wer mit Waffen vor des Schulzen Gericht und Tisch tritt, oder wer beim Frei- oder Nachbarbier, das im Schulzenhof getrunken wird, Zank und Schlägerei anfängt, verfällt einer hohen Geldbuße; ebenso, wer das Gerichtsurteil des Schulzen schmäht und für ungerecht erklärt; wer aber seinen Prozeßgegner während der Verhandlung schlägt, hat der Gemeinde außer der Geldstrafe eine Tonne Bier zu geben. - Nicht als Strafe, sondern als "Einkauf" (anderswo Leikauf genannt) ist eine Tonne Bier zu stiften, wenn ein bisher im Dorfe nicht Angesessener sich mit Genehmigung der Nachbarn ankauft. Solch Bier wurde dann natürlich gemeinsam vertrunken und so das Nützliche mit dem Angenehmen verbunden, wie es noch heute Brauch ist. -

Der ursprünglichen Eigenart holländischer Kolonisation entsprechen in Artikel 19 f., 31 die Vorschriften über Wassergang und Vorflut, über Reinigung der Gräben von Kraut. Seltsam berührt ein Überrest des alten Strandrechts in A. 31: "Wenn einem Nachbarn in Wasserszeit etwas an Hofricken und dergleichen Sachen mit dem Wasser geschwommen kommet und darauf liegen bleibet, soll es derselbe, dem es weggeschwommen ist, nicht Macht haben, dasselbe wieder wegzunehmen nach seinem Willen, wo es ihm sein Nachbar nicht will fahren lassen. Nimmt er es denn heimlich oder gar mit Gewalt, eine Tonne Bier Straf schuldig, und auch soll er's wieder dahin führen, wo er‘s geholet."

Über Waisenkinder sollen Schulz und Schöppen "gute Achtung und Zuversicht halten", sie mit "guten und getreuen Vormündern versehen, die über das Vermögen ihrer Mündel "richtige Schriften und Register" halten müssen (A. 32).

Die Holländerbauern lehnten wenigstens anfangs persönliche Frondienste für die Herrschaft ab; in den Pachtverträgen ließen sie sich verbriefen, daß sie nicht nur freie Männer sein, sondern auch von jedem Frondienst befreit bleiben würden [129] (später mußten sie sich doch meistens dazu bequemen: in Schilno 1682 für 6 Tage im Jahr, ebenso in Scharnau).

Das System der langfristigen Erbpacht erleichterte den Bauern die Ansiedlung. Der neuanziehende Pächter hatte ja für den Grund und Boden, den er nicht kaufte, nichts weiter zu bezahlen als ein Einkaufsgeld (das zum Beispiel in der Thorner Stadtniederung 1-2 Jahreszinse hoch war16) und die jährliche Pachtsumme, die er durch fleißige Arbeit mit Hilfe seiner Kinder herauswirtschaften konnte; lediglich für die Gebäude und Inventar mußte er sorgen oder seinen Vorgänger, wenn ein solcher da war, oder in den Thorner Stadtdörfern die Stadt entschädigen.

Will man den Unterschied beider Dorfverwaltungssysteme auf eine kurze Formel bringen, so kann man etwa sagen: das alte Erbschulzendorf hatte den monarchischen Grundsatz der erblichen Führerschaft, das neue Holländerdorf den republikanischen Grundsatz der jährlichen Führerwahl. In jenem hatten die Dorfbewohner nicht viel mitzuraten, in diesem stellte die ganze Dorfgemeinde die Grundsätze der Selbstverwaltung fest und kontrollierte die Ausführung, jeder Dorfgenosse war der Gemeinde verantwortlich. - Die Grundsätze des Holländerdorfes haben sich durch zwei Jahrhunderte hindurch auf das beste bewährt. Siehe auch Siebenbürgen! "Das ganze System atmet jenen echt holländisch-republikanischen Geist, den dies Volk in seinen Unabhängigkeitskämpfen oft so glänzend bekundet hat"17).

Stark ausgeprägt ist in den Holländerdörfern der religiöse und zwar der protestantische Sinn ihrer Bewohner. Schon der Titel der Schlinger Willkür zeigt dies: "Gott dem Allmächtigen zu Lob, Preis und Ehre, den Menschen und Nachbaren aber zur Besserung, Fried‘ und der Liebe Einigkeit, dazu verhelf‘ der liebe Gott von nun an bis in alle Ewigkeit. Amen." Als erste und wichtigste Pflicht nennt sie in Artikel 1, alle "hohen Feiertage nebenst den Sonntagen zu heiligen und zu feyern Gott dem Herrn zu Ehr‘ ", bei hoher Strafe.

In keiner "Holländerei" fehlte die Schule, in der der Lehrer nicht nur die Kinder zu unterrichten, sondern auch Sonntags mit der Nachbarschaft zu singen, zu beten, ihr eine Predigt vorzulesen und ihre Toten zum Kirchhofe zu geleiten hatte. "Die Freiheiten und den Glauben", heißt es in dem Pachtvertrag von 1724 (1682) in Schilno18), "so wie gewöhnlich andere Holländer nach dem Privilegio Sr. Kgl. Majestät genießen, sollen ....... sie und ihre Nachkommen sicher und unverändert genießen und behalten ........ sie sollen auch einen Schulmeister, der ihre Kinder [130] in ihrer Lehre unterrichten und ihnen durch Vorlesung des Wortes Gottes in ihren nachbarlichen Versammlungen dienen könnte, zu halten, sich trauen zu lassen und ihre kleinen Kinder taufen zu lassen, wo es ihnen gefällt, eine ungehinderte Freiheit haben". Der Lehrer war im übrigen wohl in Schlingen wie anderswo meist ein halber Bauer, ihm wurde außer einem Bargehalt (in S. betrug es 1724: 20 Taler) wohl noch ein Stück Land zur Bewirtschaftung überwiesen, auch wohl ein paar Scheffel Getreide. - Fraglos trugen die Schulen der Holländerkolonien am meisten dazu bei, daß diese bis zum heutigen Tage ihre deutsche Muttersprache durch mehrere Jahrhunderte hindurch sich erhalten haben. Das gilt besonders von Kongreßpolen.

Auch einige Handwerker saßen in solchen Holländerdörfern (so z.B. in Nessau in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Schuster, Weber, Leineweber, ein Hufschmied, ein Krüger) und Einwohner, besitzlose Arbeiter, die, von einem der Nachbarn "eingenommen", gegen Kost und Geldlohn im Dorfe arbeiteten, wie aus der Willkür von S. ersichtlich ist.

Daß in dem 1594 gegründeten Weichseltal (Przylubie) dieselben Grundsätze der Selbstverwaltung usw. nach dem Vorbilde von Schlingen maßgebend waren, ist nach dessen Entstehungsgeschichte als sicher anzunehmen19). Dort im Bromberger Bezirk saß der polnische Edle Matias Przylubski auf seinem Erbgute Przylubie. Nur wenig Hufen bebaute er durch Büdner, leibeigene Bauern, und die Fischerei der Weichsel brachte auch nichts Rechtes ein; ebenso stand es mit den übrigen Ortschaften der Bromberger Weichselniederung. Da fuhr Przylubski nach Thorn und fand hier zwei Bürger bereit, eine Anzahl "Holländer" zur Ansiedlung in Przylubie anzuwerben. Die Vermittler führten ihm seine neuen Kolonisten zu, und am 3.1.1594 wurde der Vertrag mit ihnen abgeschlossen. Sieben Holländer unterschrieben ihn und fügten den Namen ihre Hausmarken hinzu. Bald darauf folgte sein Gutsnachbar dem Beispiel und gründete auf den wüsten, sumpfigen und verstrauchten Gründen eines längst verlassenen Dorfes das Holländerdorf Langenau, und ein Menschenalter später brachten diese vormals wertlosen Landstriche ihren Besitzern allein an jährlicher Pacht 3-4000 Gulden ein.

Die im Jahre 1603 durch König Sigismund III. mit einem Privileg versehenen Holländer von Groß- und Klein-Nessau (plattdeutsch Nischewke, poln. Nieszewka), Starostei Dybow, erhielten in jenem Jahre zur Nutznießung 62 Hufen gegen jährlichen Zins von 30 fl. pro Hufe, freien Holzschlag in den Dybower Wäldern für den häuslichen Bedarf, Freiheit von anderen Abgaben und von der Verpflichtung zu Gespann- und

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Kriegsdienst. Die im selben Jahre angesetzten Holländer von Rudak20) erhielten 16 Hufen und dieselben Vergünstigungen wie die von Nessau21). Ihr Vertrag mit dem Starosten ist erhalten. Aus ihm leuchtet mit aller Deutlichkeit der "holländische" Charakter Rudaks hervor, den wir ohne weiteres auch dem Dorfe Nessau zuerkennen können. Das Verdienst, diese schönen, um 1600 aber zum größten Teil per pestem et negligentiam desolatas, wüst liegenden Niederungsdörfer neu mit Holländern besiedelt zu haben, gebührt dem damaligen Starosten von Dybow Albrecht Padniewski, Kastellan von Oswiecim. - Die Rudaker Bauern, Holandrowie, die im Namen ihrer Nachbarschaft den Vertrag mit dem Starosten schlossen, hießen Alexander Walker und Matthias Sonntag. Die Pachtzeit wurde auf 40 Jahre festgesetzt (diese lange Pachtdauer ist wohl ein Beweis für das Vertrauen, das der Starost zu den neuanziehenden Bauern hatte); der Pachtzins betrug für jeden Morgen 1 Zloty polski und 1/2 Groschen und durfte von keinem folgenden Starosten erhöht werden. Die Holländer und ihre Nachkommen sollten nicht nur selbst freie Leute, sondern auch von jeder Zwangsarbeit, jedem Frondienst befreit sein. Jeder Bauer hatte das Recht, sein Gut zu verpachten oder zu verkaufen, doch unbeschadet des dem Starosten gebührenden Zinses. Nur herrschaftliches Bier und Schnaps durfte in ihrem Kruge ausgeschenkt werden. Erlaubnis, die Fische zu fangen, die das Hochwasser der Weichsel in die Lachen ihrer Äcker spülte. Freiheit von Kriegslasten. Freies Bau- und Brennholz. Freie Schulzen- und Schöppenwahl jedes Jahr. Alle stehen für einander ein. Den bisher an die Kirche (das Domkapitel in Wloclawek) gezahlten [132] Zehnten werden sie weiter entrichten. Eine Kirche dürfen sie nicht bauen. Religionsfreiheit für diese protestantischen Holländer ist hier nicht ausdrücklich ausbedungen, verstand sich aber damals in den Holländerdörfern von selbst. Die Bauern litten in dem ersten schwedischen Kriege (Gustav Adolfs, 1626) so stark, daß im Jahre 1629 nur noch drei Kolonisten übrig waren22). Kaum war ein Menschenalter vergangen und die Verwüstung wieder gutgemacht, als der zweite schwedische Krieg von neuem alle Arbeit und Mühe vernichtete: nur vier Wirte konnten sich halten. So schwer wurde es diesen Menschen gemacht, Wurzel zu fassen! Aber ungebrochen fingen sie wieder von vorn an! - Alle 40 Jahre, zum letzten Male 1781- Schulze war damals Wilhelm Braun, Schöppe Jakob Duschke - ist dieser Vertrag erneuert worden. Im Jahre 1683 hieß der Schulze Wilhelm Wilhelms, die beiden anderen beauftragten Vertragschließenden Martin Jersch und Adam Kleiß; im Jahre 1723 war Schulz Johann Isbrecht, die beiden Schöppen hießen Paul Kobus und Michael Damer. Anfang des 17. Jahrhunderts begegnen Namen wie Göbel, Hoffmann, Krüger, Lukas, Hutmacher, Hinrich in den Kirchenbüchern.

Auch Stewken, nicht mehr in der Niederung selbst, aber dicht daran liegend, muß im 17. Jahrhundert durch "Holländer" neubesiedelt worden sein. Im Jahre 1661 war es "von Grund aus zerstört"; vor 1703 gab es dann dort wieder kilkunastu Holendrów, die wieder durch den Nordischen Krieg hinweggefegt wurden; erst 1723 wurde es von neuem an Holländer verpachtet23).

Ganz nach den Grundsätzen von Schlingen wurden, wie schon gesagt, die Dörfer Grabowitz im Drewenzwinkel und Kostbar (Kozibor) und Duliniewo24), beide auf dem, linken Weichselufer, zur Starostei Dybow gehörig, organisiert oder sollten so organisiert werden. Die erhaltenen Willküren von Grabowitz und Kostbar datieren erst von 1729, die von Duliniewo von 1774; sie sind bis auf ganz geringfügige Änderungen genaue Abschriften der von Schlingen. Wir wissen nicht, ob schon um 1600 diese Dörfer nach Holländergrundsätzen neu besiedelt wurden und vielleicht nach abermaliger Verwüstung (1661 waren infolge des zweiten Schwedenkrieges in Kostbar anstatt der früher ansässigen 34 kleinen Besitzer nur noch 5 vorhanden)25) wiederum im 18. Jahrhundert; jedenfalls waren es dann Holländerdörfer der bekannten Art.

Ob Brzoza, das dem Bischof von Kujawien gehörte, schon im 17. Jahrhundert ein Holländerdorf wurde, wissen wir nicht. Ist das im Thorner Archiv liegende Privileg26) wirklich von 1631? Schon 1606 wird ein Bauer Hans Barnaw aus Brose, d.i. sicher Brzoza, im Taufbuch der Neustädtischen Gemeinde [133] erwähnt, dann 1608 f. Andreas Bohnin; 1737 gab es der Bischof an verschiedene Holländer in Erbpacht; 1788 wurde der Vertrag erneuert, unter den "Holländern" werden 4 augenscheinlich polnische Leute, z. B. Peter und Michael Modrzejewski und nur ein Deutscher genannt27).

In Czernewitz wurden auch wohl Holländer angesetzt. Namen deutscher Bauern im 17. Jahrhundert: Peter Dieß 1610, Mateus Falck, Andreas Breitfeld, Jakob Wolff, Michael Hempel, Joachim Müller, Jörge Schwertfeger, Jan Wilhelmss; dann aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Blek, Hoppe, Lau, Lemke, Rats, Schröder, Sment, Spantaw, Abraham Weyner u. a.

In Ottlotschin, das ebenfalls dem Kujawischen Bischof gehörte, wurde 1748 ein Erbpachtvertrag abgeschlossen und 40 Jahre darauf für 10 Holländer erneuert28); also auch O. war im 18. Jahrhundert, und wohl schon vorher, ein Holländerdorf. Namen deutscher Bauern: Peter Grott 1620, Jakob Kaplin, Balzer Hartwigk, Merten Lieck, Erdmann Kujath, Hans Wolff 1655.

Im Holländerdorf Wolschewe (Wolyszewo), flußaufwärts an Ottlotschin grenzend, heute stark polonisiert, saßen deutsche Bauern: Merten Richter, Georg Mutz vor 1650; in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sind zahlreiche deutsche Bauernfamilien in den Thorner Kirchenbüchern nachweisbar.

In Schlonßk, wie damals das Dorf von den Deutschen genannt wurde und bis auf den heutigen Tag heißt, poln. Slonsk an der Weichsel bei Ciechocinek, wurden im Jahre 1605 auf 25 Hufen wohl ebenso viele Holländer angesetzt; nach 1629 waren es infolge von Kriegswirren nur noch 4. Außerdem waren Äcker und Wiesen durch Schwemmsand, den das Weichselhochwasser über sie spülte, zum Teil verdorben29). Daß die Bauern sich nicht beugen ließen, zeigt die Tatsache, daß es im Jahre 1645 neben den alten schon wieder neu angesetzte Holländer gab, und daß außerdem der Pächter von Slonsk, Dadzibog Niemojewski auf Sluzewo, zwischen den alten und den neuen Holländern in poln. Slonsk auf einer von Weichselüberschwemmungen heimgesuchten Fläche, Piaskowe genannt, nun wiederum Holländer auf 40 Jahre ansetzte. Die Anlage von Dämmen wurde bereits ins Auge gefaßt, freier Gottesdienst nach ihrer gewohnten Art ihnen zugesichert: zu keinem andern sollten sie gezwungen werden30). -Trotzdem wurde in der Folgezeit versucht, ihnen ihren evangelischen Gottesdienst zu nehmen; 1721 erging ein Gerichtsurteil, wonach sie es nicht wagen sollten, Predigten etc. zu halten bei Verlust ihres Pachtrechts und anderer Strafen31). Sie sind doch protestantisch geblieben. Im Jahre 1726 bekamen sie ein neues Privileg vom Könige aus[134]gestellt. Die Grundsätze der Holländerdörfer waren maßgebend. Namen von deutschen Bauern: Andreas und Hans Bohnin 1608 ff., Hermes Krin, Peter Dappe, Peter Finger, Andreas Bennije, Peter Krellaw, dann Hinz, Hittke, Koplin, Mundt, Penigk, Radtke, Stephan, Witt u. a., alle aus dem 17. Jahrhundert.

Die letzte Holländergründung in der Thorner Gegend ist m. W. Holländerei Grabia, das einzige unserer Dörfer, das das "holländisch" auch im Namen hat. Es ist erst 1782 von 7 "Holländern" durch Ausrodung angelegt worden32); der Pachtkontrakt wurde auf 40 Jahre abgeschlossen. Damit rückt Holländerei Grabia in die Reihe vieler Posener und kongreßpolnischer Holländereien33), die nicht in der Flußniederung, sondern auf Waldboden angelegt wurden.

Auf dem rechten Weichselufer setzte der Rat der Stadt Thorn im Jahre 1574 in seinem Dorfe Alt-Thorn (und in der Folge auch in anderen Stadtdörfern der Stadtniederung, die er vom polnischen Könige erhalten hatte) nach den Grundsätzen der Holländerdörfer Bauern neu an, bzw. änderte das Dorfsystem in diesem Sinne*). Diese Umwandlung des Dorfsystems scheint nicht überall bei den noch vorhandenen alten Dorfgenossen - die Dörfer der Thorner Niederung sind nicht alle, wie Schlingen, völlig "wüst" geworden - freudigen Anklang gefunden zu haben, denn die Gursker Bauern ließen sich noch im Jahre 1576 vom Könige Stefan Bathory, der damals in Thorn einen Reichstag hielt, ihr altes Deutschordens-Privileg vom Jahre 1346 bestätigen, ihm robur debitae et perpetuae firmitatis verleihen und dem Rat der Stadt Thorn dies zur Kenntnis bringen mit der strengen Weisung des Königs, die Gursker bei ihren Rechten zu erhalten, sub mulcta arbitrio Nostro irroganda aliter ne fecerint, also unter Androhung von Strafe34). Sie haben dann aber wohl den Vorteil der "Holländischen" Neuordnung eingesehen, denn "Schulz, Älteste und die ganze Nachbarschaft zu Gurske" erinnern den Rat daran, daß in der Verschreibung, "so wir über das Dorf Gurske haben, ausdrücklich enthalten sei, daß nach Ausgang der 20 Jahre wir und unsere Nachkommen sollen die Negsten sein, dies Land wieder aufs Neue zu behalten, sofern wir solches zur rechten Zeit suchen [135] und davon was andere geben wollen". Sie suchen deshalb jetzt" um fernere Mietjahre" nach, "auf billige Condition und Zinse", bitten um Anberaumung eines Verhandlungstages; versprechen, als getreue Untertanen ihrer Obrigkeit zu dienen35). Und 1596 reicht den "Holländers" zu Gurske ihr Land schon nicht mehr aus, sie lassen sich den "schwarzen Bruch, oder ein Stück Landes, die Czarna Gran genannt (Gran 1) = Ecke, 2) = Granica), auf 10 Jahre vermieten". Die "Mietsleute", "Zinsleute" sollen den Bruch selbst roden, Gräben ziehen, Acker und Weide dadurch gewinnen, aber keine Gebäude aufrichten (sie haben es doch getan und werden daher mehrfach aufgefordert, sie abzubrechen). Und im selben Jahre werden die "Winterwiesen, Szerokie genannt", bis zum Bösendorfer Hauptgraben "gewissen Personen" auf 15 Jahre vermietet36).

Etwas später scheint das westlichste der Thorner Niederungsdörfer, Scharnau (Czarnowo), in das neue Holländer-System einbezogen worden zu sein, denn noch im Januar 1600 wird es dem Kasper Knarrholt (Knorrholtz) und dem Stenzel Knippel (Knüpel) "verarendieret"37), was sicher nur besagt, daß diesen beiden lediglich 2 Grundstücke im Dorf übertragen wurden nicht das ganze Dorf; denn St. Knüpel war kein Großkaufmann, der ein ganzes Dorf hätte pachten können; es wird ihm 1609 die "Sechzigmannschaft" erlassen, zu der in der Hauptsache Handwerker und Krämer gehörten; ebenso wurde 1603 einem Thorner Fleischer die Erlaubnis zum Kaufe eines Stückes Land gegeben; jedenfalls handelt es sich hier um Kauf einzelner Grundstücke in Scharnau nach dem alten System. Im Jahre 1605 jedoch schon erhält Scharnau vom Rat eine Willkür, aus der hervorgeht, daß nunmehr das holländische System auch hier eingeführt worden war.

Die Willküren der Stadtniederung ("Niedrigung") für die Dörfer Alt-Thorn, Gurske, Pensau, Bösendorf und Scharnau gleichlautend, weichen in einigen Punkten nicht unwesentlich von den Holländergrundsätzen ab. Verfaßt sind sie auf Bitten der Dorfbewohner von ihrem "Verwalter" oder auch "Halter", modern ausgedrückt: ihrem Dezernenten im Ratskollegium, Heinrich Stroband, im Jahre 1604. Die Dörfer reichten sie dem Rat ein, und dieser bestätigte sie im folgenden Jahre38). Die Schlinger Holländer gaben sich ihre Willkür selbst! Derselbe H. Stroband arbeitete auch die Handfeste ("Vermietungsnotel", den Pachtvertrag) aus, die dann, und bei jeder Erneuerung wiederum, von den Bauern unterschrieben und durch einen Gegenrevers (Gegenobligation) rechtsgültig gemacht werden mußte.

Die Willkür enthält nur 30 Artikel. Diese sind jedoch weit umfangreicher (A. 8 "von ... Vormundschaft" hat allein [136] 52 Punkte!) und viel exakter formuliert als die von Schlingen; war doch ihr Verfasser ein hervorragender Jurist (und als Erbherr auf Niederbriesen und Preuß.-Lanke mit dem dörflichen Leben und seinen Bedürfnissen vertraut).

Auch diese Willkür trägt Sorge für das Religiöse und Kirchliche. Der Rat von Thorn als "Obrigkeit" der Bauern betont stark, daß er sich verpflichtet fühle, auch um die Wohlfahrt ihrer Seelen und derselben Seligkeit bekümmert zu sein. Kirchenbesuch an Sonn- und hohen Festtagen ist bei Strafe von 2 Mark Buße in die gemeine Lade Pflicht. (Die Stadtniederungsdörfer hatten ja - im Gegensatz zu allen übrigen Holländerdörfern der Thorner Gegend - in Gurske eine evangelische Kirche.) Die Prediger haben sich in Lehr und Zeremonien nach dem Gebrauch der Thorner Kirchen der Augsburgischen Konfession zu richten und in dem Ministerium in Thorn, d. h. der Gesamtheit der städtischen Geistlichen unter Vorsitz des ältesten altstädtischen Geistlichen, ihre geistlichen Oberen zu erkennen und zu ehren. Sektierer und Religionsverfälscher als Arianer und Wiedertäufer (Mennoniten) sollen in diesen Orten nicht geduldet werden bei schwerer Strafe. - Warum duldete Thorn nur bei Beginn der Holländerbesiedlung (1574ff.) die Mennoniten, dann aber nicht mehr? Vermutlich gab man einem Andrängen der Thorner Geistlichen nach. Was aber bewog diese dazu? Nun: das Kirchenwesen der Lutheraner, Reformierten und böhmischen Brüder in Polen war im 16. Jahrhundert durch Sektierer (Unitarier und - besonders in Klein-Polen Wiedertäufer) stark bedroht. Sehr bedenkliche Vorgänge führten dazu, in ihnen politische Revolutionäre, ja Anarchisten zu sehen*). Es hatte sich freilich Menno Simonis († 1559), der Führer der nach ihm benannten holländischen Taufbewegung, entschieden gegen das revolutionäre Täufertum gewandt und es tatsächlich erreicht, daß die Mennoniten eine Gemeinde der Stillen im Lande wurden, die nichts anderes wollten als durch fleißige ruhige Arbeit ihr tägliches Brot erwerben und in streng sittlicher Lebensführung nach der H. Schrift ihrem Glauben leben.

[137]Aber das Mißtrauen gegen sie blieb, besonders bei den streng lutherischen Geistlichen, wie es in Thorn damals Benedikt Morgenstern u. a. waren. Ferner: Thorn konnte in seinen Dörfern deshalb keine Mennoniten brauchen, weil diese den Waffengebrauch aus biblischen Gründen ablehnten, die Stadt aber die "Nachbarn" militärisch beanspruchte; in Kriegszeit sollten sie ihr Hab und Gut in die Stadt bringen und dieser bei der Verteidigung helfen; jährlich einmal hatten sie sich zur Musterung zu stellen, die Wirte zu Pferde, das Gesinde zu Fuß (die näheren Ausführungen fehlen in A. 26, sind jedoch aus der Handfeste von 1678 zu ergänzen)39); jeder Nachbar sollte zur Rettung und Beistand der Stadt und auch zu seinem eigenen Schutze eine gute Seitenwehre haben, ferner eine gute Muskete oder sonst ein gut Langrohr und eine Hellebarde, die der Rat einem jeden zu verehren versprach (A. 25). Die Wehrhaftigkeit, die die Stadt verlangte und verlangen mußte, wurde von den Mennoniten grundsätzlich abgelehnt. - Religiösen Untergrund hat auch das Verbot der Zauberei und Beschwörung ("Besprechung") von Mensch oder Vieh (A. 20); Zauberer, Teufelsbeschwörer, Umstreicher, auch die eines verdächtigen ärgerlichen Lebens soll niemand "hausen noch hegen", sondern sie dem Amt anzeigen. - Auch die Anordnung der Einrichtung von Schulen ist stark religiös-ethisch gefärbt. Der Lehrer, zugleich Dorfschreiber und als solcher zu vereidigen, soll nicht nur eine gute Handschrift haben, sondern auch sich von verdächtigen Sekten reinhalten; er soll ein frommer, gottesfürchtiger Mann sein, die liebe Jugend in Gottesfurcht, im Catechismo, Zucht und Ehrbarkeit unterrichten, ihnen die Kirchengesänge beibringen und dem Prediger Handreichung tun (A. 2. 6).

Der Sorge um ein ordentliches, friedliches Zusammenleben der Nachbarn entspringt die Bestimmung, daß der Krüger niemandem über 10 Groschen Bier und über 14 Tage lang borgen, und daß niemand in den Krug mit Wehr und Waffen gehen dürfe; kommt jemand vom gemeinen Volk oder Gesinde über Feld und bringt seine Wehr mit (die er in jenen unruhigen Zeiten für alle Fälle bei sich trug), so soll er sie dem Krüger zur Verwahrung geben oder kein Bier bekommen (A.21).

Bei den Bestimmungen über das Schulzenamt tritt ein weiterer Unterschied von den sonstigen Holländergrundsätzen in die Erscheinung, der ebenfalls aus der Quelle des starkempfundenen Obrigkeitsbewußtseins der Thorner Ratsherren fließt. Schulzen und Gerichtsgeschworene (für jedes Dorf 4 Älteste, Schöppen) werden hier nicht, wie in Holländerdörfern allgemein üblich, allein von der Nachbarschaft auf je ein Jahr gewählt und kontrolliert; vielmehr wählt der Rat, also die Obrig[138]keit, aus je zwei von der Nachbarschaft präsentierten Kandidaten einen aus (in Scharnau, dem größten Dorfe, sollten zwei Schulzen gewählt werden und jährlich einer um den anderen das Schulzenamt verwalten), vereidigt ihn, und beläßt ihn solange in seinem Amt, "als er von der Obrigkeit tüchtig dazu erkannt wird" (A. 4). Gehorsam und Ehrerbietung gegen die Obrigkeit (also den Rat der Stadt Thorn), die Gottes Ordnung ist, wird streng zur Pflicht gemacht (A. 3). - Die Aufgaben des Schulzen greifen recht weit. Er hat, wie in Schlingen, zunächst Rechtspflege zu üben, Kaufverträge abzuschließen, zwistige Sachen und Schuldhändel zu verhören und Recht zu sprechen, wofür er bestimmte Strafgelder erhält; bei schweren Sachen zieht er die Ältesten, unter Umständen die ganze Nachbarschaft hinzu. Die Berufung gegen sein Urteil geht an den "Verwalter"; oberste Instanz ist der Rat. Wer sich unterstehen sollte, noch eine höhere Instanz anzurufen, hat Haus und Hof, die damit der Stadt verfallen sind, zu räumen und das Dorf zu verlassen (A. 4). Ferner hat der Schulze mit Hilfe der Ältesten Wege, Brücken und Dämme zu besichtigen und etwa nötige Verbesserungen anzuordnen, für jährliche Besichtigungen der Dorfgrenzen und der Einfriedigungen der einzelnen Grundstücke zu sorgen, über das Vermögen der Unmündigen und die Vormünder zu wachen. Er hat, wie in Schlingen, ein Memorialbuch zu führen, in das Kaufverträge u. a. eingetragen werden, in der gemeinen Lade (Schulzenlade) die Handfeste der Dorfschaft, die Willkür, das Gerichtsbuch, die Geldbußen aufzubewahren. Sein Ansehen als Vertreter der Obrigkeit (nicht, wie sonst in Holländerdörfern in erster Linie Vertreter der Nachbarschaft gegenüber der Obrigkeit) wird dadurch gehoben, daß den Bauern ihre Gehorsamspflicht gegen ihn stark eingeschärft wird: wer sich ungebührlich benimmt, verfällt einer Geldbuße, in schweren Fällen dem Gefängnis (A. 5). Als Besoldung erhält der Schulze von jedem Morgen einen halben Groschen, von jeder Ladung 4 Schilling, von jedem Spruch des Dorfgerichts den dritten Teil (A. 4).

Pachtzins (in der Willkür steht stets das Wort "Miete"): in der Handfeste40) von 1678 ist der Jahreszins für Alt-Thorn und Gurske pro Morgen Niederungsland auf 45 Gr., Höhenland auf 25 Gr. festgesetzt; für Scharnau und Bösendorf auf 30, 25, 20 Gr.; für Pensau auf 40 und 30 Gr. Das Anstandsgeld für die erste Gruppe auf 1 Gulden 20 Gr. pro Morgen, für die zweite Gruppe auf einen Jahreszins. In der Handfeste von 1723 heißt es: Bürgermeister und Rat von Thorn haben ihre "Erbliche Güter Alt Thorn und Gurske ... den jetzigen Einsassen und ihren Nachfahren zum genießlichen Gebrauch um einen gewissen jährlichen Zins abermal vermietet, ausgetan und verliehen... Weil denn nach Ausgang der ersten Mietsjahre ver[139]möge dem ersten Kontrakt Uns als den Oberherren dieser Stadt alle Verbesserung am Lande, Gebäuden und was dem anhängig, gänzlich heimgestellet und gebühret, so Wir gemeldeten Untersassen obgedachtes Land, Gebäude und ganze Verbesserung in diese Mietung wieder eingeräumet, zugestellet und übergeben, davor sie uns und der Kämmerei von jedem Morgen 1 F. 15 Gr. zum Anstandegeld und zwar bei Unterschreibung dieser Handfeste bar erlegen sollen" (in Bösendorf, Pensau, Scharnau einen Jahreszins in 2 Raten). Für die Zahlung der Pacht hat die ganze Nachbarschaft nach holländischem Brauch "gutgesagt, sämtlich und sonderlich zu haften"; also auch hier der Holländergrundsatz "Einer für Alle, Alle für Einen" (A. 3). - Die freie Entnahme von Holz aus dem Stadtwalde ist eingeschränkt, alle Eichen auf den Grundstücken gehören der Stadt und dürfen nur mit Erlaubnis des Rates abgehauen werden. Auch die Fischerei in der Weichsel und die Jagd gehört allein der Herrschaft; nur mit Handwahten zu fischen ist erlaubt, ebenso wie die Einrichtung von Entenpfuhlen (A. 22).

Wie der Rat bei Erteilung dieser Willküren zugleich das Wohl seiner Stadtbürger im Auge hatte, zeigen die Artikel 15, 19, 21: Die Erzeugnisse des Dorfes, wie Getreide, Gewächse, Milchspeise (Butter und Käse) sollen in die Stadt zum Verkauf gebracht und erst, wenn sie hier unverkauft bleiben, anderswo abgesetzt werden, bei Strafe von 10 Mark. Handel und Handwerk im Dorf zu treiben, zum Schaden der Bürgerschaft, ist verboten, nur Pferde- und Viehhandel wird gestattet. In den Krügen (in jedem Dorf soll ein Krug oder zwei sein) darf nur Thorner Schwarz- und Weißbier zu festgesetzten Preisen ausgeschenkt werden.

Über Dämme, Schleusen, Wassergänge und den "Baußen Deich", d. h. das Land außerhalb des Deiches an der Weichsel, das nicht zur Viehweide dienen, sondern zum Schutz gegen Hochwasser mit Holz und Strauch dick verwachsen sein soll, gibt die Willkür, wie es die Natur der Niederungsdörfer erfordert, ausführliche Bestimmungen. Widerspenstige kommen ins Gefängnis. Ja, wer freventlich den Damm durchsticht oder eine Schleuse durchbricht, hat sein Leben verwirkt (A. 10, 11). - Jeder Nachbar hat die Landstraße (die 2 Ruten und 1 "Wagenspär" breit sein soll), soweit sie sein Land berührt, in Ordnung zu halten (A. 9).

Häufigen Besitzwechsel sucht man zu verhindern, nur im Notfalle soll er erlaubt sein; aber dann darf nur an Personen verkauft oder verpachtet werden, die der Obrigkeit angenehm sind, und die die Einwilligung der ganzen Dorfschaft erlangen. Der Verkäufer soll sein Land zuerst in der Versammlung der [140] ganzen Nachbarschaft anbieten, und erst, wenn weder ein Verwandter des Verkäufers, noch ein Nachbar aus dem Dorfe, noch ein solcher aus der übrigen Thorner Weichselniederung sich meldet, darf es ein Fremder erwerben; der Käufer hat der Herrschaft, dem Rat, von jedem Morgen 1 Fl. 30 Gr., der Nachbarschaft aber pro Morgen 3 Gr. in die Lade zu zahlen "zum Anstand" (A. 14). Die Solidarität der Nachbaren tritt in Wirkung in Feuers- und Wassersnot und in Diebstahlsfällen (A. 24, 28). Bricht Feuer aus, oder droht das Hochwasser, so werden die Nachbaren durch Trommelschlag aufgeboten und haben mit ihrem Gesinde zur Hilfe zu erscheinen. Leidet jemandes Hof durch Feuer oder Wasser großen Schaden, so bekommt er von jedem Nachbarn pro Hufe 1 Fl. und einen Balken und 2 Sparhölzer und etwas aus der Lade, auch eine Beisteuer vom Rat. Wird jemandes Vieh gestohlen, so sind sämtliche Nachbaren schuldig, 14 Tage lang den Dieb zu verfolgen und, falls die Verfolgung ergebnislos bleibt, dem Bestohlenen den halben Wert zu ersetzen.

Sehr bezeichnend für die öffentliche Unsicherheit jener Zeit und zugleich für die Vorrechte der oberen Stände ist Art. 25: Jeder Nachbar soll, wenn nichts mehr zu mähen ist, eine Gras- oder Meyer- (nd. Mäher) sense an einem Stock aufrecht festmachen., in der Zeit der Not zur Wehre zu gebrauchen, auch eine gute Axt, einen Spaten und eine Hacke jederzeit im Hause parathalten; auch eine Sturmhaube, Eisenkragen oder Blechhandschuh wird ihm der Zeugherr (d. i. Vorsteher des Zeughauses in Thorn) billig überlassen. Diese Waffen gelten als nagelfest und werden mit dem Grundstück mitverkauft; wer solche nicht hat, soll für keinen Nachbarn gehalten noch angenommen werden. Jedes Dorf soll 2 Trommeln haben, die eine beim Schulzen, die andere bei einem Ältesten, damit in Notzeiten die Nachbaren zusammengetrommelt werden können. Untersteht sich jemand von fürnehmen Leuten (Adel, Bürger) eines Frevels gegen die Bauern, sollen diese zunächst, solange möglich, ehrerbietig, mit guten Worten solchen abzuwenden suchen und, hilft das nicht, die Obrigkeit, den Rat, um Schutz anrufen. Nur wenn dazu keine Zeit ist, und kein anderer Ausweg bleibt, dürfen sie zu solchen Rettungsmitteln greifen, "welche Gott, die Natur und alle Gesetze zulassen".

Sagt der Verwalter eine Wolfsjagd an (was u. a. 1753 und 1755 geschah), so haben sich alle daran zu beteiligen mit einem Rohr oder Spieß oder starken Prügel, bei 3 Mark Strafe. Eine jede Dorfschaft soll überdies ihre Drommel und große hölzerne Waldhörner mitbringen. Jeder soll zur Stellung und Richtung und Fortbringung der Garne Hand anlegen.

[141]Über die Abwehrmaßnahmen gegen die damals große Gefahr von Pestseuchen besagt Art. 27: "Wenn durch Gottes Verhängnis um unserer Sünde willen die Seuche der Pest einreiset", kommt's bisweilen vor, daß einer den anderen freventlicher Weise vergiftet und ermordet. Solchem soll gesteuert werden. Nächst Gottesfurcht und rechter Buße ist nötig, daß jeder sich in Acht habe, daß er oder sein Gesinde nicht an verdächtige Orte gehe. Handelt jemand dawider, soll er 4 Wochen aus dem Dorfe ausgeschlossen werden und im Walde, Felde oder Hütten abgesondert sich aufhalten. Wohnt ein Pestbefallener im geräumigen Felde, soll er sein Gehöft verblocken und sich aller Nachbargemeinschaft eine Zeitlang enthalten. Wohnt aber jemand in enger Nachbarschaft, soll er sich mit den Seinen im Walde oder in einer Hütte, welche ihm von den Nachbaren alsbald soll zugerichtet werden, eine Zeitlang aufhalten; ihm soll durch den Schulzen täglich seine Notdurft besorgt werden. Wer sich widersetzt, dessen Land ist der Obrigkeit verfallen. Auf Kosten der Nachbarschaft sollen Personen bestellt werden, die den Infizierten warten und pflegen. Das Sitzen im Kruge wird zur Zeit der Seuche verboten. Bettler und Umstreicher sollen dann nicht geduldet, Widersetzliche mit Prügel und Schlägen zum Gehorsam gebracht werden.

Zum Schluß wird bestimmt, daß die Willkür allen Einwohnern jährlich zweimal öffentlich vorgelesen oder zum Lesen gegeben werde.

"Wenn Schulze, Älteste und Einwohner solcher Ordnung in Gehorsam nachkommen, werden sie den Segen Gottes erhalten, ihrer Obrigkeit Gunst an sich ziehen und selbst großen Nutzen, Frommen und Gedeihen hieraus empfinden, darzu Gott seinen gnädigen Segen mildiglich verleihen wolle."

Die Ordnungen der Höhendörfer Gremboczyn, Rogowo und Rogowko41) entsprechen denen der Niederungsdörfer völlig bis auf unwesentliche, durch örtliche Verhältnisse bedingte Abweichungen.

Ergänzt wird das Bild, das die Willkür von den städtischen Holländerdörfern gibt, durch die Handfesten. Wir ersehen daraus, daß nur Scharnau, Bösendorf und Pensau Scharwerksdienste zu leisten hatten, und zwar jeder "Untertan" 6 Tage im Jahr mit 4 Pferden. - Über Leistungen an Pfarre und Schule, besagen die Handfesten, daß Gurske und Alt-Thorn die Wohngebäude instand zu halten, ferner dem Prediger 400 Mark prß., Butter und Korn zu liefern und freies Fuhrwerk nach Thorn zu stellen hätten; die Bauern in Scharnau, Bösendorf und Pensau mußten Geld und Korn geben42). In der Handfeste von Schar[142]nau heißt es noch, daß von den Leistungen für Pfarrer und Lehrer "die Kirchenväter zu Alt-Thorn und Gurske, zu denen im Namen der 3 Dorfschaften Scharnau, Bösendorf und Pensau einer oder zwei aus Pensau (dem der Kirche nächstgelegenen der 3 genannten Dörfer) nach Beliebung E. E. Rats erkoren werden sollen", dem Halter zu Alt-Thorn und Gurske jährlich Rechnung zu tun43).

 

W a r u m  n a n n t e  m a n  n u n  d i e s e s  n e u e,  s e i t  d e r  z w e i t e n  H ä l f t e  d e s  1 6.  J a h r h u n d e r t s  a u f g e k o m m e n e  D o r f s y s t e m  d e r  l a n g f r i s t i g e n  E r b p a c h t  u n d  S e l b s t v e r w a l t u n g "h o l l ä n d i s c h" ? Nun, eben nach den Holländern, mit denen es in der Weichselniederung seinen Einzug hielt.

Schon im Mittelalter haben viele niederländische Kolonisten einen trek naar het Oosten, einen Zug nach dem Osten, gemacht und sind in deutsche Landstriche übergesiedelt ("der Fläming" in der Mark Brandenburg). Eine spätere, starke protestantische niederländische Auswandererwelle strömte dann im 16. Jahrhundert ostwärts, als unter Karl V. und Philipp II. die Protestanten in den Niederlanden schwer bedrückt wurden; sie kam im Herzogtum Preußen, aber auch in Polnisch-Preußen zum Stehen (das Weichselland hatte sich vom Deutschen Orden losgerissen und 1454 unter die Schirmherrschaft des Polenkönigs begeben). Der Danziger Rat setzte im Jahre 1540 Holländer im Danziger Werder an; dort war die Kulturarbeit des Deutschen Ordens durch Kriege und andere Ursachen fast völlig vernichtet, die Weichseldämme zerrissen, die Ländereien standen einen Teil des Jahres unter Wasser. Die fleißigen, zähen Holländer, mit Arbeit in Flußniederungen vertraut, machten sich an die Arbeit und leisteten Großes. Noch 100 Jahre später rühmt Wladislaus IV. in einer den Mennoniten erteilten Urkunde: "mit Wissen und Willen des Durchlauchtigsten Königs Sigismund August haben sich eure Vorfahren hierherberufen lassen, in Gegenden, die damals öde, versumpft und ungenutzt dalagen; mit heißer Mühe und gewaltigem Kostenaufwand haben sie diese Gegenden fruchtbar und nutzbringend gemacht, indem sie das Gesträuch rodeten, Pumpwerke anlegten, um das Wasser aus den überfluteten und verschlammten Gründen zu entfernen, und Dämme gegen die Überschwemmungen der Weichsel, der Nogat usw. aufrichteten"44). Kein Wunder, daß man auch im übrigen Polen auf die Holländer aufmerksam wurde und, indem man sie ansiedelte, Unland in fruchtbare Ackerfelder und saftige Wiesen verwandeln ließ: so im Marienburger Werder, in den Starosteien Stuhm44a), Graudenz und Schwetz, im städtischen und bischöflichen Gebiet von Kulm. Und überall [143] wiederholte sich das, was im Danziger Werder geschehen war*): Sumpf, und Unland, das nie oder seit langer Zeit nicht mehr unter Kultur gestanden hatte, wurde in harter Arbeit urbar gemacht. In der Niederung suchte man sich gegen die verwüstenden Weichselüberschwemmungen durch Anlegen von Dämmen zu sichern, dann reinigten Axt und Rodehacke den Boden von Gestrüpp, Gräben leiteten das auf den Feldern stehende Wasser ab, und bald bedeckte sich der fruchtbare Schlickboden mit Gräsern, zum Unterhalt des Viehs geeignet. Alle Holländerdörfer in der Niederung sind nicht vorwiegend auf Ackerbaubetrieb, noch weniger auf Fischerei eingestellt, sondern hauptsächlich auf Wiesenbau, Viehzucht und Milchwirtschaft. Und gerade in der Viehzucht hatten es die Holländer in ihrer Heimat zur Meisterschaft gebracht; in der Herstellung von melkinde speise als putter, käse, zwergen (Quarkkäse) waren sie unübertroffen45). Die Ländereien, die bis dahin für ihre Besitzer von nur sehr geringem Wert gewesen waren, brachten jetzt durch das Pachtgeld der Holländer großen klingenden Gewinn. So riefen denn bald auch in der Thorner Gegend Starosten und Großgrundbesitzer und die Stadtväter von Thorn solche Holländer herbei. Schon Anfang des 17.Jahrhunderts sind, wie oben ausgeführt, beide Weichselufer zwischen Schulitz und Wloclawek mit "holländischen" Kolonien besät, und 1629 bereits besitzen "Holländer" auf der Sachsenkämpe bei Warschau ein Siedlungsprivileg!

Daß so viele "Holländer" in die Weichselniederung einströmen und hier so zahlreiche Dörfer ganz oder zum Teil neubesiedeln konnten, lag daran, daß die ländliche Bevölkerung im Laufe der Zeit stark abgenommen hatte. Von Scharnau z. B. wissen wir, daß schon 1437/38 von 60 Hufen 11 wüst lagen, in Bösendorf von 36 Hufen 16, in Pensau waren von 20 Hufen nur 9 besetzt46). Der 13jährige Krieg sodann (1454-66) zwischen dem Deutschen Orden und Polen verwüstete ganze Landstriche völlig und machte sie menschenleer. In der darauf folgenden Friedenszeit suchten immer wieder Pestseuchen die Städte und Dörfer heim und entvölkerten sie (in der Thorner Gegend 1526 und 1528; 1564 großes Sterben; 1572 sollen in der Stadt 10.000 Menschen gestorben sein; 1587 starben in Thorn an 3.000 Menschen; auch die Dörfer sind gewiß nicht ver[144]schont geblieben). - In derselben Richtung wirkten Hochwasserschäden. Es wird in der Niederung um Thorn herum ähnlich ausgesehen haben wie damals im Danziger Werder; der Damm wurde erst im Jahre 1586, und zwar zunächst auch nur von Winkenau bis zur Gursker Kirche geschüttet47), wozu sicherlich den le[t]zten Anstoß das fürchterliche Hochwasser von 1584 gab, das damals in Thorn 8,58 m über Null stand, so daß man im untern Teil der Brückenstraße Kahn fahren konnte (siehe die Wasserstandsmarke im Brückentor und an der an die Defensionskaserne anstoßenden Mauer!). - Endlich kam dazu in Polen (wie auch im Deutschordenslande) die immer drückender werdende soziale Lage der Bauern. Zwar der Geldzins konnte, wie in früherer Zeit, immer noch aufgebracht werden; zu diesem war aber im Laufe des 14. Jahrhunderts Lieferung an Geflügel, Eiern, Hanf usw. gekommen, ursprünglich freiwillige Gaben, allmählich aber als schuldiger Zins betrachtet und eingefordert, und ferner der Zehnte, d. h. von jedem Pfluge (= 4 Hufen) ein Scheffel Weizen und ein Scheffel Roggen, der entweder in natura eingesammelt oder nach Übereinkommen in Geld umgerechnet wurde. Peinlicher noch empfand man die persönlichen Frondienste, das Scharwerk. Hatte der deutsche Bauer anfangs, im 13. Jahrhundert, lediglich die Pflicht der Spanndienste, d. h. der Gestellung von Wagen und Pferden für Reisen des Grundherrn durch die Dorfflur, so mußte er jetzt vom 14. Jahrhundert ab, persönlich für den Herrn (fron) arbeiten: mähen, pflügen, Heu rechen, bei der Jagd und beim Fischfang helfen, während er früher solches nur gelegentlich aus Gefälligkeit gegen Bewirtung auf Bitten des Herrn getan hatte (das waren die in den benachbarten deutschen Ländern üblichen sog. Beden, Bittdienste); und, forderte man im Jahre 1300 und 1364 in Kostbar und noch 1388 in Obernessau nur 4, dann 5 bis 6 Tage im Jahre solche persönliche Arbeit, so wurde es im 15. Jahrhundert – in Nieder-(Groß-) Nessau schon im Jahre 1409 - allgemein Pflicht, in jeder Woche einen Tag für die Herrschaft zu arbeiten, was für das polnische Reich dann der Reichstag zu Thorn 1520 zum Staatsgesetz erhob. Auch mehrere Tage in der Woche zu arbeiten, wurde vereinzelt üblich, bis noch vor Ende des 16. Jahrhunderts die ganze Arbeitskraft des Bauern dem Grundherrn gehörte, er also nur noch Knecht seines Herrn war. Diese Überlastung mit Scharwerksarbeit, dazu die Fesselung der freien Bewegung, willkürliche Behandlung durch den Grundherrn ließen den armen Hörigen nur e i n e Möglichkeit zur Besserung ihrer Lage: Flucht aus dem Dorfe, Abwanderung. Jede Geschichtsquelle des 16. Jahrhunderts lehrt, wie hunderte von Dörfern damals ganz verödet und zu Wüstungen geworden sind, wie selbst in den noch bestehenden Dörfern viele Grundstücke [145] aus Mangel an Arbeitskräften brach lagen. Das gilt von polnischen und auch von vielen allmählich polonisierten, ursprünglich deutschen Bauern und ihren Dörfern. So war also für Neubesiedlung Raum genug vorhanden.

Nicht alle Ansiedler in den sogenannten Holländerdörfern waren der Abstammung nach Holländer. Wohl waren diese in den ersten Zeiten die Bahnbrecher, und auch später sind am ganzen Weichsellaufe in vielen "Holländer"-Dörfern Nachkommen jener ersten holländischen Einwanderer zu finden, was ihre Vor- und Familiennamen und ihre religiöse Stellung beweist; denn man kann annehmen, daß fast alle Mennoniten eingewanderte Niederländer waren. Felicia Szper "Nederlandsche Nederzettelingen in West Pruisen gedurende den poolschen tijd", Enkhuizen 1913, sagt Seite 202 Anm.1: Die große Welle der niederländischen Flüchtlinge, die 1567 ff. in Preußen ankamen, waren hauptsächlich Mennoniten; seit 1572 kann man annehmen, daß alle Niederländer Mennoniten waren. - Was nun die holländischen Namen der Bauern betrifft, so ist, wenn in Langenau 1596 bis 1600 Konrad von Winterswik, Adrian Hansson, Simon Jansson, Willem Adrianß, Cornelius Willemßen u. a. sitzen, ohne weiteres klar, daß es sich hier wirklich um Nachkommen von Holländern handelt. Wenn in Alt-Thorn von den i. J. 1574 angesetzten Bauern 20 Jahre später, bei Erneuerung des Pachtvertrages, mehrere ihren Stab weitersetzen und ihre Grundstücke den Nachbarn übergeben mußten, weil man "die Wiedertäufer" d. h. Mennoniten, auf den Stadtdörfern "nicht leiden wollen", so läßt das darauf schließen, daß es Holländer waren. Und was für Alt-Thorn bezeugt ist, darf man für die anderen Thorner Stadtniederungsdörfer, also für Gurske, Pensau, Bösendorf und Scharnau, ebenfalls annehmen. - Wenn in Obernessau im Jahre 1815 zwei Drittel der Bauern Mennoniten mit holländischen Namen waren und das Dorf nur eine mennonitische, aber keine evangelische Schule hatte48), und wir diese Verhältnisse auf die Anfangszeit übertragen dürfen, so handelt es sich hier ebenfalls, um wirkliche Holländer. - Anderseits bezeugt die Willkür von Neu-Schlingen von 1562, daß dort "Teutsche" siedeln sollten, nur eben nach "hollandisch Weis' und Gebrauch". Und in Weichseltal (Przylubie) hat von den ersten sieben "Holländern" nur Harman Berenths einen holländisch klingenden Namen49). - Sind die in den Kirchenbüchern der Gemeinde Gurske in den Jahren 1614-42, bezeugten Bauern mit holländischen, ganz unpreußisch klingenden Namen holländischer Abkunft? Höchstwahrscheinlich. Dann muß man annehmen, daß sie nicht Mennoniten waren, oder daß sie sich nach ihrer Niederlassung zur lutherischen Kirche gehalten haben, was im Gursker Kirchspiel und auch anderswo des Öfteren tatsächlich vorgekommen ist. -

[146]Im Einzelfall ist die Entscheidung oft unsicher. Zuweilen mag ein Bauer von preußischer oder pommerscher Abstammung seinen Kindern bei der Taufe Vornamen gegeben haben, die ihm bei seinen Nachbarn holländischer Herkunft gefielen. Umgekehrt: wenn nach dem ältesten Taufregister der neustädtischen Gemeinde Thorn ein Bauer aus Nessau, Peter Sieffert, im Jahre 1614 seinen Sohn taufen läßt, so würde unmöglich aus seiner Namensform allein auf holländische Abkunft zu schließen sein; und doch stammte er, wie ausdrücklich gesagt ist, aus "Frießland", d. h. wohl aus dem holländischen Frießland, und er war vermutlich Mennonit, denn sein Sohn war bei der Taufe 21 Jahre alt. - Immerhin: wenn auch in Einzelfällen die Namen über die Herkunft täuschen, im großen und ganzen gibt doch wohl Namensform und Bekenntnis einen genügenden Grund zur Beurteilung, ob holländisch oder nicht.

Leider werfen die Kirchenbücher für unsere Frage nicht soviel ab, wie wir es wünschen möchten, da in ihnen ja nur die Taufen usw. übergetretener Mennoniten eingetragen, alte Taufregister der Mennoniten selbst aber aus unserer Gegend nicht erhalten sind. Zu den Kirchenbüchern der evangelischen Gemeinden Thorns und denen von Gurske ist auch das der katholischen Gemeinde Podgorz hinzuzunehmen, in deren Kirche viele Kinder evangelischer Bauern der linksseitigen Weichselniederung getauft sind; im 18. Jahrhundert ist in manchen Jahren ihre Zahl ebenso hoch wie die der katholischen Kinder der Podgorzer Gemeinde! Stets steht dann bei der Eltern und Paten Namen der Vermerk: acatholici! - Sonstige Quellen, Pachtkontrakte u. a. fließen, was die Namen der ersten Ansiedler betrifft, nur sehr spärlich.

Mit Berücksichtigung der Mennoniten und der in Kirchenbüchern und sonst vorkommenden Namen von Bauern der Thorner Gegend läßt sich folgendes sagen:

In Neu-Schlingen (Schillno) 1562 kein wirklicher Holländer*).

Im Raume von Alt-Thorn bis Scharnau: bis 1594 einige Mennoniten, nachher, im nächsten Menschenalter, nur noch lutherische oder lutherisch gewordene Holländer, und zwar kann man als solche folgende in Anspruch nehmen: Jan Abrahams, Arend Arends, Jan Brandt und Cornelius Brandt, Jan Clasen, Cornelius [147] (Merten, Jan, Peter, Simon C. in Scharnau und Bösendorf noch um 1650), Jan Henrich, Schulz in Gurske (1624, 49), Abraham Henrichs, Just Henrichs aus dem Danziger Werder (1622), Melchior Henrichs, Schulz in Scharnau; bei Thrina Henrichs ist die Sachlage völlig gesichert, denn sie ist die Tochter des Wilhelm H. "aus Groeningen in Niederland" (1630); Daniel Jakobs, Jansen, Hans Knoof (Plattdeutsch Knoop, Hochdeutsch Knopf), Manasse Mimer, langjähriger Schulmeister, Kirchendiener und Notarius in Gurske, Wessel aus der Gegend von Marienwerder; Jan Wessel, Schulz in Bösendorf; Peter Wessel in Gurske; Cornelius Simonß. Gewiß ist bei den Namen auf -s und -sen auch ostfriesische und holsteinische Herkunft möglich und einmal wirklich bezeugt, nämlich bei Cornelius Lauertzsen "aus Holstein gebürtig", getraut 1666, doch ist dies wohl nur eine seltene Ausnahme, da im übrigen "nie von niedersächsischen, jütischen, mecklenburgischen Einwanderern, sondern nur von holländischen die Rede ist"50).

Auf dem linken Weichselufer: In Langenau, wie schon bemerkt, 1596 ff. zahlreiche Nachkommen von Holländern. - In Weichseltal 1 oder 2. Innerhalb der Starostei Dybow 1605 in Nessau Abraham (Peter und Michel; 1622 "einer von 18 Jahren getauft und Abraham genannt"), Cornelius Hubener, Cornelius Goricz, Cornelius Gurisch, Wilhelm Hansen, Merten Janssen, Peter Jakobs (sein Sohn: Isbrand), Cornelius Leonhardt; Albrecht Schwarzbart läßt seine 18jährige Tochter taufen, Henrich Schwarzbart, 31 Jahre alt, sich und seinen Sohn Henrikus; Gerdt Raderecht läßt seinen 17jährigen Sohn taufen, Peter Thomas (Domas, Thom) läßt seinen 19jährigen Sohn taufen. Christoph Strasburg, gewesener Schulmeister zu Nessau, ein Manist, läßt 1651 seine 2 Töchter, Zwillinge von 19 Jahren, taufen, im Jahre darauf auch noch eine 17jährige Tochter*). Im 18. Jahrhundert Cornelus Berendt, Abraham Janson. Aus dem bei Nessau liegenden Kostbar (Kozibor) läßt 1749 Josef Flamke ex Mennonistica secta, eben erst selbst getauft, seine 14jährige Tochter taufen.

In Rudak sind als Nachkommen von Holländern anzusprechen, aber erst in späterer Zeit bezeugt: Cornelius Lawert, Peter Ogebrecht, Wilhelm Wilhelms im 17. Jahrhundert und Peter Dirks, Michel Gerts, Bartelmäus Fris, Cornelius Strehlen im 18. Jahrhundert. - In Czernewitz Zacharias Bralantin (Brabantin?), Jan Wilhelmß, Johann Gerts, Jakob Jakobß; Simon Bockmann (Bochmann?), der 1637 seinen 16jährigen Sohn Simon und zugleich den einjährigen Paulus taufen läßt; Abraham [148] Weyner, Marianne Derx, Michel Jobsen, Absalom Komer (Korner?). - In Ottlotschin Cornelius Leonhard (1630). -In Wolschewo (östlich an Ottlotschin anstoßend) Georg Tewes, Cornelius Kopf im 17., Henrich Willemson im 18. Jahrhundert. In Schlonsk (Sl/o´nsk) wohl Hermes Krin, Wilhelm Trewes, Andreas Bennije, Peter Salomon, alle im 17. Jahrhundert. – In Bogpomos: Friedrich Detmes (1612).

In Wirklichkeit haben sicherlich mehr Bauern holländischer Herkunft in dem Thorner Raum gesessen, als es nach unseren spärlich fließenden Quellen erscheint.

Die wirklichen Holländer waren so ausschlaggebend, daß ja, nach ihnen die Dörfer eben "holländische" und schließlich a l l e  Bauern in den Niederungsdörfern von Deutschen und Polen "Holländer" genannt wurden. Der Ausdruck "Hauländerei" für "Holländerei" kommt erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts auf, als man die wirklichen Vorgänge und Verhältnisse nicht mehr genau kannte. Auch das im Weichsellande gebräuchliche Worte "flämsch" für einen großen, breitschultrigen, etwas, schwerfälligen Menschen zeigt, daß der Typus des Holländers hier wohlbekannt war. Indessen haben die Holländer wohl in keinem "holländischen" Dorf des polnischen Preußens das ausschließliche Element und nur in sehr wenigen Dörfern (wie Obernessau und Langenau) die Mehrzahl der Bauern ausgemacht, wie denn auch aus der holländischen Sprache nur 2 Ausdrücke (pootschaable, schplesse) in das Plattdeutsch unserer Gegend übergegangen sind*). Überall finden wir neben ihnen unter den ersten Ansiedlern, und späterhin erst recht, nichtholländische, deutsche Männer, wie ebenfalls wieder deren Namen beweisen, Menschen, die besonders aus Pommern, aber vereinzelt auch aus hochdeutschen Gebieten hierher übergesiedelt waren**). Bei den Nachkommen der Holländer ging ihre besondere holländische [149] Stammeseigentümlichkeit schon in der nächsten Generation in der allgemein niederdeutschen Eigenart der zahlreichen anderen Kolonisten hier auf, zumal da Nachschübe aus dem Heimatlande seit dem Ende des 16. Jahrhunderts, also seit Abschüttelung des spanischen Joches und Aufhören der religiösen Vergewaltigung der Evangelischen nicht mehr erfolgten, und in Eigenart und Sprache die Holländer sich erst seit dem 16. Jahrhundert stärker von den Niederdeutschen abheben; bis dahin waren die Bewohner der zum Deutschen Reiche gehörenden Niederlande eben nur eine besondere Spielart der Niederdeutschen.

W i e  s a h  n u n  e i n  H o l l ä n d e r d o r f  a u s,  abgesehen von den gegen früher weit besser entwässerten, sorgfältiger bestellten Äckern, den Wiesen und den Weiden mit dem Vieh, auf dessen Zucht man besonderen Wert legte?

Die Weichselniederungsdörfer der Thorner Gegend aus der "Holländerzeit" sind so angelegt, wie andere durch die mittelalterliche holländische Kolonisation an den deutschen Meeren und Flußufern, an der unteren Elbe, in Pommern, Ostpreußen nach holländischem Muster ausgebildete sog. Marschhufendörfer. Die Häuser liegen mit wenigen Ausnahmen in einer Reihe an der Dorfstraße dem Flusse parallel, entweder im Schutze des Dammes (Gurske - wo aber trotzdem einige Gehöfte noch auf künstlich aufgeworfenen Hügeln stehen -, Pensau) oder mehr landeinwärts auf dem ansteigenden Boden (Schillno, Weichseltal, Langenau, Slonsk). Doch stößt nicht, wie bei den sog. Straßendörfern, Gehöft dicht an Gehöft, sondern diese sind durch die ganze Breite der zugehörigen Grundstücke, die sich von den Gehöften in rechteckigen Streifen nach dem Flusse hinziehen, voneinander getrennt. - Die Marschhufendörfer, in denen jeder Bauer auf seiner in e i n e m  Stück zusammenhängenden Ackerflur sitzt, von den Nachbarn durch die ganze Breite seines Grundstückes getrennt, so daß er und seine Hausgenossen nicht Zeugen jeder kleinsten Begebenheit dort sind, nicht bei jeder Gelegenheit ein kleines Schwätzchen anfangen, nicht stets sich von ihnen helfen lassen oder ihnen helfen können, entsprechen ebenso der auf sich selbst gestellten, verschlosseneren niederdeutschen Art, wie die Straßen- und Haufendörfer mit ihren sich eng aneinanderschließenden Häusern in Mittel- und Süddeutschland der lebhafteren, mitteilsameren, geselligeren [150] Art ihrer Bewohner. Der naheliegenden Gefahr aber der Eigenbrötelei und Gleichgültigkeit gegenüber dem allgemeinen Wohl und Wehe beugte in den "holländischen" Marschhufendörfern der straffe Zusammenschluß der "Nachbarschaft" genügend vor.

Jedes Grundstück war deutlich begrenzt durch dichtgeflochtene Zäune, durch Ricken, oder Gräben, jeder Hof außerdem durch eine "Hofwehr". Vor jedem Hause ein Blumengarten (im 19. Jahrhundert Levkoyen - Figeletten -, Reseda, Astern, Strohblumen, Rittersporn, Salbei, Narzissen, Lavendel, Rosmarin, Majoran, Zentifolien). Nirgend auch fehlte der Obstgarten (im 19. Jahrhundert rote und weisse Stettiner, Kantäpfel, Hasenköpfe, Nonnenzitzen; Zucker-, Mehl-, Hangebirnen, Bergamotten; viele Pflaumenbäume: weiße, schwarze, Zuckerpflaumen, Gluppken (d. h. Pflaumen, deren Fleisch fest am Kern sitzt). Das Obst wurde gedörrt, Pflaumenkreude gekocht. Außerdem gab es hier und da auf dem Felde Kruschkenbäume, deren Früchte gedörrt oder "molsch" gegessen wurden. - Zu jedem Gehöft gehörte ein Brunnen, dessen Ziehstange hoch in die Luft ragte. (poln. Zoraw, Kranich).

Die Häuser, auf Fundamenten von Findlingsblöcken errichtet, waren stets einstöckig, überall aus Holz (in Rudak wurde das erste massive Haus kurz vor 1870 an Stelle eines abgebrannten hölzernen errichtet), was bei der Nähe der großen Wälder ja selbstverständlich ist; in Blockholzart als Schurzbohlenbau hergestellt, d. h. die oft nur roh behauenen Stämme wurden der Länge nach aufeinander gelegt, an den Hausecken im Schwalbenschwanzverband zusammengefügt, "gekämmt", die Ritzen mit Moos verstopft oder mit weißgetünchtem Lehm, so daß, wenn das Haus alt und die Bohlen allmählich tief gebräunt, fast schwarz geworden waren, die alten Deutschordensfarben, das preußische Schwarz-Weiß, sie sehr eigenartig kennzeichneten; darüber das steile Stroh- oder Schilfdach, allmählich mit grünem Moose sich dicht bedeckend. In solchem Hause wohnte es sich im Sommer schön kühl, im Winter warm.

Meist kehren die Häuser der Straße die Längsseite zu. Die ältesten noch erhaltenen stammen, wie aus den in einen Deckbalken des Wohnzimmers eingeschnittenen Inschriften zu ersehen ist, aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, doch ist ganz zweifellos die Hausform, die über das ganze östliche Westpreußen und über Ostpreußen verbreitet ist, älter; sie hat sich aus der mitteldeutschen Hausform entwickelt, ähnelt aber im Äußeren mehr dem einstöckigen niedersächsischen Bauernhause. Der Grundriß läßt eine klare Dreiteilung erkennen. Der Eingang ist stets in der Mitte der Längsseite. Er führt vermittels [151] einer horizontalen zweigeteilten Tür (die untere Hälfte ist gewöhnlich geschlossen, die obere im Sommer offen) in den das Gebäude quer durchschneidenden Hausflur (dat huus) mit seinem großen, gemauerten Herd, über den sich ein mächtiger, sich nach oben verjüngender Rauchfang wölbt, die "schwarze Küche"; hier wird das Viehfutter und im Sommer auch das Essen für die Menschen gekocht, Brot gebacken, Würste und Schinken geräuchert. Vom Flur aus geht man (meist nach rechts) in die große Wohnstube (der Unterzug der Stubendecke, die Balken sind sichtbar), an deren eine Längsseite sich die Winterküche und eine Kammer anschließt; nach der anderen, meist der linken Seite hin, kommt man aus dem Flur in den Stallraum (für Pferde, Kühe, Schweine; nur die Mennoniten legten gewöhnlich den Schweinestall besonders, nördlich vom Hause, des Gestankes wegen). Vom Stallraum waren ein bis zwei kleine Kammern abgeschlagen, wo die Dienstmädchen und die Altsitzer hausten; die Knechte schliefen im Stall selbst oder darüber auf dem Boden. Im rechten Winkel zum Hause steht die Scheune mit Quertenne (Dreschdiele) und mehreren Gefächern (fak). Nur kleinere Bauern bringen sie im Anschluß an den Stall im Hause selbst unter. Das Dachgeschoß über den Wohnräumen war Kornboden (das ausgedroschene Korn lag da in großen Haufen) und Rumpelkammer; über dem Stall der Heuboden. - In den Wohnstuben der größeren Häuser standen, wenigstens im 18. Jahrhundert, oft recht stattliche solide Schränke, Truhen, Tische und Stühle, die meist nicht fertig in der Stadt gekauft, sondern von herumziehenden, auf den einzelnen Gehöften kürzere oder längere Zeit gegen Kost und bescheidene Bezahlung arbeitenden Dorftischlern (Landmeistern) aus den gut abgelagerten Hölzern des Hofes angefertigt und mit bunten, lustigen Farben angestrichen wurden, wenn man es nicht vorzog, sie nach dem Vorbilde der Städter mit eingelegten Hölzern – Intarsien – zu schmücken. Große Standuhren mußten natürlich gekauft werden; man bevorzugte im 18. Jahrhundert solche englischer Herkunft. Leider ist von dem alten, guten Hausrat in den uns hier angehenden Dörfern nur sehr wenig in die Gegenwart hinübergerettet worden.

Die stattlicheren Häuser in unseren Niederungsdörfern – es sind zum Glück noch einige erhalten – haben vor dem Eingang eine Vorlaube, von Holzstützen getragen; ihr in das Dach quer einschneidender Oberstock ist Vorratsraum. Sehr selten (ich habe es nur einmal in Langenau gesehen) entspricht der Vorlaube über dem Vordereingang noch eine zweite an der Rückseite, so daß die Grundrißform eines Kreuzes herauskommt.

Die Holländersiedlung veränderte nicht nur das Landschaftsbild, sondern auch das Kirchenwesen der Weichselniederungs[152]dörfer, die nunmehr völlig evangelisch (lutherisch und mennonitisch) wurden und es geblieben sind. Im Mittelalter waren die Bauern natürlich katholisch gewesen und hatten auf dem linken Flußufer zum Bistum Kujawien*) gehört (der Bischof und sein Domkapitel residierten in Wloclawek, deutsch: Leslau). Die Bauern von Przylubie waren also in die katholische Kirche zu Schulitz gegangen, die von Nessau wohl nach Argenau (Gniewkowo) oder in ein Kirchlein diesseits des breiten, unbewohnten Waldgürtels, das jetzt nicht mehr vorhanden ist, oder sie setzten im Kahn über die Weichsel und hörten in Alt-Thorn die Messe; die Bauern von Rudak gingen vermutlich in die Thorner Kirchen oder nach Kaszczorek - Klösterchen. Wie stark die Reformation Luthers die Bewohner dieser Dörfer, soweit sie in dem verwüsteten Lande sich noch gehalten hatten, erfaßt hat, wissen wir nicht. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war ja freilich der größere Teil des polnischen Adels evangelisch, und wenn der Grundherr es wurde, folgten ihm seine "Untersassen" selbstverständlich. Ob der Edle Przylubski und der Starost von Dybow sich zum Protestantismus hielten, ist nicht bekannt; aber selbst wenn sie es getan hätten, wäre es für die Folgezeit nicht ausschlaggebend gewesen. Denn ebenso stumpf wie diese im 16. Jahrhundert wohl schon stark verpolten, wenn auch, wie in Nessau und Rudak, ursprünglich deutschen Bauern die Reformation über sich ergehen ließen, so auch die Gegenreformation, die schon unter Stefan Bathory (1576 ff.) und dann erst recht unter dem Schweden Sigismund III. (1587 ff.) die evangelischen Gemeinden wieder verschlang. Die "Holländer" aber, d. h. die Bauern, die um 1600 die Weichselniederungsdörfer neu besiedelten, waren bewußte Protestanten und entschlossen, ihrem Glauben treu zu bleiben. Ihnen wurde denn auch ausdrücklich eingeräumt, den Gottesdienst nach ihrer Art ausüben und auf eigene Kosten einen Lehrer unterhalten zu dürfen; und wo dieses Zugeständnis in den Pachturkunden nicht verbrieft wurde, war es doch in allen Fällen die selbstverständliche Voraussetzung ihrer Ansiedlung. Nur Kirchen durften sie nicht erbauen, sie mußten sich mit Andachtsräumen in ihren Schulen behelfen. - So fehlte denn freilich den protestantischen Holländerdörfern jener äußerlich sichtbare Mittelpunkt religiösen und kulturellen Lebens, der in Altdeutschland in jedem größeren Dorf sich findet, Kirche und Pfarrhaus, die ihnen erst in weiter Entfernung in der Stadt [153] Thorn winkten; die Bethaus-Schule, durch nichts anderes als durch ein Holzkreuz am Giebel von einem Bauernhause unterschieden, trat an ihre Stelle. Es fehlte ihnen der Pfarrer, der nur selten, in größeren Zeitabständen, aus der Stadt zu ihnen kam, aber nicht mit ihnen leben konnte; seine Stelle füllte schlecht und recht der Kantor-Lehrer aus, in den Mennonitendörfern irgendein Bauer. Nur in Gurske, in dem Stadtdorf, gab es eine evangelische Kirche und einen Pfarrer; aber da diese eine Kirche für Bauern auf einen Landstreifen von 3 Meilen Länge und 3/4Meilen Breite bestimmt war, konnte von einem regelmäßigen Besuch der Sonntagsgottesdienste keine Rede sein; in den entlegeneren Dörfern mußte auch hier der Lehrer in der Schule mit Andachthalten u. dgl. aushelfen. - Trotzdem waren und blieben sie in jenen schweren Zeiten der Gegenreformation evangelisch, wenn sie auch zeitweise genötigt waren, ihre Kinder in der nächsten katholischen Kirche taufen zu lassen. - Welche Opfer an Zeit, Mühe und Geld diese ihre Treue gegen die evangelische Kirche unter Umständen von ihnen forderte, möge uns ein Beispiel zeigen53). Ende Oktober 1641 erscheint vor dem Gursker evangelischen Pfarrer das Brautpaar Paul Schachtschneider und Ancke Schultzen aus Glinne, also aus der Grünfließniederung, nebst 3 Zeugen aus demselben Dorfe, deutschen Männern, Jochim Wülsandt, Görge Klennerdt, Hans Schultz. Diese erklären dem Pfarrer, daß die Brautleute "sich von Jugend auf zu der evangelischen Kirchen gehalten, und insonderheit die Braut ohne Verletzung ihres Gewissens, sich bei fremder Religions-Kirche in unbekannter Sprache nicht könne trauen lassen, sintemal sie kein Polnisches verstünde"; die Zeugen bekunden, daß beide Brautleute niemandem anders durch Ehegelöbnis verpflichtet und von Geblüt nicht verwandt seien; worauf sie denn der Pfarrer traut. Diese Leute legten also einen fast 2 Meilen langen Weg durch den Wald zurück, einen so sandigen Weg, daß er sicher für Pferde und Menschen eine Qual war, setzten über die Weichsel, erlangten in Gurske die ersehnte Trauung und kehrten denselben langen Weg wieder zurück in ihr Dorf, nun froh, evangelisch und in deutscher Sprache getraut worden zu sein.

Ja, sogar in Lebensgefahr brachte die Bauern ihr kirchlicher Sinn zuweilen, wenn sie, aus den Dörfern am linken Weichselufer kommend, bei Hochwasser oder Eisgang über den Strom setzen oder über die damals geländerlose Brücke fahren mußten. Auf einem losen Blatt im Gursker Taufbuch von 1696 ff. steht, etwas beschädigt, folgendes zu lesen: (Anno) 1609, 28. Febr. Ein Holländer von ...... Przelube (Weichseltal), namens Kersten Knoff, über die Brücke nach der Stadt gefahren, und auf dem Wagen sitzende gehabt seine Hausfrau mit einem kleinen Kinde, [154] welches zu der Taufe (sollte) gebracht werden, ist von der Brücken mit Wagen und Pferden in die Weichsel gefallen; die Frau, das Kind (im) Schwimmen fest erhalten, ist von den Fischern (ge)rettet worden, und das Kind zur Taufe bracht; die Pferde aber auf das Werder (= Bazarkämpe) geschwummen, also daß (kein) Schaden geschehen54) - Im 18. Jahrhundert (vielleicht auch schon früher) verlangte der zuständige katholische Pfarrer für jede Amtshandlung, auch wenn sie der evangelische Geistliche verrichten sollte, Zahlung von Stolgebühren; die Bauern zahlten sie, bekamen für den evangelischen Geistlichen einen Erlaubnisschein zur Vornahme der Taufe oder Trauung und machten sich auf den weiten Weg zu ihm; und selbst wenn sie etwa bei strengem Frost und Unwetter ihre Kinder in der näher gelegenen katholischen Kirche taufen ließen, blieben diese doch wie sie selbst acatholici, evangelisch. Dieser Umstand half ihnen dann wesentlich, auch ihr deutsches Wesen inmitten der polnischen Umgebung zu erhalten. Denn wie früher den deutschen Bauern ihr mit den Polen gemeinsamer Glaube ein Hinüberwechseln ins polnische Lager erleichtert hatte, so war jetzt ihr evangelischer Glaube ein breiter Graben, der sie von den katholischen Polen schied und ihr Aufgehen im polnischen Volke verhinderte.

Ein polnischer Historiker55) faßt sein Urteil über die "Holländer" dahin zusammen, daß ihre Dörfer sich von den sie umgebenden polnischen unterschieden durch ihre Fähigkeit, gegen die Überschwemmungen der Flüsse zu kämpfen und auf dem der Überschwemmung ausgesetzten Niederungsboden zu wirtschaften, und daß sie freie Menschen waren und ein Bewußtsein ihrer Freiheit, dieses für den Menschen höchsten Gutes, hatten; der 2Holländer" brauchte seinen Pachtkontrakt nach dessen Erlöschen nicht zu erneuern, er konnte sein Grundstück verlassen, nachdem er auf ihm einen andern Ansiedler eingesetzt hatte; er konnte seinen Kindern einen Beruf wählen, der ihnen gefiel. "Im 17. Jahrhundert, einem Zeitabschnitt der Bedrückung des polnischen Bauernstandes, bewahrten die Holländer die Überlieferungen des alten selbständigen Dorfes und freier Bauern."

Hoch klingt das Lied vom braven Mann, dem "holländischen" deutschen Bauern der Weichselniederung. Weder die Gefahren, die jedes Jahr vom Strom her drohten und oft genug furchtbare Wirklichkeit wurden, noch die fast jedes Menschenalter ausbrechenden Kriege und inneren Wirren des polnischen Reiches mit ihren Verwüstungen, schreckten sie ab. Immer wieder begannen sie von neuem, den Boden zu beackern und ihr schönes Milchvieh zu züchten, treu ihrem deutschen Volkstum und ihrem evangelischen Glauben bis ans Ende.


 

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© 2000   Volker J. Krueger, heim@thorn-wpr.de
letzte Aktualisierung: 22.11.2008