HEIM@THORN Editorial - Inhalt Die Thorner Stadtniederung - Inhalt Das Buch - Inhalt
Quellen - Inhalt Anhang - Inhalt Die Links
1995: Wiedersehen mit der Heimat  


Charlotte Fehlauer


Ein kurzer Bericht unserer Reise
nach West- und Ostpreußen vom 13.- 20.9.1995






Diese Seite ist ein Dokument mit einem Kapitel Text

Wiedersehen mit der Heimat nach 50 Jahren

 

Die Zahl in blauer eckiger Klammer [23] bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang im Original.

Mit einem 50ger Bus, den uns eine Bremer Gemeinde samt Fahrer für diese Zeit zur Verfügung stellte, fuhren wir 19 Schwestern und einer leiblichen Schwester unserer Japanmissionarin Schwester Ida, um 4 Uhr morgens vom Mutterhaus ab. Unsere Hausmutter hatte Schwester Luise als unsere Reiseleiterin erwählt und sie machte ihre Sache hervorragend!

Das erste Ziel war Potsdam mit Schloß "Sanssouci" und dem Cecilienhof, der historischen Gedenkstätte des Potsdamer Abkommens 1945.

In Frankfurt/Oder konnten wir nach 2 Std. und 40 Minuten Wartezeit die deutsch-polnische Grenze passieren. Für diese Fahrt durch Polen hatte Schw. Luise für jeden von uns eine Straßenkarte fotokopiert, sodaß wir die Fahrtroute gut verfolgen konnten. Es war ja nun alles nur noch in polnisch zu lesen. Bei uns auf der Karte standen unter den polnischen Ortsschildern auch die deutschen Namen.

Unser erstes Übernachtungsziel war Weißenhöhe und Samocin in der Nähe von Wirsik. Wir erreichten es gegen 20 Uhr. Die polnische Wirtin, die gut deutsch sprach, hatte uns ein kräftiges Abendbrot (Schmorkohl mit Würstchen) bereitet.

Neun von uns blieben in Weißenhöhe. Der Busfahrer mit den elf übrigen Schwestern fuhr nach Scamocin weiter. Beide Unterkünfte waren sehr gut.

Nach einer guten Nacht und festlichem Frühstück brachen wir um 9 Uhr nach Bromberg auf. Wir passierten dabei Nakel und Wirsitz. Bromberg war uns sehr bedeutend, weil dort viele Schwestern gearbeitet haben und wir gedachten auch des Kriegsausbruchs mit dem Blutsonntag 1939. Weiter ging es an dem Lager Potolice bei Nakel vorbei, in dem einige unserer Schwestern 1945 inhaftiert waren - zwei von ihnen waren unter uns, damals noch junge Mädchen.- Ein riesiges Gelände mit Gaskammern und Wachttürmen. Heute dient es als Gefängnis.

Der Nachmittag galt dann Vandsburg mit ehemaligem Mutterhaus, dem Hauptziel unserer Reise. Das Hauptgebäude des Mutterhauses wird zu einer Hälfte als Gymnasium genutzt und zur andern Hälfte als Landwirtschafts- und Berufsschule mit je 700 Schülern, also insgesamt 1400. Die Kirche ist als Sporthalle umfunktioniert. Die Direktoren beider Schulen waren höflich und nett und ließen uns durch alle Räume gehen.- Hier hat Schw. Luise auch wieder eine gute Vorarbeit geleistet und uns schon einige Tage bevor wir fuhren, anhand von Skizzen die früheren Räumlichkeiten des Hauses erklärt und dann noch jeder von uns eine solche ausgehändigt. Wir hatten sie beim durchgehen in der Hand und konnten uns so gut orientieren. Jetzt waren häufig aus zwei Zimmern ein Klassenraum gemacht worden. Es sah verhältnismäßig ordentlich aus im Haus. Nur draußen war es ungepflegt und voller Unkraut. - Zum Abschluß der Führung bot uns der Direktor der Landwirtschaftsschule in einem Klassenzimmer - eigens für uns nett hergerichtet - noch Gebäck und Erfrischungsgetränke an. Dann wanderten wir zum See hinüber, der ca. 10 Min. entfernt liegt. Oft haben unsere Schwestern uns jüngeren davon erzählt, wie sie dort gerudert und geschwommen haben.

Nach einem kurzen Abstecher zur Schloßruine Runowo ging es wieder ins Quartier zurück.

Der 15.9. war für mich nun der spannenste Tag. Es ging über Bromberg nach Thorn und dabei passierten wir auch Scharnau! Die Fordoner Brücke der Wald und dann lag Scharnau vor uns! Gleich an der Ecke rechts ab auf den Damm, der jetzt asphaltiert ist und mit Bäumen bepflanzt. Rechts von der Fahrbahn nochmal eine Erhöhung. Bei Weinerts war diese Erhöhung durch den Weg durchbrochen. Hier wendete unser Bus und nun ging's auf die Fahrräder, die eigens für dieses Stück Weg mitgenommen wurden.

Schwester Gudrun, mit der ich auf Station zusammenarbeitete, bot sich an, mich zu begleiten. Wir hatten 45 Minuten Zeit. Um keine kostbare Zeit zu verlieren, fuhren wir nicht über Tante Amandas Gehöft. Der Wald rechts reichte bis an den Weg. Links ging der Wald ebenfalls bis an den Weg heran. Nur ein Stück, eben dort wo der Bagger arbeitete, war's frei. Kurz vor Tobers Haus war wieder freie Sicht. Der Weg zur Mühle war gut ausgefahren. Aber zu unserm Haus führte kein Weg mehr. Kniehoch Unkraut, Wildnis!

Es hatte am Morgen etwas geregnet und so war das Gestrüpp feucht. Ich versuchte dennoch den früheren Weg langzugehen. Kam am Fliederbusch vorbei, sah ein paar Obstbäume und den großen Birnbaum. Schräg über unser früheres Ackerland kam von Tobers her eine Frau. In der Nähe des Birnbaumes stießen wir zusammen. Ich sprach sie an und zeigte ihr die mitgenommenen Fotos. Sie konnte kein deutsch und so winkte sie ihren Mann herbei, der in der Nähe von Tobers Haus stand. Leider konnte er auch kein deutsch. Er bedeutete uns aber, daß ihnen das Gelände gehört, sie in Tobers Haus wohnen und daß in der Mühle ein Sohn von Marsukewitz wohnt, dem früheren Besitzer der Mühle. Er nannte auch unsern Namen, nachdem ich mich vorgestellt hatte und er wußte, daß wir abgebrannt sind. Dann suchte ich im Gras nach Steinen und fand auch ein Stück vom Fundament des Hauses und des Stalles. Wo etwa unser Hof war, hatten sie sich eine Baracke hingestellt, die eingezäunt war und es waren dort auch ein paar Blumen. Der Hang war ganz mit Unterholz zugewachsen, sodaß man nicht auf die Wiesen, bezw. Weichsel sehen konnte. Darum versuchte ich unsern ehemaligen Weg hinter der Scheune zur Wiese runterzugehen. Über den Graben, der mit Wasser gefüllt war, lag ein Brett zum überqueren, aber das tat ich der knappen Zeit wegen nicht. Der Blick zur Weichsel war auch hier durch hohe Weiden versperrt. Einige Kühe grasten auf der Wiese. Die Akazien, die hinter dem Stall standen, waren riesengroß. Zum Abschied wagte ich zu fragen, ob ich mir ein paar Birnen aufsuchen durfte; was mir gewährt wurde, ja er pflückte sogar noch ein paar ab und legte sie mir in die Tasche. Dann verabschiedeten wir uns und kehrten zu unserm Bus zurück. Einige Schwestern hatten den Weg zur Fährbuhne ausfindig gemacht und von dort die Weichsel gesehen. Die Räder und die Schuhe sahen nun recht mitgenommen aus als wir den Bus erreicht hatten. Nun ging es noch im Dorf an den Höfen vorbei. Ich konnte es nicht lassen, sie beim Namen zu nennen, als wir an ihnen vorbeifuhren. Der Bahnhof, die Schule! Die katholische Kirche mit Friedhof gut erhalten.

Gegen 1100 Uhr wurden wir von einem deutschsprechenden Herrn in Thorn erwartet, der uns durch einen Teil der Stadt führte: Marienkirche, Johanniskirche, Rathaus, Weichselpromenade. In einem guten Hotel, dicht an der Weichsel, haben wir zu Mittag gegessen und ganz in der Nähe war das Geschäft der Thorner Katharinchen. So ein volles Geschäft habe ich schon lange nicht gesehen.

Unsere Hausmutter hatte unsere Reise so geplant, daß die Schwestern, deren Heimat in der Nähe unserer Reiseroute lag, die Möglichkeit hatten, sie auch kurz anzufahren. So war für zwei Schwestern in Thorn ein Taxi bestellt, das sie nach Leipe bringen sollte, während wir übrigen uns die Stadt ansahen. Leider haben beide ihre Elternhäuser nicht mehr gefunden, weil die Erinnerung zu schwach war. Eine weitere Schwester kam aus Hohensalza. Das war unser nächstes Ziel und dann ging es noch einmal nach Weißenhöhe ins Quartier. Am 16.9. brachen wir um 7 Uhr entgültig von dort auf in Richtung Sensburg/Ostpreußen. Eine Pause machten wir vor Allenstein in einem Freilichtmuseum und der Burg Heilsberg. Das Hotel in Sensburg erreichten wir gegen 21 Uhr. Nach einer guten Nachtruhe und einem stärkenden Frühstück brachen wir nach Lötzen auf. Dort ist eine evangelische Kirche, die ein Neffe einer unserer Schwestern betreut. In dieser Gegend gibt es sehr viele Seen. So war auch eine Dampferfahrt eingeplant auf dem Spirdingsee bei Nikoleiten. Auf dem Weg dorthin machten wir noch bei dem Gut von Graf Lehndorf-Steinort halt. Er gehörte zu den Männern vom 20. Juli und bei den Bunkerruinen des Oberkommandos der Wehrmacht. -Noch einmal Übernachtung im Hotel in Sensburg.

18.9. Aufbruch nach Borken bei Bartenstein, wo die Wiege unserer Schwesternschaft für 1/2bes Jahr stand. Die Kirche in Borken wurde 1945 von den Russen niedergebrannt und mit ihr der Pfarrer. Nun standen wir in der von Gras, Kraut und Bäumen bewachsenen Ruine und sangen das Lied: Jesus lebet, Jesus siegt! Weiter ging es in das Trakenergestüt nach Liski, zum Frauenberger Dom und zum Frischen Haff und schließlich über Elbing zur Marienburg, wo ein vorzügliches Hotel uns für die Nacht beherbergte. Wir hatten vor dem Abendbrot noch Zeit, einen Rundgang an der Nogat entlang und um die Burg zu machen.

19.9. 645 Uhr Abreise über Tiegenhof nach Danzig. Schwe. Luise übernahm die Stadtführung und hat es bestens gemacht: Langgasse, Marienkirche, Krahntor usw. Noch einen Abstecher nach Ludolfine und Oliva, wo auch von uns ein Erholungsheim war. Heute ist es Sportschule. Über Gotenhafen nach Putzig an die Ostsee und dann über Stolp, Köslin nach Stettin. Wieder ein gutes Hotel!

20.9. 730 Uhr Abreise Richtung Berlin. Grenzübergang Pomellen ca. 50 Minuten Wartezeit. Der langsam einsetzende Regen verstärkte sich, je näher wir nach Berlin kamen. Hier wieder Treffpunkt mit einem ausgezeichneten Reiseführer gegen 1000 Uhr. Berlin - eine einzige Baustelle! Wieder viele Begegnungen mit der Geschichte: Brandenburger Tor, Plötzensee mit der Hinrichtungsstätte der Männer des 20.Juli. Tiefe Betroffenheit über soviel Schuld unseres Volkes!

Mittagessen in einem guten Restaurant. Gegen 18 Uhr traf der zweite Busfahrer aus Bremen im Bahnhof-Zoo ein und so konnte sich unser tapferer und treuer Fahrer endlich ausruhen, und wir wurden wohlbehalten kurz nach 24 Uhr aufs Mutterhausgelände gesteuert, wo uns von den zurückgebliebenen Schwestern ein lieber und festlicher Empfang bereitet war.


Lemförde, den 24.09.1995



zurück: Charlotte Fehlauer: Flucht und Verlust von 4 Brüdern
   

HEIM@THORN Editorial - Inhalt Die Thorner Stadtniederung - Inhalt Das Buch - Inhalt
Quellen - Inhalt Anhang - Inhalt Die Links
1995: Wiedersehen mit der Heimat  

© 2000   Volker J. Krueger, heim@thorn-wpr.de
letzte Aktualisierung: 13.03.2004