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Horst Ernst Krüger:


Die Geschichte einer ganz normalen
Familie aus Altthorn in Westpreussen


kommentiert und um Quellen ergänzt von Volker Joachim Krüger


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Ein guter Landwirt kennt jedes seiner Felder und weiß, wie er die Fruchtbarkeit des Bodens heben und einen einmal erreichten hohen Kulturzustand erhalten kann. Meinem Vater kamen die Erfahrungen seines Vaters zugute. Auf gemeinsamen Spaziergängen oder Inspektionsfahrten weihte er mich in die Geheimnisse des Ackerbaus ein. Es kam ihm dabei darauf an, mich in die ganzheitliche Sicht seines Systems einzuführen.

[78] Es beruhte auf den Erfahrungen, die von mehreren Generationen gesammelt und durch fortlaufende Versuche erhärtet worden sind. Die Grundlage seiner Wirtschaftsweise, das begriff ich schon in jungen Jahren, war die Beschaffenheit des Bodens. Es gab kein Feld auf seinem Hof, das er nicht selbst gedüngt, gepflügt, geeggt, gesät, gehackt und abgeerntet hatte. Dadurch wußte er, welche Pflanzen auf den unterschiedlichen Bodenarten den höchsten Ertrag brachten. In jedem Garten gibt es optimale Standorte für eine bestimmte Blume. Hat man sie gefunden, dann dankt sie es mit einer reichen Blütenpracht. Mein Vater hatte zwei Fruchtfolgen eingerichtet, eine auf dem leichteren Boden und eine zweite auf dem sandigen Lehmboden.

Eine wesentliche Bedingung für nachhaltig hohe Erträge war der Viehbesatz. Handelsdünger war knapp und sehr teuer. Er wurde deswegen nur sparsam eingesetzt. In manchen Jahren streute man ihn nicht auf das gesamte Feld, sondern nur auf die Stellen, wo das Getreide, die Kartoffeln und die Zuckerrüben in ihrem Wachstum zurückgeblieben waren, denn ein gleichmäßiger Felderstand war der Stolz meines Vaters. Die Grunddüngung mit Stallmist wurde alle drei Jahre zur Hackfrucht gegeben. Ein Drittel der Wiesen und Weiden wurde ebenfalls jährlich abgedüngt. Für den Viehbesatz wurde die Hauptfutterfläche soweit wie möglich verkleinert, denn mein Vater entdeckte hier eine gewisse Reserve. Mit einem Bündel von betriebswirtschaftlichen Maßnahmen steigerte er die Leistungen der Futterflächen. Die Weiden wurden in sechs gleiche Teilstücke unterteilt, so daß ihre Nutzung durch regelmäßigen Umtrieb intensiviert wurde. Sofort nach Abschluß einer Weideperiode wurden die notwendigen Pflegemaßnahmen durchgeführt. Mineraldünger ließ er nur in geringen Mengen auf das Grünland streuen. Die Wiesen lagen auf den tiefsten Stellen des Hofes. Sie wurden daher zunächst entwässert. Dazu war es erforderlich, sämtliche Gräben und die Vorfluter jährlich einmal gründlich zu reinigen. Da der Wasserabfluß im Frühjahr oder nach großen Regengüssen nicht ausreichend sichergestellt war, baute mein Vater zusammen mit Gustav [79] Wunsch, seiner rechten Hand, dem wir schon einmal auf dem Erntefestbild meines Großvaters begegnet sind, einen bis dahin nicht gekannten Maulwurfspflug. Mit diesem konstruktiv einfachen Gerät wurden von den Gräben ausgehend Drainageröhren zur Wiesenmitte hin gezogen. In den Ausflußöffnungen dieser künstlichen Maulwurfsgänge wurde ein Drainagerohr gelegt, damit sie nicht verstopften. Im Abstand von zwei bis drei Jahren mußten die Maulwurfsgänge mit dem Drainagepflug wieder von neuem gezogen werden. Die auf diese Weise entwässerten Wiesen wurden umgebrochen und neu eingesät. Die richtige Grasmischung und Düngung wurden in Versuchen systematisch ermittelt.

Im Feldfutterbau wurde der bis dahin übliche zweijährige Kleeanbau abgeschafft und dafür Futterrüben und einjähriges Kleegras als Untersaat im Getreide angebaut. Der Bedarf an Winterfutter konnte auf diese Weise besser und vor allen Dingen mit einer geringeren Fläche sichergestellt werden.

Während bei der Heuernte bisher die Bodentrocknung üblich war, wurde von meinem Vater die Reutertrocknung eingeführt. Die Zwischenfrüchte, vorwiegend Landsberger Gemenge, wurden siliert. Zu diesem Zweck wurde ein Grubensilo gebaut, das für den Silagebedarf der größer gewordenen Rindviehherde ausreichte. Das Zuckerrübenblatt und ein Zwischenfruchtfeld mit Sonnenblumengemenge wurden in Erdmieten einsiliert. Die intensive Milchviehhaltung war der biologische Motor des Ackerbaus. "Wir müssen trotz unserer kurzen Vegetationsperiode zweimal ernten" sagte mein Vater und intensivierte deswegen den Zwischenfruchtbau.

Das Reich war für uns durch die unsinnige Korridorgrenze in unerreichbare Ferne gerückt, jedenfalls der Absatz unserer Produkte auf den im 19. Jahrhundert gewachsenen westdeutschen Absatzmärkten war unterbunden. Polen hatte einen Überschuß an Nahrungsmitteln. Die Preise fielen ins Bodenlose, als es in Deutschland mit der Landwirtschaft schon wieder aufwärts ging. Zunächst hatten wir nur Verkaufschancen auf dem regionalen Markt. Milch, Schweinefleisch, Rindfleisch [80] waren von den Thorner Molkereien und Schlachtern gefragt. Getreide war in der ehemaligen Kornkammer des Reiches mehr als genug vorhanden. Man suchte nach Auswegen, mein Vater und später dann auch das sich langsam konsolidierende Polen. Exporte brachten Deviseneinnahmen, die für Importe von Konsumgütern und Maschinen dringend benötigt wurden.

Was kann exportiert werden? Den Zuckerrübenbau hatte schon mein Großvater eingeführt. Die Zuckerindustrie war intakt von Polen übernommen worden. Die Zuckerfabrik in Kulmsee, in der Luftlinie nur knappe zehn Kilometer von uns entfernt, war vor dem Ersten Weltkrieg die größte Europas. Mit dem Zuckerrübenanbau konnten viele Menschen in Lohn und Brot gesetzt werden. Auch daran war unser junger, unerfahrener Staat interessiert. Wer fragte schon nach den Arbeitsbedingungen. Mehr Frauen, als wir für das Handverziehen der Rüben, das Hacken und das Roden mit der Grabegabel im Akkord benötigten, boten sich für die schweren Arbeiten an. Ihre Männer, die arbeitslos oder Hilfsarbeiter in der Stadt waren, halfen ihnen frühmorgens gleich nach dem Sonnenaufgang oder spät am Abend bis tief in die Nacht hinein. Der Erfolg des Zuckerrübenanbaues wurde in der Zahl der fünfzehn oder zwanzig Tonnen fassenden Güterwagen gemessen, die auf dem Wiesenburger Bahnhof beladen wurden. Ich erinnere mich noch genau daran, wie mein Vater sich gefreut hatte, wenn bei einer guten Ernte ein oder sogar zwei Waggons mehr abgeliefert werden konnten als im Jahr davor. Seine Mühen waren dann belohnt, und er hatte den Eindruck, die Polen würden diese Erfolge nicht mißgünstig beobachten. Die polnischen Arbeiter profitierten an ihnen durch den Lohn, den sie verdienten, und der Staat durch eine steigende Zuckerproduktion, die er gegen Devisen exportieren konnte. Im Jahre 1931 betrug der Anteil des Zuckerexportes von Posen und aus dem Korridorgebiet sechsundneunzig Prozent des gesamten polnischen Zuckerexportes. Das war eine Leistung, die sich sehen lassen konnte, denn der Flächenanteil dieser ehemals preußischen Gebiete betrug nur elf Prozent des neuerstandenen Polens.

[81] Speisekartoffeln waren spottbillig. Im Jahre 1934 lag der Erzeugerpreis bei 4,- Zloty je Doppelzentner. Die Markterzeugung war deswegen unrentabel. Mein Vater zog die Schlußfolgerung daraus, daß Speisekartoffeln nur für den Bedarf der eigenen Familie und für das Deputat angebaut wurden. Der Schwerpunkt wurde auf die Futterkartoffeln gelegt, ihr Anbau wurde neu organisiert und auf Maschinen umgestellt, die von Pferden gezogen wurden. Als erstes kam ein Vielfachgerät auf den Hof. In die von der Maschine gegrabenen Pflanzlöcher wurden die Kartoffeln von Frauen aus Bügelkörben hineingeworfen und festgetreten. Die arbeitenden Teile des Geräts konnten ausgewechselt und die Maschine dann auch zum Zudecken, Hacken und Häufeln verwendet werden. Die Kartoffelernte war eine Gelegenheit, bei der mein Vater seine Dispositionsfähigkeit beweisen konnte. Organisieren hatte er als Leutnant gelernt. Jeder Handgriff mußte sitzen, ist immer wieder gedrillt worden, damals in den vier Jahren Frontdienst. Hier wurden die gleichen Fähigkeiten gefordert. Die Gespannführer mit allen Pferden und verfügbaren Arbeitskräften, gleichgültig, ob alt oder jung, männlich oder weiblich, polnisch oder deutsch, und dazu der Kartoffelroder, die Wagen, ein Fließverfahren auf Leistung zu bringen, das machte Spaß.

Das Tempo für die Arbeitskette gab der Gespannführer an, der mit dem Schleuderradroder den Kartoffeldamm aufpflügte und mit den Wurfgabeln über eine große Fläche ausstreute. Die Frauen sammelten die Kartoffeln in Körbe, Männer schütteten sie auf dem Wagen aus und fuhren sie zu den Erdmieten, wo sie abgeladen und sorgfältig eingedeckt wurden. Die Tagesleistung wurde abends an der Mietenlänge gemessen. Man sah, was man geleistet hatte und freute sich darüber, trotz schwerer Rackerei und schmerzendem Rücken. Vor Einbruch des Winters wurden die Futterkartoffeln konserviert. Hierzu stand eine Anlage zur Verfügung, die von der Lokomobile mit Dampf versorgt wurde. Der alte Kippdämpfer in der Futterküche des Schweinestalles war durch sie ersetzt worden. In besonderen hierfür gebauten Steinsilos wurden die gedämpf[82]ten Kartoffeln über mehrere Monate haltbar gelagert und mit gutem Erfolg an die Mastschweine verfüttert. In den dreißiger Jahren ließ mein Vater einen zusätzlichen Schweinestall nach neuesten hygienischen Gesichtspunkten bauen. In ihm wurden Bakonschweine für den Export nach England produziert.


 
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letzte Aktualisierung: 30.07.2004