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Horst Ernst Krüger:


Die Geschichte einer ganz normalen
Familie aus Altthorn in Westpreussen


kommentiert und um Quellen ergänzt von Volker Joachim Krüger

Diese Seite ist ein Dokument mit einem Kapitel Text

Meine Jugend im Korridor

 

Die Zahl in blauer eckiger Klammer [23] bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang in der Originalausgabe, die dem Herausgeber vorliegt.

Hinter dem eröffnen sich genealogische Zusammenhänge in Bezug auf die betreffende Person.

Falls Sie sich den Originaltext, um den es an der so bezeichneten Stelle geht, ansehen wollen, so werden Sie hier fündig.

Mit diesem Zeichen weist der Herausgeber dieses Dokuments auf Bemerkenswertes hin und

mit diesem Zeichen macht er auf Fragen aufmerksam, die sich ihm zu dem jeweiligen Text gestellt haben.

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Und falls Sie mehr über die soKurzbiographie gekennzeichnete Person erfahren wollen, finden Sie hier eine Kuzbiographie.

[75]Unser Wohnhaus war alt, die Dachziegel brüchig, und die Inneneinrichtung entsprach in keinster Weise den Bedürfnissen unserer großen Familie. Nach dem Kriege waren mein Großvater Gustav Huhse und meine Großmutter Hermine Krüger in unser Haus gezogen. Als erste Maßnahme plante daher mein Vater den grundlegenden Umbau des Wohnhauses. Er hatte wohl Vorstellungen, wie das Haus einmal äußerlich gestaltet sein sollte, aber als meine Eltern sich die Bausubstanz näher ansahen, kamen sie zu dem Schluß, man müsse von einem Fachmann eine grundlegende Planung machen lassen. Tante Else, ich habe sie schon erwähnt, hatte den Baumeister Karl Günther geheiratet. Er wurde herangeholt und mußte eine Umbauplanung erstellen. Es war auch nicht sehr schwierig, sie mit den Wünschen und Vorstellungen meiner Eltern abzustimmen. Soweit, so gut. Das Problem der Finanzierung des Projektes mußte in der Schwebe bleiben, da in Polen damals genauso wie in Deutschland die Inflation geradezu groteske Ausmaße angenommen hatte. Die Zlotywährung war noch nicht eingeführt. Der Preis für das Baumaterial stieg von Tag zu Tag in immer schwindelerregendere Höhen.

Mit Reichsmark, die immer mehr an Wert verlor, war das Baumaterial also nicht zu finanzieren. Mein Vater löste das Problem auf andere Weise. Er baute nach der Getreideernte ein großes Feld mit Rotklee an, denn er wußte, daß im nächsten Jahr das Saatgut für diese begehrte Futterpflanze knapp sein würde. Seine Marktprognose bestätigte sich. Er lieferte den Rotkleesamen nach Thorn und kaufte am gleichen Tag das benötigte Material. Auf diese Weise hatte er mit dem Erlös von einem Rotkleefeld die gesamten Baustoffe für den Hausumbau finanziert. Nachdem dieses Problem gelöst worden war, ging Onkel Karl ans Werk. Die vier Außenwände ließ er stehen, sonst nichts. Die Innenwände des Erdgeschosses und die gesamte obere Etage wurden neu gebaut. Vor den Haupteingang, von der Gartenseite her gesehen, wurde eine offene Veranda gesetzt. Dies war in meiner Jugend der Lieb[76]lingsplatz der Familie vom Frühling bis zum späten Herbst. Auch ein Badezimmer mit fließendem Wasser wurde eingebaut. Das Problem der Wasserversorgung war nicht leicht zu lösen, denn elektrischen Strom hatten wir nicht. Es war auch auf absehbare Zeit nicht zu erwarten, daß der unterentwickelte Staat das flache Land elektrifizieren würde. Nach den Entwürfen meines Vaters wurde deswegen eine Pumpenanlage eingebaut, die mit menschlicher Muskelkraft betrieben wurde. Sie funktionierte gut, aber wir mußten einmal in der Woche in den Pferdestall gehen und mit Hilfe eines großen Schwungrades das Wasser aus dem Hofbrunnen auf den Dachboden des Wohnhauses pumpen. Mit dieser Tätigkeit sind viele Jugenderinnerungen verbunden. Wenn es draußen stürmte und schneite, war es im warmen Pferdestall richtig gemütlich, soviel Wasser zu pumpen, bis es aus dem Überlaufrohr des großen Behälters herunterplätscherte, der auf dem Dachboden des Wohnhauses stand.

Der Maurermeister, der beim Hausumbau mitgeholfen hatte, wohnte in Rossgarten, einem Nachbardorf von Altthorn. Die neue technische Anlage mit fließendem Wasser im Badezimmer und an den anderen Zapfstellen des Hauses hatte ihn so beeindruckt, daß er nicht eher ruhte, bis er eine ähnliche Lösung auch bei sich zuhause eingebaut hatte. Ihm stand aber nur eine einfache Schwengelpumpe zur Verfügung, so eine, wie sie damals in den Küchen und Ställen der Bauernhäuser üblich war. Auch hatte er keinen großen Vorratsbehälter für den Dachboden, sondern nur einen kleinen, der nicht viel größer als eine Milchkanne war. Er wollte diese Anlage auch nicht für die tägliche Hauswasserversorgung einsetzen. Sie sollte nur seinem eigenen Vergnügen dienen. Er wollte, so hatte er sich das ausgemalt, mit ihr einen Springbrunnen betreiben, den er sich mit handwerklichem Geschick im Garten aufgestellt hatte. Als die Rohrverbindung vom Dachboden zu dem Springbrunnen im Garten hergestellt war, sollte die Funktionstüchtigkeit der Anlage ausprobiert werden. Zugegeben: Hier klaffte noch eine technische Lücke, denn das Wasser mußte in der Küche in Eimer gepumpt und über [77] eine steile, nicht allzu bequeme Holztreppe auf den Dachboden getragen werden. Der Meister rief seine Frau und zeigte ihr, wie spielend leicht es doch sei, die Wassereimer auf den Hausboden zu tragen und dort in die bereitstehende Milchkanne zu gießen. Er machte es ihr vor, sprang zur Dachluke und zeigte seiner Frau, wie schön der Springbrunnen unten im Garten anzusehen sei. Seine Frau strahlte, stolz darüber, einen wie technisch begabten Mann sie doch habe. Man sah später den Maurermeister oft genüßlich im Garten an seinem Springbrunnen sitzen. Es soll aber zuweilen zwischen den Eheleuten laut hergegangen sein, besonders dann, wenn unser Meister kein Ende finden konnte und seiner Frau die Puste vom Pumpen und Eimerschleppen auszugehen drohte.

Mein Vater hatte sich vom technischen Fortschritt hinreißen lassen. Die finsteren Prophezeiungen seines Großvaters waren vergessen. Wir waren von den Gefahren der Bequemlichkeit und der Vergnügungen von allen Seiten belauert und umzingelt. Viel schlimmer noch: Wir haben durch unser Vorbild einen biederen Maurermeister verführt und Zwietracht in eine Ehe hineingetragen, in der es im Stande der technischen Unschuld vielleicht niemals solche unerfreulichen Szenen gegeben hätte. Damit aber nicht genug. Meine Familie war nach fließendem Wasser, Jugendstil und Gründerzeitmöbeln süchtig geworden. Der Umbau des Hauses war schön und gut, aber nun sollte es auch modern eingerichtet werden. Darauf legte meine Courths-Mahler begeisterte Mutter den allergrößten Wert.


 
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© 2000  Volker J. Krüger, heim@thorn-wpr.de
letzte Aktualisierung: 30.07.2004