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Wappen der Familie Krüger aus Thorn

Horst Ernst Krüger:


Die Geschichte einer ganz normalen
Familie aus Altthorn in Westpreussen


kommentiert und um Quellen ergänzt von Volker Joachim Krüger

Diese Seite ist ein Dokument mit einem Kapitel Text

Von Preußen geprägt

 

Die Zahl in blauer eckiger Klammer [23] bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang in der Originalausgabe, die dem Herausgeber vorliegt.

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Falls Sie sich den Originaltext, um den es an der so bezeichneten Stelle geht, ansehen wollen, so werden Sie hier fündig.

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An dem ökonomischen System hatte sich nach Übernahme des Gebietes durch Preußen zum Ende des 18. Jahrhunderts kaum etwas geändert. Der Preußische Staat entwickelte unter Friedrich dem Großen auf dem Gebiet der Landeskultur große Aktivitäten, von denen auch die Thorner Niederung profitierte. Der Damm, so wurde noch in meiner Jugend in der Gastwirtschaft erzählt, sei von Friedrich dem Großen gebaut worden. Das stimmt nicht. Die Gasthausgespräche sind dadurch zu erklären, daß die dankbare Nachwelt dem Preußischen König größere Taten zuschrieb, als er tatsächlich vollbracht hatte. Die in meinen Vorfahren tief verwurzelte Verehrung für den Alten Fritz, wie sie ihn liebevoll nannten, hatte vielerlei Gründe. Der wichtigste war seine religiöse Toleranz. Im Jahrhundert Friedrichs, wie Kant es nannte, konnte sich jeder Preuße in Gewissensangelegenheiten seiner eigenen Ver[34]nunft bedienen. So gesehen war dies das Gegenteil von einer Erziehung zum Untertanengeist, der dem Preußentum unterstellt wird. Ein König, der dem Volk ein neues Selbstbewußtsein einflößen kann, vermag auch andere große Taten zu vollbringen. Er hatte auch den Weichseldamm gebaut. Wahr ist: Der Deich wurde erhöht, verstärkt und seine Unterhaltung einem Deichhauptmann unterstellt, der gleichzeitig Bauer und preußischer Beamter war.

Am 1. April 1778 hatte Voltaire in seinem letzten Brief an den König geschrieben: "Sie haben die Vorurteile ebenso wie Ihre Feinde besiegt; Sie erfreuen sich an Ihren Werken in allen Bereichen." Dies war es, was ihn über den Häuptern meiner Familie bis in meine Jugend hinein hatte schweben lassen. In meinem Bücherregal stehen vier Biographien von ihm. An lesenswertesten ist die von Thomas Carlyle. Der Engländer idealisierte seinen Helden am stärksten. Es ist unbestritten, daß in Friedrich des Großen widersprüchlichem Charakter die positive, die aufbauende Seite überwog. Er hatte seinen Beamten, seinem Heer, dem Adel und den Bauern eingeschärft, daß sie dem Staat und der Gesellschaft zu dienen haben. Dabei prägte er am stärksten durch sein persönliches Vorbild. Das Ergebnis war: ein neuer Menschentyp, die Preußen. Sie waren keine Nation, dazu gab es zu viele Einwanderer. Das Originäre an ihnen war ihr neues Bewußtsein. Preuße sein hieß: "toujours en vedette". "Stets in Form", könnte man frei übersetzen. Was er darunter verstand, hatte Friedrich im Siebenjährigen Krieg niedergeschrieben: "Unser Leben ist ein flüchtiger Übergang vom Augenblick unserer Geburt zu dem des Todes. Während dieser Zeitspanne hat der Mensch die Bestimmung, für das Wohl der Gesellschaft zu arbeiten, der er angehört." Preußen war eine Idee, ein persönlicher Lebensstil.

Selbstverständlich hatten meine Vorfahren die Eingliederung ihrer Niederung in Preußen freudig begrüßt. Sie hatten lange genug unter den Zuständen in dem Staat gelitten, zu dem sie gehörten. Obwohl ihre Willkür die Anstellung eines Lehrers in Gurske vorgeschrieben hatte, war beispielsweise Cathari[35]na Krüger, wir erinnern uns an ihre Scheidung, nicht einmal in der Lage, ihren Namen zu schreiben. Neunzig von hundert der Polen, die in dem Gebiet lebten, das 1772 zu Preußen kam, hatten überhaupt keine Schule besucht. Meine Vorfahren und mit ihnen die Nachbarn waren stolz darauf, daß der von ihnen bezahlte Lehrer ihren Kindern Lesen, Rechnen und Schreiben, den Katechismus und die wichtigsten Kirchenlieder beigebracht hatte. Noch größer als über die Hebung des Schulwesens durch Preußen war die Freude unserer Vorfahren darüber, daß es dem Alten Fritz nach langen Kämpfen gelungen war, die Vormachtstellung des katholischen Österreich zu brechen, das auch in ihrem Raum die Gegenreformation mit militärischen Machtmitteln gefördert hatte. Die religiöse Gleichgültigkeit des Königs war in ihrer Sicht geradezu befreiend, wenn man den fanatischen Katholizismus der Kaiserin Maria Theresia dagegenhält. Die Erinnerung an das Thorner Blutgericht 1724 war in ihnen noch lebendig.

Bei der friederizianischen Landesaufnahme 1773 wurden in Altthorn und Gurske dreiunddreißig Bauern gezählt. Ihr Glaubensbekenntnis gaben sie mit lutherisch an. Nach ihrer Nationalität wurden sie nicht gefragt. Die interessierte den König nicht. Ihren Namen nach waren sie alle Deutsche. Drei von ihnen gehörten der inzwischen schon wieder weit verzweigten Niederungslinie meiner Familie an. In Amtal, polnisch Toporzysko, einem Dorf, das ebenfalls zum Thorner Territorium gehörte, hatte sich Joachim Krüger angesiedelt. Wir sind ihm schon einmal begegnet. Seine Großmutter Anna hatte ihn aus dem Weichselhochwasser gerettet. Seine Jugenderlebnisse auf dem gefährdeten Hof im Gursker Angewachs waren wohl ausschlaggebend dafür, daß er das Elternhaus verlassen und in das höher gelegene Amtal gezogen war. Im Jahre 1802 hatte er Anna Reyewski geheiratet, die in diesem Dorf geboren worden war. Es war vor der Weichsel sicher, aber hatte einen nur wenig ertragreichen Sandboden.

Meinem Vater war bei seiner Ahnenforschung dieser polnisch klingende Name aufgefallen, der nicht in das Weltbild unse[36]rer Familie passen wollte. Sollte sein Urgroßvater, der den gleichen Vornamen wie er selber hatte, den unverzeihlichen Fehler begangen haben, eine Polin zu heiraten? Das hätte unserer Familientradition widersprochen. So forschte mein Vater in den Kirchenbüchern weiter und stellte fest: Anna Reyewskis Familie war seit zwei Generationen deutsch und evangelisch. Ich möchte meinem Vater nicht unterstellen, daß er in seinem Puzzlespiel ein Bild zusammengebastelt hatte, das ihm vorschwebte. Nein, das lag ihm fern. Er hatte gewissenhaft geforscht. Auch sein Urgroßvater hatte sich an die bäuerliche Sitte gebunden gefühlt, keine katholische Polin zu heiraten. Liebe hin, Liebe her, die Eltern meiner Vorfahren hätten Mittel und Wege gefunden, unerwünschte Verbindungen ihrer Kinder zu verhindern. Ob Joachim den Hof im feuchten Gursker Angewachs verkauft und im Geburtsort seiner Frau den Sandkrug gekauft hatte, ist leider nicht überliefert. Wir wissen nur, daß er dort im Hauptberuf Bauer und im Nebenberuf Gastwirt war. Die fünfzig Hektar Sandboden, die er in Amtal bewirtschaftete, waren nicht ertragreich genug, die Bedürfnisse seiner Familie zu decken. Joachim hatte sich durch Entscheidungen als autonomer Charakter erwiesen. Der Schritt, den alten elterlichen Hof sich selbst und den alles einebnenden Wellen des Weichselhochwassers zu überlassen und eine neue Existenz auf der "Höhe" aufzubauen, zeugte von Mut und Entschlußkraft. Mein Vater erzählte einmal, er hätte die Reste des alten Krüger'schen Hofes gefunden, die nicht weit von der Kirche entfernt stromabwärts lägen. Es seien nur noch Bruchstücke der Fundamente vorhanden, der Hofplatz aber noch deutlich zu erkennen gewesen.


 
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© 2000  Volker J. Krüger, heim@thorn-wpr.de
letzte Aktualisierung: 30.07.2004