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Wappen der Familie Krüger aus Thorn

Horst Ernst Krüger:


Die Geschichte einer ganz normalen
Familie aus Altthorn in Westpreussen


kommentiert und um Quellen ergänzt von Volker Joachim Krüger

Diese Seite ist ein Dokument mit einem Kapitel Text

Sektierer und Wiedertäufer unerwünscht

 

Die Zahl in blauer eckiger Klammer [23] bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang in der Originalausgabe, die dem Herausgeber vorliegt.

Hinter dem eröffnen sich genealogische Zusammenhänge in Bezug auf die betreffende Person.

Falls Sie sich den Originaltext, um den es an der so bezeichneten Stelle geht, ansehen wollen, so werden Sie hier fündig.

Und mit diesem Zeichen macht der Herausgeber dieses Dokuments auf Fragen auf-
merksam, die sich ihm zu dem jeweiligen Text gestellt haben.

Hier erwartet Sie ein Schwarz-Weiss-Foto und hier eine solches in Farbe.

Die vier Generationen meiner Familie, die im 17. Jahrhundert die Besiedlung der Niederung mit Unterstützung ihrer Heimatstadt durchgeführt hatten, waren neue Menschen im Sinne des Reformators aus Wittenberg. Durch die Willkür, die für die Dorfgemeinschaft Altthorn und Gurske galt, waren sie verpflichtet, an jedem Sonntag und an jedem Feiertag zur Kirche zu gehen. Wer das nicht wollte, mußte zwei Mark in die Lade zahlen. Da Thorn das Patronat über die Kirche hatte, das später Seniorat genannt wurde, hatte der immer noch evangelische und deutsche Stadtrat auch Reglementierungen der religiösen Angelegenheiten in die Willkür hineingeschrieben. Der Prediger müsse der Augsburger Konfession angehören. Sektierer, Arianer und Wiedertäufer seien nicht zu dulden. 1615 wurde die Willkür durch eine Kirchenordnung ergänzt. Die Pfarre solle neun oder zehn Morgen Garten, Wiesen und Äcker haben, der Geistliche außerdem ein bares Gehalt bekommen. Die Kirchenvorsteher, auch Älteste genannt, seien verpflichtet, Almosen und festgesetzte Gebühren für Taufen, Konfirmationen, Trauungen und Begräbnisse einzusammeln und mit dem Pfarrer abzurechnen. Seit der Einweihungsfeier 1614 lagen die Höfe unserer Vorfahren in den Dörfern, die zum Kirchspiel gehörten. Das sollte sich bis 1945 nicht ändern.

[28] "Ein guter Bauer heiratet nur über die Mauer", lautete ein Wahlspruch meiner Vorfahren. So heiratete man im Mannesstamm nur Frauen, die in den Niederungsdörfern Amtal, Gurske, Altthorn, Pensau, Schwarzbruch oder Rossgarten das Licht der Welt erblickt hatten. Die Trauungen fanden immer in der Gursker Kirche statt. Hier sagte man ja, wenn der Pfarrer sie fragte, ob sie sich lieben und die eheliche Treue halten wollten, bis der Tod sie scheide. Die bäuerliche Sitte, nur Frauen aus der Nachbarschaft zu heiraten, deren Familie, deren häuslichen Fleiß und Vermögen man genau kannte, hatte sich bis zu meinen Eltern über neun Generationen erhalten. Es ist mir nur ein Fall von ehelicher Untreue bekannt.

Mein Vater erzählte, ein Vorfahre von uns habe seine Frau, die er mit einem anderen Mann im Bett ertappt hatte, mit der Peitsche vom Hof getrieben. Wer das war, hatte er nicht gesagt. Es ist mir aber ein Scheidungsfall bekannt geworden, dessen Urkunde sich in unserem Familienarchiv befindet. Vermutlich ist es die untreue Catharina, geborene Menz, gewesen, die soviel Schande über unsere ach so ehrbare Familie gebracht hatte. Johann Krüger, ihr Ehemann, wurde 1799, so wie es die Willkür vorschrieb, vor dem Schulzenamt von Altthorn und Gurske in seinem Hause geschieden. Zugegen waren die Schöffen, die in der Urkunde auch geschworene Elektoren genannt wurden: Simon Knof und Joachim Krüger. Letzterer war Bauer im Gursker Angewachs und Bruder von Johann, dem Scheidungswilligen. Joachim ist direkter Nachkomme im Mannesstamm von Hans Krüger in der vierten Generation. Verhandelt und beurkundet wurde die Aufteilung des Vermögens der Eheleute. Catharina sollte eine Barabfindung in zwei Raten, zwei milchende Kühe, zwei Betten, zwei Kopfkissen, Flachs, drei Gänse und eine Mandel fertig gesponnenes Garn erhalten. Weiter in der Urkunde: "Auch hat sich die Krügerin vor dem Schulzenamt erboten, in dem Guthe ihres geschiedenen Mannes vom obigen Dato ab noch vierundzwanzig Tage als Wirtschafterin vorzustehen." Unter der Urkunde steht auch der Name von Catharina Krüger, aber nicht von ihr eigenhändig geschrieben, sondern mit der Handschrift des Protokollanten. Dahinter [29] hatte Catharina mit dem Federkiel drei Kreuze gesetzt. Aus solchen Urkunden und anderen schriftlichen Überlieferungen kann ich Rückschlüsse auf die Lebensweise meiner Vorfahren ziehen.

Das Verfahren war einwandfrei und entsprach den Rechtsvorschriften der Willkür. Bei der Verhandlung waren, wie es heißt, auch zwei "Gutmänner" zu hören, die Catharina vorgeschlagen hatte. Das Scheidungsverfahren schien gerecht zu sein. Trotzdem bleibt ein ungutes Gefühl zurück. Die Frauen unserer bäuerlichen Vorfahren hatten eine schlechtere Schulbildung als ihre Männer. Die Scheidung wurde in unserem Falle einvernehmlich vollzogen. Beide geschiedenen Eheleute trugen die Gerichtskosten zu gleichen Teilen. Sie hatten sich beide beurkunden lassen, daß keiner dem anderen einen Vorwurf machen wolle. Das deutet nicht nur auf die Freiwilligkeit der Scheidung, sondern auch auf das Recht der Frauen im bäuerlichen Lebenskreis hin, ohne jeden Zwang seitens der Eltern ihre Ehepartner zu wählen oder sich scheiden zu lassen.

War auch die Scheidung eine Folge der evangelischen Religiosität? Ich glaube es, denn sie ist in Gegenwart der beteiligten Familien vollzogen worden, die Sonntag für Sonntag in der Kirche waren. Wenn sie dies schon nicht aus eigenem Antrieb taten, so doch, um die zwei Mark Geldbuße zu sparen. Sie waren in der Kirche und sangen die Lieder der Reformation: "Ein feste Burg ist unser Gott". Dann den zweiten Vers: "Mit unserer Macht ist nichts getan". Die Bibeltexte, die vor den Predigten in der Sprache Luthers verlesen wurden, verstanden sie gut. Welch ein Aufbruch zu neuen Ufern und zu einem neuen Bewußtsein. Sie sangen wieder: "Nun bitten wir den Heiligen Geist um den rechten Glauben allermeist". Um den rechten Glauben, so wie ihn Luther im Turmzimmer zu Wittenberg erlebt hatte, baten auch Johann und Catharina Krüger. Sie hatten mit ihrer Familie und ihren Nachbarn in der Kirche gehört, daß Gott den Menschen Leid auferlege, um ihren Glauben zu prüfen. Wenn sie sich bewähren, so erwachse ihnen daraus neue Hoffnung. [30] Als mein Vater den Mannesstamm unserer Familie in mühseliger Kleinarbeit aus den Kirchenbüchern herausgesucht und in langen Tabellen zusammengestellt hatte, interessierten mich weniger die nüchternen Daten als die Geschichten, die er drum herum rankte. Er verstand es, aus den knappen Eintragungen ein lebendiges Bild des bäuerlichen Lebens in den längst vergangenen Jahrhunderten erstehen zu lassen. Dabei traten aus der langen Generationenkette immer wieder knorrige und demütige Bauern, fleißige und opferbereite Frauen hervor. Eine durchgehende alle miteinander verbindende Charaktereigenschaft war ihre Tüchtigkeit und ihre Glaubensstärke. Sie lebten in einer festgefügten Dorfgemeinschaft, waren miteinander versippt und verschwägert, was ihnen half, in leidvollen, lebensgefährdenden Situationen die ihnen auferlegte Prüfung zu bestehen.


 
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© 2000  Volker J. Krüger, heim@thorn-wpr.de
letzte Aktualisierung: 30.07.2004