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Wappen der Familie Krüger aus Thorn

Horst Ernst Krüger:


Die Geschichte einer ganz normalen
Familie aus Altthorn in Westpreussen


kommentiert und um Quellen ergänzt von Volker Joachim Krüger

Diese Seite ist ein Dokument mit einem Kapitel Text

Eine feste Burg

 

Die Zahl in blauer eckiger Klammer [23] bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang in der Originalausgabe, die dem Herausgeber vorliegt.

Hinter dem eröffnen sich genealogische Zusammenhänge in Bezug auf die betreffende Person.

Falls Sie sich den Originaltext, um den es an der so bezeichneten Stelle geht, ansehen wollen, so werden Sie hier fündig.

Und mit diesem Zeichen macht der Herausgeber dieses Dokuments auf Fragen auf-
merksam, die sich ihm zu dem jeweiligen Text gestellt haben.

Hier erwartet Sie ein Schwarz-Weiss-Foto und hier eine solches in Farbe.

[24] Das 17. Jahrhundert war für meine Familie von Einquartierungen, Brandschatzungen, Pest, von Schrecken ohne Ende erfüllt. Die Schicksalmacher waren auch in ihren abgelegenen Winkel eingebrochen. Der Polnische König erhob Erbansprüche auf den Schwedischen Thron. Gustav Adolf fühlte sich provoziert und fiel mit seinem Heer in das Herzogtum Preußen ein. Die Polen fanden Bundesgenossen in der Liga, der katholischen Partei des Römischen Reiches Deutscher Nationen. Es ist nicht die Aufgabe einer Familienchronik, die Kämpfe zu beschreiben, in deren Verlauf Thorn 1655 durch die Schweden, 1658 durch Polen und Österreicher, 1703 wieder durch Schweden belagert und beschossen wurde. Wer sich über das wechselnde Kriegsglück und die politischen Hintergründe des Dreißigjährigen Krieges informieren will, kann Golo Mann's "Wallenstein" lesen.(6) Er wird dort auch etwas über Thorn, die untere Weichsel und die Nordischen Kriege finden.

Es muß wohl nicht besonders hervorgehoben werden, auf welcher Seite meine Vorfahren standen. Das bewahrte sie jedoch nicht vor einer ruppigen Behandlung durch die protestantischen Heerhaufen von Gustav Adolf, wenn sie in Thorn und Umgebung ins Winterquartier gingen. Für ihre Versorgung hatte das Land aufzukommen. Das Land waren die Bauern. Während einer solchen Besetzung war Hans Krüger, der Sohn des ersten Bauern und Kirchvaters in der Niederung, gezwungen, seinen Hof zu verlassen und hinter den sicheren Stadtmauern Zuflucht zu suchen. Die schwedische Besatzung hatte die Tore geschlossen und die Mauertürme mit Geschützen bestückt. Wälle, Gräben und Bastionen widerstanden allen Angriffen der Polen. Bevor sie abzogen, plünderten sie die zur Stadt gehörenden Güter aus, auf denen noch die anderen Zweige unserer Familie saßen. Auch die Niederungsdörfer, deren Bewohner nach Thorn geflohen waren, blieben nicht verschont. Die Polen zerstörten, berichtet Zernecke, in Wiesenburg die Brauerei, zogen dann weiter nach Altthorn, wo sie "Häuser und Höfe dergestalt ruinierten, daß nicht ein Pfahl, ja fast [25] nicht ein Stock an seinem Orte stehengeblieben, zuletzt hatten sie die Gursker Kirche in den Brand gesteckt und total verwüstet".

Im Verlauf der Nordischen Kriege war der Bauernstand fast völlig ausgeblutet. Große Landflächen in der Thorner Niederung und in der weiteren Umgebung waren verödet. Wer sollte dieses Trümmerfeld wieder aufbauen? Die polnische Landwirtschaft war dazu nicht in der richtigen Verfassung. Die Bauern, polnisch chlopy, waren zu Hörigen ihrer Grundherren abgesunken, an ihre Scholle gebunden, durften nicht fortziehen, ihren Hof ohne Erlaubnis ihres Herrn nicht verkaufen. Ergaben sich daraus Streitigkeiten, so durften sie nicht bei einem unabhängigen Gericht klagen. Der Grundherr, polnisch Starost, war auch ihr Richter. Sämtliche Untertanen einer Grundherrschaft waren ver-pflichtet, einen nicht freigelassenen Flüchtigen zu verfolgen. Viel hing von dem Charakter des Grundherrn ab. Er mochte die Erlaubnis zum Abzug geben, wenn er den Hof an sich zu bringen wünschte. Es gab aber auch Grundherren, die ihre Hörigen an den Nachbarn verkauften. Die Landlosen arbeiteten für den Herrn direkt, in seinen Mühlen, Gärtnereien, Schäfereien und was sich sonst noch betreiben ließ, als Tagelöhner.

Das klingt nicht danach, als ob die hörigen Bauern in den Starosteien erpicht darauf gewesen wären, ihre zerstörten Höfe wieder aufzubauen. Ein anderes Klima herrschte in den Dörfern, die zu der Kämmerei in Thorn gehörten. Ihr lag seit eh und je nichts an Frondienst und Hörigkeit. Immer dann, wenn die feindlichen Heerhaufen fortgezogen waren, begann sich der Fleiß der Bauern und Handwerker in den deutschen Dörfern zu regen. Sie begannen wieder zu produzieren und ihre Erzeugnisse auf dem Thorner Markt anzubieten. Die Landwirtschaft und das ländliche Gewerbe erholten sich wieder und waren bald in der Lage, die von der Kämmerei geforderten Zinsen aufzubringen. Diese konnte ihrerseits mit den Einnahmen in den wüsten Dörfern und Gütern neue Bauern, Handwerker, Müller und längs der Weichsel auch hier und dort einen Fischer ansiedeln. Jeder Bürger, [26] der einen Bauernhof oder einen gewerblichen Betrieb aufbauen wollte, zeigte dies der Kämmerei an. Sie stimmte dem Antrag zu, wenn die Voraussetzungen für den Aufbau einer selbständigen Existenz gegeben waren. Helle Köpfe und arbeitswillige Hände waren gefragt. Leistungswilligen Familien lieferte die Kämmerei das Bauholz aus den Stadtforsten und stellte Handwerker zur Verfügung, die nach einheitlichen Bauplänen arbeiteten. Deswegen wurden in dieser Besiedlungsperiode in der Thorner Niederung überwiegend Holzhäuser eines Typs gebaut.

Wichtige Baustoffe waren Holz, Lehm und Stroh. Die Außenwände der Häuser bestanden aus übereinandergelegten Eichenbohlen, die mit Lehm abgedichtet wurden. Das Stroh für die Dächer lieferte der Bauer und zukünftige Erbpächter. Dagegen war er nicht verpflichtet, Ziegel, Nägel und Glas zu kaufen und die Löhne für die Handwerker zu bezahlen. Das tat die Kämmerei. Wollte der anzusiedelnde Bauer die Kosten übernehmen, so wurden ihm die Pachtzinsen entsprechend ermäßigt. Die Höfe lagen und liegen heute noch wie auf einer Perlschnur an den Dorfstraßen aufgereiht. So entstanden viele Dörfer in der klassischen Form einer Marschhufensiedlung. Die Felder waren schmal und bei den größeren Vierzig-Hektar-Höfen bis zu drei Kilometer lang. Die Form des Hofes war dreiseitig mit getrennt stehendem Wohnhaus. Es war nach heutigen Begriffen recht groß, denn außer der meist kinderreichen Familie beherbergte es das Gesinde. Der Schornstein war in jedem Falle aus Ziegelsteinen gemauert. Geheizt wurde mit Holz aus dem Stadtwald oder mit Weidenstrauchwerk aus den Kempen des Außendeichs. Jedes Dorf mußte seine außerhalb des Dammes gelegenen Flächen mit Weiden bepflanzen und einzäunen, damit durch das aufwachsende Weidengebüsch die Bodenerosion bei Weichselhochwasser verhindert wurde. Eben dieser ständig nach-wachsende Holzvorrat konnte zu Heizungszwecken genutzt werden. Diese Regelung, die seit der durch Thorn erlassenen Willkür für die Dörfer Altthorn und Gurske bis 1945 bestand, war nicht nur ökonomisch sinnvoll, sie [27] trug auch zur Bildung eines Gemeinschaftsgeistes in den beiden Niederungsdörfern bei. Die Ställe für das Rindvieh, die Pferde und das Federvieh wurden bei der Besiedlung auf einfachste Weise ebenfalls mit den vorhandenen Bau-materialien Holz, Stroh und Lehm gebaut.

Mit den gleichen Methoden ging die Kämmerei auch bei der Durchführung der Entwässerungsmaßnahmen vor. Die entsprechenden Anlagen wie zum Beispiel Dämme, der untere und der obere Kanal, die Seitengräben, Brücken und Schleusen mußten laufend unterhalten werden, um funktionsfähig zu bleiben. Auch dies war bis in alle Einzelheiten hinein durch die Willkür geregelt.


 
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© 2000  Volker J. Krüger, heim@thorn-wpr.de
letzte Aktualisierung: 03.12.2004