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Rathausturm mit Copernicus-Denkmal

Pfarrer Heinz Krause


Groß Bösendorf im Kreise Thorn

Ein Beispiel für die Gemeinschaft eines Dorfes
Privatdruck 19??



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Text Seite 3 - Seite 10


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[3] Zu Beginn des Jahres 1983 hat der Bundespräsident, Professor Karl Carstens, bei einem Besuch im Kreis Bergisch-Gladbach besonders hervorgehoben, daß der Zusammenhalt der deutschen Dorfgemeinschaft auch heute noch bestehe. Im ländlichen Räum seien soziales Engagement, gute Nachbarschaft und ein gutes Verhältnis der Bürger zum Staat oft besonders ausgeprägt (Lübecker Nachrichten vom 12.1.83). Um wieviel mehr konnte man diese Feststellung zu Beginn dieses Jahrhunderts in den Dörfern Westpreußens machen.

Ein Dorf ist ein überschaubares soziales Gebilde, das, sofern es sich nicht von einer Stadt oder anderen Gebilden hat überfremden lassen, seinen eigenen Charakter hat. Sicher haben alle Dörfer Gemeinsames, besonders sofern sie in demselben Landstrich die gleichen Geschehnisse über sich ergehen lassen mußten. Und doch hat jedes Dorf seine Eigenart, die durch bestimmte Faktoren geprägt wurde, wodurch ein besonderes Gemeinschaftsgefühl entstand. Im Falle des Niederungsdorfes Groß Bösendorf im Landkreis Thorn scheinen sich mir drei besondere Faktoren in den Vordergrund zu schieben, die die Eigenart ausgeformt haben.

Zunächst einiges zu dem Namen des Dorfes. Wenn man heute, von Thorn kommend, das Dorf betritt, schockt einen die Beschriftung der Ortstafel. Darauf steht nämlich Zla Wies, was soviel heißt wie "Ein böses Dorf". Diese Übersetzung dürfte bestimmt falsch sein, ebenso die Ableitung von "Beesen" (Binsen). Kurz nach 1400 wird das Dorf als kölmisches Zinsdorf der Ordenskomturei Birglau als "Bozendorf" oder "Bosendorff" erwähnt. Vielleicht geht der Name auf einen früheren Besitzer und dessen Eigennamen zurück, wahrscheinlicher erscheint aber eine andere Deutung, da es sich ja um ein "Dorf" handelt: Im Westgermanischen gab es sprachlich einen sogenannten "Rhotazismus", d. h. einen grammatischen Wechsel zwischen z und r. Dann hätte das Dorf ursprünglich "Borendorf = Burendorf = Bauerndorf" geheißen. (Man vergleiche dazu das holländische "Buren", zumal es sich hier wahrscheinlich auch um holländische Einwanderer handelt). Dann hätte das "Burendorf" seinen Namen im Gegensatz zu dem schon bestehenden Besitz adeliger Grundbesitzer [bzw. den Ordensgütern] gehabt.) Der Zusatz "Groß" ist später hinzugekommen, als sich eine Siedlung "Klein Bösendorf" ablöste (um 1730). Am 26. August 1457 wurde Bösendorf der Stadt Thorn von dem König von Polen, Kasimir, "geschenkt", was nachhaltige Folgen für die Entwicklung des Dorfes haben sollte.

[4] Diese geschichtliche Entwicklung führte zu einem der prägenden Faktoren Bösendorfs. Die Hansestadt Thorn hatte, nachdem sie erstarkt war, den Deutschen Orden wie auch nachher den König von Polen nur als Oberherrn anerkannt. Privilegien und verbriefte Rechte gestatteten ihr weithin Selbstverwaltung. Diese gestand sie auch ihren Niederungsdörfern in einer "Willkür" im Jahre 1605 zu. Nach Artikel 4 dieser Willkür hatte jedes Dorf, Nachbarschaft genannt, zwei Personen aus ihrer Ortschaft der Stadtverwaltung vorzuschlagen, von denen dann eine zum Schulzen, d. h. Ortsvorsteher, bestimmt wurde. Jede Gemeinde erhielt außerdem vier Schöffen, welche ebenso wie der Schulze gewählt und vereidigt wurden. Sie vertraten die Obrigkeit und praktizierten eine Selbstverwaltung entsprechend den 30 Artikeln der "Willkür". So sorgte man hier für Recht, schlichtete Streitigkeiten, sorgte für Kirche, Schule und Arme, kontrollierte die Erhaltung der Straßen, Brücken, Dämme usw. und das alles in eigener Verantwortung; die allerdings dann der Stadtverwaltung Rechenschaft schuldig war. Es geht bei der "Willkür" also um eine Art Dorfverfassung, die das Verhältnis der Dorfbewohner zueinander und zur Obrigkeit fast demokratisch regelt. Unter solchen Voraussetzungen ist für das Sich-Bilden einer Dorfgemeinschaft natürlich eine ganz andere Voraussetzung geschaffen wie beispielsweise unter der Fron von Grundherren, die die Dörfler als Leibeigene betrachteten. Eine solche über Jahrhunderte geübte Selbstverwaltung muß ihre Früchte tragen. Der Besitz der Höfe ist emphyteutisch (d. h. mit einer Art Erbpacht) geregelt. Für die besondere Entwicklung der Dorfgemeinschaft ist sicher auch die Entfernung von der Stadt bedeutsam gewesen (in dieser Zeit und auch später). Thorn, die regierende Obrigkeit, ist an 20 Kilometer von Bösendorf entfernt, so daß schon dadurch eine übermäßige Zügelung erschwert war, wie auch einer Überfremdung durch städtische Einflüsse Grenzen gesetzt waren. Das Eigenleben konnte sich stärker entwickeln.

[5] Überhaupt ist die geographische Lage dieses Dorfes in der Weichselniederung wie auch der anderen Niederungsdörfer ein weiterer bestimmender Faktor für die Bildung der Dorfgemeinschaft. Das traf auf frühere Zeiten noch stärker zu, als die Weichseldämme niedriger waren und die Hochwasser viel häufiger das Land überschwemmten. Dann war man gezwungen, einander zu helfen und zu retten, wurden doch wiederholt die Äcker verwüstet, die Gärten zerstört und die Gebäude ramponiert oder weggeschwemmt. Deshalb hatte man die Gehöfte auf höher gelegenen Plätzen angelegt. Dazu waren vorzüglich die früheren Ablagerungen und Sanddünen in dem weiten Urstromtal geeignet. So kam es, daß das Dorf in Reihensiedlungen sich parallel zu dem Flußlauf hinzog. Jeder Bauer hatte sein Gehöft mitten auf seinem Feld und blieb doch in der Nachbarschaft der anderen, die 50 oder 100 Meter entfernt gebaut hatten. Ein Idealfall für gute Nachbarschaft: jeder für sich und doch den Nachbarn ganz nahe! Die gemeinsame Sorge um den Schutz vor zerstörenden Hochwassern und die daraus sich ergebende gemeinsame Fürsorge für den Weichseldamm, der im 19. Jahrhundert wesentlich erhöht worden war, wie die Reinigung des Kanals und der Gräben schmiedete natürlich auch zusammen, wovon später noch zu berichten sein wird.

Ein dritter entscheidender Faktor für die Formung der Gemeinschaft des Dorfes ergab sich aus der weiteren Umwelt. Das Niederungsdorf Groß Bösendorf bestand aus 17 Höfen, zwei davon im Außendeich. Alle 17 Bauernhöfe gehörten bis 1920 deutschen Familien! So war es durch die Jahrhunderte gewesen. Aber die weitere Umwelt wurde teilweise durch das Polentum bestimmt. So gab es auf der nahen "Höhe" geschlossene polnische Siedlungen, ebenso wie in der nahe gelegenen Provinz Posen. In früheren Jahrhunderten war die "Obrigkeit", d. h. die Stadt Thorn, immer wieder in Auseinandersetzungen mit der polnischen Königsmacht hineingezogen worden, die zum Teil zu furchtbaren Kriegswirren führte. Das alles hatte sich auch auf die der Stadt zugehörigen Dörfer ausgewirkt, manchmal sogar noch schlimmer als in der Stadt selber, durch die verheerenden Requirierungen und Einquartierungen. So hatte man die Polen - wie auch andere durchziehende Völkerschaften - als Feinde betrachten gelernt. Unter preußischer Herrschaft im 19. Jahrhundert ängstigte man sich vor den polnischen Aufständischen, den "Koschneren", wie man sagte. Gemeint waren die, Koscinierze, die "Sensenmänner", so genannt nach ihrer Bewaffnung.

Ab 1920 wurde das Polentum durch den Versailler Vertrag die Staatsmacht. Dieses erforderte von den Deutschen ein noch engeres Zusammenrücken. Die Entwicklung der Dinge förderte aber dann sogar das Gemeinschaftsgefühl. Man war immer mehr auf die Weckung eigener Kräfte angewiesen, nachdem die Förderung durch die Staatsmacht sich verlor, ja diese bestrebt war, die deutsche Prägung des Gebietes auszulöschen.

[6] Im folgenden soll an einigen Beispielen aufgezeigt werden, wie und wo sich dieser gewachsene Gemeinschaftssinn des Dorfes Groß Bösendorf dargestellt bzw. bewährt hat. Beginnen wir mit der Hochwassergefahr des Winters 1929. Durch eine Eisversetzung hatte sich der Hochwasserstand der Weichsel so erhöht, daß gegenüber Bösendorf knapp ein Meter fehlte, und das Wasser hätte die Krone des Dammes erreicht. Die Dammaufschüttung besaß hier eine Höhe von etwas über neun Metern. Das bedeutete, daß vor dem Dorf eine Wasserfläche von rund neun Metern Höhe in einer Breite von ca. zwei Kilometern stand, denn die Weichselwasser hatten das gesamte Land bis an die gegenüberliegenden Höhen vom Weichselthal überschwemmt. Wenn das schmale Band des Dammes dem Druck dieser ungeheuren Wassermenge nicht standhielt, drohte eine ungeheure Katastrophe für die gesamte Niederung, insbesondere aber für Bösendorf, weil hier die Festigkeit des Dammes in Gefahr geriet. Wenn hier der Damm brach, lag die ganze Niederung ungeschützt vor der hereinbrechenden Wasserflut, d. h. einer Flutwelle von neun Metern Höhe. Vor Jahrhunderten hatte bei einem Dammbruch in einem der Nachbardörfer eine solche Flutwelle einen sogenannten "Ausbruch" von mehr als zehn Metern Tiefe gerissen, weiter hinten aber das fruchtbare Land versandet und die Häuser weggespült. Noch hielt der Damm, zumal das Erdreich gefroren war. Da setzte das Tauwetter ein, und die Gefahr erhöhte sich, denn man mußte sich fragen, ob der Deich dem Druck des Wassers würde weiterhin Widerstand entgegensetzen können. Die Dammwache war in höchster Alarmbereitschaft. Sie wurde unter Anführung eines Hofbesitzers von jungen Leuten gebildet, die Tag und Nacht die Haltbarkeit des Dammes kontrollierten. Da wurde von der Wache gemeldet, daß gegenüber dem Besitz des Bauern Herrmann Fritz, also gegenüber der Mitte des Dorfes, sich plötzlich Sickerwasser im Innendeich zeige. Der Landwirt Ewald Neubauer, der wohl gerade in diesem Wachabschnitt die Wachführung hatte, ritt in die sich bildende Wasserfläche. Das Pferd sank bis über die Knie ein, so weit war der Boden am Fuß des Innendeiches also schon aufgeweicht und unterspült. Ein sofort ausgelöster Alarm setzte das Dorf in Bewegung. Man ließ alles stehen und liegen und eilte mit Gespannen, die Dichtungsmaterial herbeibrachten, an die gefährdete Stelle. Es wurde am Fuße des Dammes an der gefährdeten Stelle ein zweiter Damm (später auf 1 1/2 Meter erhöht) aufgeschüttet und so die undichten Stellen des eigentlichen Dammes abgedichtet. Das Werk gelang. Der Damm hielt. Die gemeinsame Anstrengung in Eigeninitiative (ohne behördlichen Druck) rettete das Dorf vor unübersehbarem Schaden.

[7] Ein weniger aufregendes, aber gar nicht so einfaches Unterfangen bei vielköpfigem persönlichem Interesse war die Aufteilung des früheren Kämpenlandes, das zwischen kleiner und großer Weichsel lag. Es handelte sich dabei um außerordentlich guten Boden, der im Laufe der Jahrhunderte zwischen dem Hauptstrom und einem allmählich versandenden Nebenarm im Außendeich angelandet war. Er wurde als sogenannte Dorfkämpe (Weidensträucher) gemeinsam genutzt. Ein vom Dorf gewählter Kämpenvorsteher überwachte die Korbweidenkulturen und verteilte jedes Jahr den Erlös für die verkauften Weiden. In den zwanziger Jahren entschloß sich eine Dorfversammlung zu einer besseren Nutzung des Kämpenlandes. Die Weiden wurden, da sie wenig ertragreich geworden waren, gerodet. Das so gewonnene Ackerland mit dem erstklassigen Boden, der fast jedes Jahr von der Weichsel neu gedüngt wurde durch Schlickablagerungen, wurde in Eigeninitiative nach Vermessung von einer Dorfkommission aufgeteilt. Jeder Hof bekam entsprechend seiner eigenen Größe einen Kämpenlandanteil, so erhielt z. B. der Hof Zudse laut Hofkarte zu seinen 57,47 ha Land noch 3,41 ha Anteil von dem Kämpenland (ausgewiesen als Pachtland). Das bildete eine willkommene Bereicherung der Bauernstellen, selbst, wenn man mit einer Vernichtung der Ernte alle vier Jahre durch Hochwasser bei dem Außendeichland rechnen mußte. Das Erstaunliche, ja Bewundernswerte bei der Sache war, daß die ganze Prozedur der Aufteilung von mehr als hundert Morgen Land in diesem Dorf ohne behördliche Anordnung und ohne jede Beschwerde über die Bühne ging. Was muß hier für ein gewachsenes Vertrauen zueinander unter den Beteiligten geherrscht haben, welch nachbarliche Verbundenheit, welch eine echte Dorfgemeinschaft!

Schon früher hatte es diese Verbundenheit des Dorfes gegeben, so auch bei der Erbauung einer eigenen Kirche. Bösendorf gehörte bis dahin zum Kirchspiel Gurske. Der dortige Pfarrer kam etliche Mal im Jahr zu Abendmahlsfeiern, sonst wurde vom Lehrer Lesegottesdienst in der Schule gehalten. Es war auch gar nicht anders möglich, denn der Gursker Pfarrer hatte die Stadtniederung zu betreuen, einen Bezirk, der sich an 30 km parallel zur Weichsel hinzog, und wobei auch noch Bethäuser in Pensau, Guttau und Neubruch dann und wann besucht werden mußten. Wir wissen nicht, ob der Anstoß zum Bau einer eigenen Kirche von den Bösendorfern oder von dem Gursker Pfarrer ausgegangen ist. Jedenfalls tat man sich 1894 mit Nachbardörfern zusammen und bildete eine Baukommission, stiftete einen Bauplatz und veranlaßte die Erhebung einer Umlage. Schon im Frühjahr 1895 erfolgte in Gr. Bösendorf die Grundsteinlegung für die Kirche, die man im Herbst desselben Jahres einweihte. Das Inventar wurde großenteils auch gestiftet. Zunächst blieb die helle hübsche Kirche noch ohne Turm, da die Geldmittel verbraucht waren. Die Erhebung der Umlage ging weiter, und in einigen Jahren konnte ein Glockenturm angebaut werden. Es entbehrte nicht einer gewissen Komik, daß dieser schöne Turm auch Zifferblätter für eine Uhr erhielt weil dazu noch die aufgebrachten Mittel reichten. Aber für die Beschaffung der Uhr selbst war dann der Fonds erschöpft. Sie sollte später kommen, wenn wieder Mittel da wären. Die Zeitläufe brachten es mit sich, daß es zur Anschaffung der Uhr nicht mehr kam - bis heute nicht. So prangen die riesigen Zifferblätter oben am Turm schon fast hundert Jahre lang ohne Funktion. Wahrscheinlich hatten sich andere Interessen in den Vordergrund geschoben, dann kam der Krieg, die beschlagnahmten Glocken mußten ersetzt werden - [8] natürlich aus eigenen Mitteln usw. Im Bericht der Kommission der Generalkirchenvisitation des Jahres 1926 wird darum auch rühmend festgestellt, "sämtliche gottesdienstliche Gebäude hat die Gemeinde (Gr. Bösendorf) sich aus eigenen Mitteln beschafft". Dieser Satz wiegt um so mehr, als die Kommission nicht nur Positives von den Niederungsbauern glaubte berichten zu müssen, wenn sie meinte "die Niederungsbewohner als ein ziemlich hartköpfiges nicht sehr gebefreudiges ... Geschlecht" charakterisieren zu können (S. 53 u. 59 bei Hubatsch).

Der Bau der Kirche und eines Pfarrhauses hatte dann zur Folge, daß Groß Bösendorf zu einem eigenen blühenden Kirchspiel wurde, in dem die neue Kirche der Mittelpunkt war. Daneben erbaute man eine dreiklassige Schule. Das führte dazu, daß eine Reihe tüchtiger Lehrer sich hier niederließ, die mit ihrer Erziehungsarbeit durchaus fördernd für die Bildung eines Gemeinschaftsinnes wurden. Wer den "alten Sielaff" noch gekannt hat, der in Bösendorf in den ersten beiden Jahrzehnten dieses Jahrhunderts wirkte, der weiß, wie Erziehung die am Anfang dieses Berichtes von Prof. Carstens genannten und für die Gemeinschaft eines Dorfes charakteristischen Eigenschaften fördern kam.

Die Bewährungsprobe für den Zusammenhalt des Dorfes und die Festigkeit seiner Gemeinschaftskräfte kam dann nach 1920, als Bösendorf, im Korridor gelegen, zu Polen kam. Zwei nebeneinander liegende Höfe wechselten die Besitzer. Die Vorbesitzer gingen in das Altreich. Man konnte verstehen, daß sie nicht unter fremder Herrschaft hier bleiben wollten. Andererseits galt es, der Heimat die Treue zu halten, den von den Vätern ererbte Besitz (z. T. waren die Höfe seit Jahrhunderten in der Familie) nicht zu verlassen und den Zusammenhalt des Dorfes nicht zu gefährden. Glücklicherweise wurde der eine Hof von einem deutschen Rückwanderer aus dem Osten erworben. Er konnte sich nur schwer an die hiesigen Verhältnisse gewöhnen und sich in die Gemeinschaft des Dorfes einordnen, akzeptierte sie aber. Der andere Hof ging in polnischen Besitz über, der einzige Hof von 17 Höfen des Dorfes! Ihn kaufte ein polnischer Rückwanderer aus Amerika. Er lernte Deutsch und fand sich damit ab, daß er bei der Heimkehr in sein polnisches Vaterland in einem rein deutschen Dorf landete. Es kam hinzu, daß er als einziger, nämlich als echter Pole, die Befähigung zum Schulzenamt hatte. So war man aufeinander angewiesen und kam miteinander aus. Das Dorf blieb deutsch. Die Gemeinschaft des Dorfes hatte seine größte Belastungsprobe in seiner langen Geschichte bestanden. Die Nachbarschaft hielt und trug, ja wurde in mancherlei Bedrückung immer fester.

[9] Die Trennung vom Vaterlande brachte eine immer größer werdende Isolierung der deutschen Sprachinseln, zumal die Städte, die bisher im besonderen die Kulturträger mit ihren Theatern, Bildungsstätten und Vereinszentralen waren, stärker polonisiert wurden. Das Reisen, um so die Verbindung mit Deutschland zu erhalten, war durch die hohen Paßgebühren schier unmöglich geworden So sah man sich gezwungen, sich auf die eigenen Kräfte zu besinnen, um das Band der Gemeinschaft zu erhalten, ja fester zu knüpfen. In Bösendorf wurde Anfang der zwanziger Jahre ein "Kränzchen" ins Leben gerufen. Allmonatlich kam man reihum zusammen. Eine Familie lud ein, und alt und jung versammelte sich, soweit man zu Hause abkömmlich war. Die treibende Kraft dieser "Kränzchen" war eine der Bäuerinnen, Frau Meta Ruback. Sie selbst stammte gar nicht aus dem Dorf, sondern aus dem Kreise Graudenz. Sie hatte auf einen großen Hof Bösendorfs eingeheiratet und sah einfach die Aufgabe: Die Gemeinschaft dieses Dorfes mußte gefestigt werden, um gegen die wachsende Polonisierungsgefahr ankommen zu können. Die Kränzchenabende wurden die Feste einer großen Familie, auf die man sich freute. Die strengen polnischen Versammlungsgesetze konnten dagegen auch nicht einschreiten. Es waren auch keine politischen Versammlungen, sondern eben Pflege der Gemeinschaft. Frau Ruback machte auch gar nichts Besonderes - es gab auch keine feste Organisation - sie sorgte nur für die rechtzeitige Einladung. Die Ausgestaltung übernahm die Jugend mit Musik (es gab einige Klavier-, Geigen- und Ziehharmonikaspieler), Gesellschaftsspiele, Volkstanz usw. Eine Kaffeetafel sorgte für das leibliche Wohl, die älteren Frauen hatten ihren Strickstrumpf mitgebracht, die Männer spielten Skat oder erörterten ihre Probleme. Das Dorf blieb beisammen!

Die Kräfte der Jugend wuchsen immer mehr, so daß man sich an kleinere Theaterstücke herantraute, das ging soweit, daß sogar Gerhart Hauptmanns "Der Biberpelz" aufgeführt wurde. Dazu kamen von der Thorner Bühne Gastspiele bzw. Anregungen durch auswärtige Jugendleiter der Volkstumsorganisationen.

Ende der zwanziger Jahre setzte eine Neubelebung der Dorfgemeinschaft ein, als der neu zugezogene Pfarrer Kurt Krause mit großem Einsatz kirchliche Gemeindeabende einrichtete. Diese Gemeindeabende, in den benachbarten Gasthäusern veranstaltet und von der Jugend ausgestaltet, und Kinderfeste (mit den Eltern) wurden zu Höhepunkten des Gemeindelebens. Das kirchliche Leben wirkte sich stark fördernd für das Gemeinschaftsgefühl des Dorfes aus: Die Männer fühlten sich für die Verwaltung (Erhebung der Kirchensteuer etc.) verantwortlich, die jungen Mädchen versahen den Organistendienst, halfen im Kindergottesdienst oder Chor. Zu den meisten Veranstaltungen kamen auch die deutschen Familien, die Bösendorf benachbart waren, die Pensauer und Amthaler usw., so daß nicht nur der Kreis sich vergrößerte, sondern daß Gr. Bösendorf zu einem kleinen Kulturzentrum für den westlichen Teil des Kreises Thorn wurde, wobei es aber durchaus nicht seinen Gemeinschaftscharakter verlor, sondern Mittelpunkt eines größeren Kreises wurde. Dazu trugen auch stark die Erntebälle und "Weihnachtsvergnügen" bei, die im Gasthaus "Der Sandkrug" der FamilieTews stattfanden: Hier traf man sich mit der Jugend der Nachbardörfer zum Tanz. Obwohl diese Veranstaltungen im größeren Rahmen stattfanden, blieben sie Sammelpunkte der Dorfjugend, nur im größeren Rahmen: Man kannte sich und lernte sich kennen und blieb beieinander.

[10] Nachzutragen ist noch, daß auch das wirtschaftliche Leben zum großen Teil gemeinschaftlich organisiert war. Die Molkereigenossenschaft, der Raiffeisenverein und Zusammenschlüsse der Nachbarschaft zur gemeinsamen Nutzung bestimmter Maschinen und Geräte (z. B. Dreschsatz) spielten eine große Rolle. Gerade in diesem engen Miteinander zeigte sich die echte Dorfgemeinschaft in ihrer Bewährung. Und ein Prozeß unter den Bewohnern Bösendorfs hat, so lange man denken kann, nie stattgefunden. Natürlich gab es auch mitunter Schwierigkeiten in dem Miteinander. Dafür sorgte schon das liebe Vieh, das die ihm durch die Zäune gebotenen Abgrenzungen dann und wann mißachtete. Aber solche Dinge regelte man nachbarschaftlich. Selbstverständlich gab es besondere Kontakte zwischen einzelnen Familien, zu denen man sich hingezogen fühlte, oder die durch verwandtschaftliche Bande sich nahestanden. Das fand man ganz natürlich. Es sprengte nicht den Rahmen und die Gemeinschaft.

In dieser Geschlossenheit und Einigkeit blieb Groß Bösendorf bis 1939. Das deutsche Dorf empfand die Septembertage dieses Jahres als Befreiung. Der Kriegssturm hatte fast keine Opfer gefordert. Aber bald kamen neue Ideen. Sie lösten die alten Ideale auf, und die Geborgenheit der festen Gemeinschaft verflüchtigte sich mehr und mehr. Die ganze Furchtbarkeit dieses Krieges zeigte sich immer stärker - bis das schreckliche Ende auch hier ein Ende setzte.

Das Dorf Bösendorf besteht auch heute noch. Es wird sicher kein "Zla Wies", "ein böses Dorf" sein, aber es ist auch kein "Bauerndorf" mehr, und die alte in Jahrhunderten gewachsene und gereifte Gemeinschaft kann es auch nicht haben. Andere Menschen, die von all diesem Großen und Schönen nichts wissen, sind dort jetzt angesiedelt. Ein Bruch im Ablauf der Zeitläufe hat etwas zerstört, was nicht wieder hergestellt werden kann. jedoch, es wäre denkbar, daß die früheren Bewohner Bösendorfs und alle, die die schöne Gemeinschaft dieses Dorfes erlebt haben, etwas mitnahmen und es an einem andern Ort einpflanzen und künftigen Geschlechtern weitergeben.

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© 2000  Volker J. Krüger, heim@thorn-www.de
letzte Aktualisierung: 13.03.2004