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Familie Hude: Gut Rentschkau  


Ines Enß, geb. Hude †


Erinnerungen






Diese Seite ist ein Dokument mit einem Kapitel Text Beilage zu einem Brief an Albrecht Duwe vom 20.11.1978
 

Die Zahl in blauer eckiger Klammer [23] bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang im Original.

Ich will versuchen aus eigenen Erinnerungen u. aus Erzählungen meiner Mutter einen Bericht und Beschreibung unseres ehemaligen Besitzes - Gut Rentschkau im Kreise Thorn - zu geben.

Zu Gut Rentschkau gehörten, als wir es am 22. Januar 1945 verlassen mußten 220 ha.. Davon lagen ca 170 ha auf der sog. Höhe u. grenzten an die Ländereien von Rittergut Tannhagen, an die Höfe polnischer Bauern von Dorf Rentschkau und an Gut Berghof. Der Rest unserer Felder fiel teilweise fast steil ab an den Hängen des baltischen Landrückens in die Niederung. Dort in der Niederung hatten wir ca. 30 ha natürliche Wiesen und einige kleine Ackerflächen mit leichtem Boden. Während das Land auf der Höhe durchweg gut war u. durch umfangreiche Meliorationen, die mein Vater ausführen ließ, überall zum Anbau von Weizen und Zuckerrüben geeignet war, bereitete die Bewirtschaftung der zur Niederung abfallenden Hänge viel Mühe u. war auch häufig durch schwere Regenfälle und Auswinterungsschäden gefährdet. Solche Unwetter haben wohl auch vielen Jahrhunderten die in Westpreußen sogenannten Parowen gebildet, die wohl sich landschaftlich ganz hübsch machten, aber für eine Feldbestellung nur hinderlich waren. Einige unserer Wiesen waren recht gut, andere, besonders in poln. Zeit, als die Vorfluter nicht in dem erforderlichen Zustend gehalten wurden, ständig durch stauende Nässe bedroht. Mein Vater war ein guter Ackerwirt u. hat seinen Besitz so intensiv, wie es ihm möglich war, bewirtschaftet. Wir hatten ein Kontingent von 8500 Dzntr Zuckerrüben, die zur Zuckerfabrik Unislaw geliefert wurden, an der wir auch mit einigen Aktien beteiligt waren. Der Spätherbst war in Rentschkau immer die schwierigste Zeit im Ablauf des Jahres; denn wenn schon das Aufnehmen der Rüben ein Wettlauf mit der Zeit war, so war die Abfuhr und das Verladen auf dem ungfr. 5 km entfernten bahnhof Wibcz eine schwere Belastung für Menschen und Pferde, denn die Campagne war üblicherweise vor Weihnachten abgeschlossen. Außer den landesüblichen Feldfrüchten wurde noch Rübensamen angebaut, das konnte bei guten Erträgen auch gute Einnahmen bringen, war aber wegen der Pflege sehr arbeitsaufwendig. Mein Vater, als Sohn eines Braunschweiger Gemüseanbauern, legte sehr bald, nachdem er Rentschkau übernommen hatte, unmittelbar unter dem Südhang eine große Spargelplantage an. Im Gutsgarten wurde viel Frühgemüse in Mistbeeten angezogen und gute Obstsorten angebaut. Abgesetzt wurden diese Erzeignisse in Thorn über die deutsche Landfrauengenossenschaft, u. in der Spargelzeit wurde 2mal wöchentlich mit Pferd und Wagen nach Bromberg auf den Markt gefahren und dort an einen schon meistens festen Kundenstamm abgesetzt. Das war immerhin eine Strecke von 30 km, also nach heutigen Begriffen undenbar!

Ich möchte nun einiges von den wechselnden Schicksalen von Rentschkau berichten: so ist es mir aus Erzählungen meiner Mutter im Gedächtnis geblieben die 20ger und dreißiger Jahre habe ich ja bewußt miterlebt. Der Hof Rentschkau ist wahrscheinlich schon früh landwirtschaftlich genutzt, denn im Märker ist er erwähnt, daß er der Komturei Birglau in der Zeit des Ritterordens abgabepflichtig war. Über die nächsten Jahrhunderte weiß ich nichts zu sagen. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts umfaßte das Gesamtareal wohl auch das jetzige Unterrentschkau, Guttau. Es soll der Stadt Thorn gehört haben, die es angeblich an zwei Brüder Tapper verpachtet hat. Zu der Zeit lag der Bahnhof gegenüber der späteren ev. Kirche, das Gutshaus stand bis in unsere Tage noch u. wurde von einem poln. Hofbesitzer als Insthaus genutzt. Als die Brüder Tapper aufgaben, entstanden in der Niederung kleine bäuerliche Anwesen und es blieb der eigentliche Gutshof mit dem Areal, das er ungefährbis in unsere Tage hatte. Dann kaufte es ein Kaufmann Rauch aus dem Reich, der es aber sehr bald wieder verkaufte, weil es wegen der schwierigen Bewirtschaftung kein Ertragsgut war. Dann wurde Pohl Besitzer, eine im Kulmer Land ansässige Familie. Er selbst war Reserveoffizier u. die Söhne wurden auch Offiziere, die damit verbundenen Verpflichtungen konnte ein Gut dieser Größe nicht tragen - es wurde verkauft. Der nächste Besitzer war der Gutsbesitzer Miske aus Luszkowo im Kreis Schwetz. Und hier kommen nun meine Vorfahren mit Rentschkau in Beziehung: Mein Großvater Heinrich Fritz aus Amthal war Inspektor bei dem oben genannten Miske und der übertrug ihm die Verwaltung von Rentschkau. Er heiratete Hulda Glitzke aus Pensau, das war 1885. Schon sehr bald pachteten sie Rentschkau, denn als ihr erstes Kind, meine Mutter Anna,1887 geboren wurde u. in Gurske der Kirche, zu der damals Rentschkau gehörte getauft wurde, ist sie in die Kirchenbücher als Tochter des Gutspächters Fritz eingetragen. In den 90ziger Jahren kauften meine Großeltern dem Grundbesitzer Miske Rentschkau ab. Die Fritzens waren in Amthal durch die Bewirtschaftung der Kempen nicht unvermögend u. auch mein Urgroßvater Glitzke hat neben der Bewirtschaftung seines Grundstückes in Pensau Magervieh für die großén Brennereigüter aufgekauft und wohl für damalige Zeiten daran recht gut verdient.--

In den ersten Jahren dieses Jahrhunderts unternahm die Reichsregierung einiges, um diese Gebiete, die durch teilweise starke poln. Bevölkerung, die größtenteils als Gutsarbeiter auf den Gütern wohnten, durch den Ankauf von zum Verkauf angebotener Güter diese mit deutschen Bauern zu besiedeln, und so diese einseitige Struktur zu durchbrechen. So wurden in jenen Jahren in der Nachbarschaft von Rentschkau die Güter Lubianken mit Koryt, Lansen und Hohenhausen aufgesiedelt. Nebenbei möchte ich noch bemerken, daß die Güter sich in deutscher Hand damalig befanden, und die Besitzer einem Zug der Zeit folgend nach Berlin zogen, also keine Zwangsgermanisierung, wie so gern und viel behauptet wird. So ergab es sich, daß man, wie man zu sagen pflegt, einen Mittepunktort brauchte und das sollte Rentschkau sein. Das Land für die zu errichtende ev. Kirche, das Pfarrhaus, den Friedhof, Zufahrtsweg, das Haus für den Arzt, den Tierarzt und nicht zu vergessen für den Gendarmerieposten wurden von Gut Rentschkau abverkauft. Mein Vater hat im nachhinein diese Großzügigkeit meines Großvaters oft beklagt, denn gerade der Gendarmerieposten war rundherum von unsern Äckern umgeben und das zahlreiche Federvieh des jeweiligen Herrn Gendarm, ob deutsch oder nach 1920 polnisch lebte nicht schlecht auf unsern Feldern. Das Dorf Rentschkau selbst hatte eine durchweg polnische alteingesessene Bevölkerung. Es gab da noch zwei größere Höfe von 100 und 50 ha, die schon lange in Familienbesitz waren.

Meine Großeltern, auch wir hatten ein ausgezeichnetes nachbarschaftliches Verhältnis zu ihnen, und undenkbar wäre gewesen, daß sie an der Treibjagd nicht teilgenommen hätten. Dein Vater, Albrecht, der ja auch immer dabei war, hätte sich sicher gut an den eleganten Raciniewski und den gemütlichen Panie Szymański erinnert. Auch das an die Feldmark von Dorf Rentschkau angrenzende Dorf Siemon war hauptsächlich von Polen bewohnt. Die Ausnahme war der Hofbesitzer Duwe und der Müller Kohtz, ein ganz besonders prächtiger Mensch, dem wir Hudes in den Schreckenstagen des 2. u. 3. September 1939 viel zu danken haben. Siemon war auch deshalb polnisch, weil die "Plebanka" seit langen Zeiten der Basilika von St. Johann in Thorn gehörte und diese hat ihre Pachthöfe immer mit Polen besetzt. Das Dorf "Łonżyn", auch an Rentschkau grenzend war ein poln. Bauerndorf mit kath. Kirche. Das angrenzende Lansen war durch die Ansiedlung ein rein deutsches Bauerndorf geworden. Obwohl die Ortschaften ineinander übergingen, war der Unterschied hier deutsch, dort polnisch nicht zu übersehen. Leider mußte ein Teil dieser Ansiedler, nachdem das Gebiet nach dem ersten Weltkrieg polnisch geworden war, ihre Höfe verlassen und ins Reich auswandern. Die Polen hatten ja bekanntlich zur Repolonisierung ein Gesetz erlassen, daß, so meine ich, wer nach 1905 angesiedelt worden war, diese Gebiete verlassen mußte. So ist auch, das westlich von Rentschkau liegende Hohenhausen aufgesiedelt worden. Unter diesen Ansiedlern befanden sich mehrere Schlesier, auch Wolhynendeutsche, die alle bleiben konnten und gutgehende Höfe bewirtschafteten. Diese Ortschaften lagen alle, wie man damals und dort sagte: auf der Höhe. In der Niederung lag der Ortsteil Unterrentschkau links von der Chaussee, die nach Bösendorf führte. Zu beiden Seiten eines ungepflasterten Weges lagen kleine Grundstücke, die fast alle deutsche Besitzer hatten. Es gab in diesem Teil Rentschkaus sogar eine einklassige Volksschule, die bis ungefr. 1925 von einem deutschen Lehrer geführt wurde. Bekanntlich mußte in einem Ort, wo mehr als 40 deutsche Kinder waren eine deutsche Schule sein. Aber dieses Gesetz wurde sehr bald dahingehend unterlaufen, daß man völlig willkürlich einen Teil von Unterrentschkau zu Guttau zuschlug und damit fehlte es an der erforderlichen Kinderzahl. Religionsunterricht in der Muttersprache mußte weiter am Nachmittag in der Muttersprache erteilt werden. Obwohl ich selbst Privatunterricht hatte, nahm ich an diesem Unterricht teil, damit das kleine Häuflein verstärkt wurde. Wenn man es bedenkt, kann man den Mut des deutschen Lehrers nur bewundern, denn obwohl er genau wußte, daß sein poln. Kollege ihn wohl bespitzelte und er sich selbst in Gefahr begab, hat er diese Religionsstunden großartig genutzt die Kinder in ihrer Muttersprache zu unterweisen. Nach 1927 hörte das dann auch auf und nur die Wanderlehrer vom deutschen Schulverein in Bromberg betreuten in den Familien diese Kinder. --

Mein Vater, Franz Hude, geboren 1872 in Braunschweig Gliesmarode, gelernter Landwirt, ist mehr durch Zufall nach Westpreussen gekommen. Als er Verwalter auf einer Domäne im Kreis Hildesheim war, lernte ihn auf einer Jagd der alte Graf Alvensleben aus Ostrometzko kennen. Dieser fragte ihn, ob er Lust hätte das für seinen Sohn Joachim erworbene Gut Tannhagen im Kreis Thorn zu verwalten. Mein Vater trat diese Stellung, ich meine im Jahre 1903 an. Er, wie viele vor ihm und nach ihm, schätzte und liebte sehr bald den deutschen Osten, der mit seinen größeren Dimensionen dem Einzelnen mehr Freiraum und persönliche Entfaltungsmöglichkeiten bot. Mein Vater hat bis zum bitteren Ende 1945 stets ein ausgezeichnetes Verhältnis zu Joma v. Alvensleben gehabt u. auch dessen berühmt, berüchtigte Eskapaden konnten seine persönliche Wertschätzung für ihn nie mindern. --

Im Jahre 1905 starb mein Großvater Heinrich Fritz in Rentschkau, seine Witwe, Hulda Glitzke/Pensau, hat mit Hilfe eines Inspektors die Bewirtschaftung weiter geführt. Der Gedanke zu verkaufen u. mit ihren beiden Töchtern in die Stadt zu ziehen, ist ihr nie gekommen, denn dafür hatte sie doch wohl zu viel bäuerliches Blut in den Adern, um ohne Not Besitz aufzugeben. Im Jahre 1908 heiratete meine Mutter meinen Vater - Franz Hude -.

Zuerst pachteten sie den Besitz von der Schwiegermutter, Wwe Fritz, geb. Glitzke, und 1913nach der Verehelichung der einzigen Schwester Margarethe mit dem Rittergutsbesitzer Tilk aus Rüdigsheim übernahmen sie es als Besitzer. Meine Großmutter starb 1919; sie wurde neben ihrem Mann auf dem Friedhof in Rentschkau, sozusagen auf eigenem Acker beerdigt. Bei meinem Besuch in Rentschkau 1975 war der Friedhof wieder Ackerland, kein Stein, kein Baum, nichts mehr war vorhanden, der bezeugen konnte, daß deutsche Menschen hier gearbeitet und ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten. --

Nachdem nach dem Versailler Friedensdiktat aus Rentschkau Rzeczkowo, aus Thorn Toruń geworden war, hat sich für meine Eltern nie und in keiner Situation die Frage gestellt ob man für Deutschland optieren und auswandern solle, obwohl meinem Vater, als 1903 zugewanderter Schwierigkeiten gemacht wurden.

Zu sehr mit Land und Leuten verbunden, hätte ihnen Aufgeben ohne Not Verrat bedeutet. Die ersten zwanziger Jahre waren wohl auch wirtschaftlich weniger problematisch. Wir hatten nach wie vor unsere alten Instenfamilien, das Verhältnis zu den polnischen Nachbarn blieb wie vorher, und die Behörden behandelten uns so ziemlich gerecht. Erst zum Ende der zwanziger Jahre, als sich die allgemeine Wirtschaftskrise immer mehr auswirkte, wurde auch der Druck auf uns stärker. So war die Bemessung der Einkommensteuer fast willkürlich zu nennen. Besonders kritisch wurde es, als der polnische Staat das bewährte System der Selbstverwaltung mit Sołtys und W6#243;jt durch den Zusammenschluß mehrerer Gemeinden zur "Gmina" mit einem aufgeblähten Verwaltungsapperat, ablöste. Unglücklicherweise war der Sitz dieses "Sekretarz" und der Gmina wieder in Rentschkau und wir waren ihren Schikanen bevorzugt ausgesetzt. Da mein Vater nur mangelhaft polnisch sprach, habe ich mit diesen Menschen sehr oft verhandeln müssen und weiß, was ich schreibe, wenn ich von Schikanen spreche. Im Jahre 1938 fielen wir unter das Gesetz zur Zwangsparzellierung. Man darf auch diese Maßnahme auf das Schikanöse Verhalten der örtlichen Potentaten schieben, denn nach dem Gesetz und der Größe unseres Besitzes konnten uns nur 30 ha enteignet werden, also viel zu wenig, um Siedlungen aufzubauen, denn das angrenzende Tannhagen fiel nicht unter die Parzellierung. Durch den Kriegsausbruch von 1939 haben wir dann die zwar schon vermessenen Flächen behalten können.

Bei der Mobilmachung Polens in den letzten Tagen des August 1939 verloren wir auf einen Schlag nicht nur fast alle männlichen Arbeitskräfte, auch Gespanne und Wagen mit Getreide, das auf Befehl ausgedroschen werden mußte, ging dahin. Über die ersten Septembertage des Jahres 1939 in Westpreussen ist viel geschrieben worden, wir müssen dankbar sein, daß wir die Tage ohne Verhaftung und Verschleppung überstanden haben.

Die ersten Monate "nach der Befreiung" haben meine Eltern nicht nur freudige Genugtuung gebracht wieder Deutsche in Deutschland zu sein, fassungslos und erbittert standen sie den Maßnahmen gegenüber, daß man unsere guten polnischen Nachbarn, die im Deutschland vor dem ersten Weltkrieg loyale deutsche Staatsbürger gewesen waren, in unmenschlicher Art von ihren Höfen vertrieben und ins Reich transportiert hat. Und eine Verwendung für ihr Schicksal wurde als Kollaboration mit dem Feinde ausgelegt. Aber dies alles ist ein weites Feld.-

Am 22. Januar 1945 haben wir mit 4 Treckwagen Rentschkau für immer verlassen. Mein Vater starb 1945 im schrecklichen Durchgangslager Wittenberge/Elbe, meine Mutter 1960 in Soltau.

Ines Enß









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© 2000   Volker J. Krueger, heim@thorn-www.de
letzte Aktualisierung: 05.09.2009