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Albrecht Duwe

Gursker Blaetter



Diese Seite ist ein Dokument mit einem Kapitel Text [11] Brief von Kurt Strehlau 16.10.1939
 


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Gurske, 16.10.1939

Liebe Kusine!

Es geht mir noch manches durcheinander, aber ich will Dir endlich berichten. Ich nehme an, Du weißt, daß ich wieder zu Hause bin. Es war eine unfreiwillige Entfettungskur, ich wog nur noch 5o kg. Jetzt fühle ich, daß es aufwärts geht. Gottseidank sind die Knochen heil geblieben. Das Erbrechen und das viele Weinen hat aufgehört, nur die Nerven machen mir zu schaffen. Daß in Gurske und Alt-Thorn relativ wenige Deutsche dran glauben mußten, ist ein gewisser Trost.

Am 24. Aug. kam die Einberufung nach Thorn (innerhalb 2 Stunden) zu einer Sanitätskompanie. Am 1.Sept. ging es nach Briesen, Verwundete verladen. Am Sonntag (3.) früh gab es die Feuertaufe am Bahnhof durch deutsche Flieger, obwohl viele RK-fahrzeuge herumstanden. Am Vortage hatten sie nicht angegriffen, waren aber von Eisenbahnern und Polizisten mit Karabinern beschossen worden. So erkläre Ich mir das. Im Umkreis von 3o Schritt fielen 6 Bomben, eine davon 8 Schritt neben mir. Sonderbarerweise spürte ich keine Angst. Hinterher flatterten die Nerven. Es hatte einen Toten gegeben und mehrere Verwundete. Darauf befahl man uns ins Briesener Lazarett. Dort war es furchtbar, ich kann es nicht beschreiben, Blut und Hilfegeschrei ohne Ende. Schon in der Nacht kam der Donner der Front gefährlich nahe. Die Verwundeten blieben aus. Wir marschierten noch in der selben Nacht auf Umwegen über Kulmsee - zuletzt fluchtartig - nach Thorn. Wie hatte sich unsere Stadt verändert! Überall Unordnung, die Behörden fort, alles kopflos. Die Soldaten fragten: "Wo sind unsere Offiziere, wo sind unsere Flieger?" Wir paar Deutsche, immer unter Verdacht, wußten natürlich auch nichts, aber ahnten, daß es anders steht, als man uns sagte. Die Verpflegung blieb aus, Löhnung habe ich den ganzen Einsatz über nicht gesehen, aber zu rauchen gab es jede Menge. Donnerstag (7.)nachts zogen wir über die Brücken ab. Hinter uns flogen sie mit furchtbarem Getöse in die Luft. - Und deutsche Soldaten schützten schon seit Sonntag unsere Niederung, was wir natürlich nicht wußten. Wir marschierten über Cichocinek, Wloclawek bis Gostynin, einmal 46, einmal 69 km, im Staub, hungrig, lebten von Wasser und Wrukken. Die Rußen verstopft von flüchtendem Zivilvolk, brüllendes Vieh, schreiende Kinder. Unterwegs sah ich zu wie man 14 Deutsche erschossen wurden. Zuletzt kam ein poln. Offizier mit dem Revolver und wer sich noch rührte, da half er nach. Man wußte nichts mit uns Versprengten anzufangen. Nur an dem nächtlichen Getöse der Kämpfe bzw. am Feuerschein wußten wir, wo es lang geht: Immer rückwärts.

Am 15. Sept., Mutters Geburtstag, hatte ich wieder Krankendienst. Das kann ich nicht loswerden, dieses Geschrei, dieses Sterben, für was? - Am 16. drang der Kanonendonner immer lauter vor, sodaß die Scheiben zitterten. Plötzlich Abmarsch, rette sich, wer kann. Die Straßen verstopft, die ewigen Fliegerangriffe, diese endlosen Kriegsbilder! Am 17.früh waren wir eingeschlossen. Artillerie- und MG-Beschuß aus allen Richtungen. Einschläge nahebei schüttelten mich durch. Es prasselte im Geäst des Kruschkenbaums über mir,- Schrappnellfeuer. Davon gibt es eklige Verwundungen. Zwei bis drei Stunden ging das so. Rundum in der Nähe rührte sich bald nichts mehr. So lagen die armen Pferde eingespannt im Blut, die Fahrer noch die Leinen in der Hand. Für mich aber war keine Kugel bestimmt, ein gütiges Schicksal ließ mich den Abend erleben. Von vorbeilaufenden Zivilisten und Soldaten erfuhr ich, daß etwa 2 km ab, bei einem brennenden Gehöft, schon deutsche Soldaten gesehen wurden. Ich merkte mir die Richtung. Während ich hier bis zum Abend festlag, tobte rundum die Schlacht. 1/2km ab sah ich , wie polnische Artillerie und Luftabwehr von den Fliegern zerschlagen wurde. Als es abends ruhiger wurde, setzte ich mich auf den Feuerschein zu ab - bis an einen Wegrand, wo ich auf günstige Gelegenheit wartete. Zuerst rollte fast geräuschlos eine motorisierte Truppe vorbei, danach kamen Reiter, denen ich mich zu erkennen gab.

So war ich nun, wenn auch als Gefangener, nach all dem Elend, halb verhungert in Sicherheit. Die nächsten Tage ging es über Kutno, Sieradz - die letzten Stationen mit LKW der Wehrmacht - bis Kalisch, wo ich am 29. Sept. als Volksdeutscher entlassen wurde. Am 1. Oktober abends war ich dann zu Hause. All das namenlose Elend will ich nun vergessen und am Aufbau mithelfen - endlich frei von der polnischen Unterdrückung. Heil Hitler!

Dein Vetter Kurt

Kurt Strehlau

Kurt Strehlau (19o1-1945) wurde noch im alten Bohlenhaus geboren und war zur Zeit des Brandes 9 Jahre alt. Als ausgebildeter Landwirt übernahm er kurz nach seiner Eheschließung mit Elfriede Jesse-Gurske anstelle des väterliche Grundstückes das Knoof'sche (Nr.17 auf dem Kartenausschnitt) Sein Einsatz 1939 als polnischer Soldat war kurz. Der Einsatz bei der Wehrmacht ab 1943 brachte ihm das Ende. Letzte Nachricht aus einem Lazarett in der Tschechei.- Der Frau gelang die Flucht in den Westen, wo sie ihn für tot erklären ließ. Den Lastenausgleich erhielten die Verwandten, denn sie verstarb vor der Auszahlung.


 
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© 2000   Volker J. Krüger, heim@thorn-www.de
letzte Aktualisierung: 04.09.2004