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Horst Ernst Krüger:


Die Geschichte einer ganz normalen
Familie aus Altthorn in Westpreussen


kommentiert und um Quellen ergänzt von Volker Joachim Krüger


Diese Seite ist ein Dokument mit einem Kapitel Text

Ea, Kopf hoch

 

Die Zahl in blauer eckiger Klammer [23] bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang in der Originalausgabe, die dem Herausgeber vorliegt.

Hinter dem eröffnen sich genealogische Zusammenhänge in Bezug auf die betreffende Person.

Falls Sie sich den Originaltext, um den es an der so bezeichneten Stelle geht, ansehen wollen, so werden Sie hier fündig.

Mit diesem Zeichen weist der Herausgeber dieses Dokuments auf Bemerkenswertes hin und

mit diesem Zeichen macht er auf Fragen aufmerksam, die sich ihm zu dem jeweiligen Text gestellt haben.

Hier erwartet Sie ein Schwarz-Weiss-Foto und hier eine solches in Farbe.

Und falls Sie mehr über die soKurzbiographie gekennzeichnete Person erfahren wollen, finden Sie hier eine Kuzbiographie.

"Da ich meiner Veranlagung nach eher heiter bin und die Welt durch eine rosarote Brille sehe, wollte ich eine ausgelassene Hochzeit feiern. Die entsprach dann aber schließlich doch nicht meinen Erwartungen. Wir standen unter dem Eindruck von Omas Tod, und was noch viel schlimmer war, unter dem Schock, daß Papa drei Tage vorher von dem jungen Schedler gewarnt worden war. Während meiner Hochzeitsfeier kam das Hausmädchen zu unserem Vater und sagte ihm, es wären einige Polizisten auf den Hof gekommen, die ihn sprechen wollten. Sie fragten ihn, was für eine Veranstaltung hier stattfinde. Als er ihnen die Auskunft gegeben hatte, daß [170] seine Tochter Hochzeit habe, waren sie wieder abgezogen.

Die Hochzeitstafel war mit vielen Blumen, Kerzen und schönem Porzellan gedeckt. Nach dem Essen hielten sich die Gäste zunächst im Garten auf. Es wurde nicht getanzt, da, wie gesagt, Oma Hermine kurz vorher gestorben war. Unsere Gäste feierten bis zum frühen Morgen. Wir, das heißt Herbert und ich, fuhren in der Hochzeitsnacht mit dem Zug nach Danzig. Unsere Reise war von der sich zuspitzenden politischen Lage überschattet. Wir blieben deswegen nur vom 20. Juli bis zum 1. August in Zoppot. Einen Tag, nachdem wir zurückgekommen waren, fand in Pensau eine Haussuchung statt. Sechs Männer, es waren polnische Hilfspolizisten in Uniform, sagten, ihnen sei gemeldet worden, daß wir nicht alle Waffen abgeliefert hätten. Die Jagdflinten, Gewehre und ein Tesching seien in Thorn abgegeben worden, aber keine kurzen Waffen. Sie durchsuchten das ganze Haus, fanden aber nichts.

Am 22. August wurden alle unsere Pferde requiriert. Sie mußten zu einer bestimmten Uhrzeit in Thorn abgeliefert werden. Auch unser Kutscher sollte sich mit zwei Pferden und Wagen in einer Kaserne in Thorn einfinden, um polnische Offiziere zu fahren. Mehrere Kühe und Schweine wurden vom Militär abgeholt. Der Kutscher kam bald wieder zurück. Am 31. August traf der Stellungsbefehl für Herbert ein. Er sollte sich in seinem Standort melden. Diese Nachricht konnte ich noch mit einem Boten nach Altthorn schicken. Mutti hatte ihm einige Konservendosen als eiserne Ration für Herbert mitgegeben. Er brachte auch einen Brief von meinem Vater mit. In ihm stand: 'Es werden schwere Tage auf Dich zukommen, mein Kind. Kopf hoch, Ea. Dein Vater.' Das war die letzte Nachricht, die ich von ihm erhalten hatte. Der Zuspruch bedeutete in meinem Leben sehr viel. Immer, wenn ich ganz am Ende war, hörte ich seine Stimme 'Ea, Kopf hoch', dann ging es wieder besser.

Ich brachte Herbert nach Thorn. Er sagte zu mir, als wir über die Straßenbrücke zum Hauptbahnhof fahren wollten, er [171] möchte sich jetzt schon verabschieden und mit der Straßenbahn weiterfahren. Später erfuhr ich, daß alle deutschen Frauen, die ihre Männer bis zum Bahnsteig begleitet hatten, an der Sperre verhaftet und in einem Viehwaggon nach Bereza verfrachtet worden sind. Ich bin wie durch ein Wunder verschont geblieben, weil ich gleich, nachdem sich Herbert verabschiedet hatte, nach Hause gefahren war. Dann begann der Krieg. Jegliche Verbindung zu Herbert war abgerissen. Am 15. Oktober bekam ich von ihm eine Karte mit der erlösenden Nachricht, daß er lebe. Drei Tage vorher war ein unbekannter Mann zu mir nach Pensau gekommen und berichtete, Herbert sei in Wroclawek aus dem Zug ausgestiegen und zu Fuß in Zivil weiter marschiert. Einige Männer hätten deutsch gesprochen. Sie seien sofort erschossen worden. Daraufhin hätten sich die Deutschen polnische Namen gegeben. Nachher wären sie trotzdem aussortiert und in der Zitadelle von Warschau inhaftiert worden. Nach schweren Stukaangriffen auf dieses Gefängnis sei er so verzweifelt gewesen, daß er sich aus dem Fenster habe stürzen wollen. Herbert habe ihn zurückgehalten und ihm dadurch das Leben gerettet. Einige Tage später kam er dann zum Skelett abgemagert nach Hause. Ich päppelte ihn schnell hoch, und wir bewirtschafteten dann zusammen unseren Hof in Pensau."


 
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© 2000  Volker J. Krüger, heim@thorn-wpr.de
letzte Aktualisierung: 30.07.2004