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Rathausturm mit Copernicus-Denkmal

Rita Winkler, geb. Duwe


Für alle Nachkommen des Georg Duwe, Großbösendorf, Westpreussen


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Privatschrift 1991

 

Die Zahl in blauer eckiger Klammer, z.B.: [23] , bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang im Original.

Im Mai wanderten wir durch den Böhmerwald. In einem Quartier las ich in einer alten Zeitung die eingesandte, anrührende Liebesgeschichte der Großeltern einer Leserin. Das erinnerte mich an die (Liebes?)-Geschichte meiner Urgroßeltern. Mein Urgroßvater Georg Duwe hatte seine Soldatenzeit hinter sich, einen schönen Bauernhof in Großbösendorf, und nun fehlte ihm eine Frau. Wie damals üblich wandte er sich an einen Vermittler und ging bald auf "Brautschau". Dazu putzte er sich, sein Pferd und seinen Einspänner heraus und besuchte die in Frage kommenden Eltern heiratsfähiger Töchter. Dabei wurde beredet, was er so hatte, was sie so mitbringen würde, Familienverhältnisse usw. Haus, Hof und Anwesen wurden besichtigt. Er schaute sich gründlich unter den Töchtern der Gegend um. Bei einer z.B. stimmte alles recht gut zusammen. Da stieg sie zur abschließenden Besichtigungsfahrt über die Felder auf den Kutschwagen. Dazu hob sie etwas den damals gebräuchlichen langen Rock - und er sah ihre krummen Beine! Er hatte bei der Garde gedient und das sollten seine Söhne auch! Mit krummen Beinen unmöglich! Die schied also aus.

So kam er auch zu den Eltern meiner künftigen Urgroßmutter! In der Stube gab es Kaffee und Kuchen. Sie deckte den Tisch, goß Kaffee ein und räumte wieder ab. Mit am Tisch saß sie selbstverständlich nicht! Wie damals üblich, bediente sie sich später in der Küche von den Resten. In der Stube lief alles recht gut, man kam sich näher. Sie indes, in der Küche, trank den wohlverdienten Kaffee aus der Tasse, die der Besucher Georg gerade benutzt hatte. Sie sagte sich, wenn ich ihn doch schon heiraten soll, kann ich auch gleich aus seiner Tasse trinken. Abwasch gab es sowieso gerade genug. Auf einem abschließenden Rundgang durch das Haus kam man auch in die Küche. Was Georg dort sah, war für den wählenden Bräutigam der entscheidende Moment. Sofort hatte er erkannt, daß sie aus seiner Tasse trank (Die Tasse trug ein besonderes Muster). Er sagte sich: Das ist ein sparsames, praktisches Mädchen und mögen muß sie mich auch, was ihm ja doch auch nicht ganz unwichtig war. Aber das Wichtigste war ohne Zweifel ihre Unkompliziertheit und Sparsamkeit. Denn Sparsamkeit war eine seiner wichtigsten Eigenschaften! So wurde bald Hochzeit gefeiert und sie haben lange gut zusammen gelebt.

Elf Kinder hatten sie, darunter sechs Mädchen. Um Urgroßvaters Einstellung zu erläutern - er fand, die Mädchen brauchten nicht schön zu sein und benötigten kein Geld für schöne Kleider. Aber ein ordentlich gefülltes Sparkassenbuch auf den Rücken gebunden - so würden sie schon Freier finden.

Und siehe da - alle sechs waren verheiratet, bevor sie 20 Jahre alt waren.

So auch meine Großmutter Selma mit Hugo Krause. Der Urgroßvater hatte so sparsam gewirtschaftet, daß er es sich leisten konnte, diesem Schwiegersohn seinen Hof zu übergeben und mit seiner Frau als "Rentier" nach Thorn zu ziehen. Leider mußte er im Alter erleben, daß die Inflation sein Geld verschwinden ließ und so sind er und seine Frau im hohen Alter in Großbösendorf gestorben.

Wie es im Leben so zugeht - Die Urgroßeltern haben ihre Kinder natürlich zu Einfachheit, Sparsamkeit und Arbeit erzogen. Aber da war eben noch die blinde oder halbblinde Tante Anna, ledige Schwester des Georg. Sie hatte Wohnrecht auf dem Hof und versorgte den Haushalt und die Kinder, während die Urgroßmutter meist im Stall und auf den Feldern zu tun hatte.

Diese Tante Anna verwöhnte nun die Kinder, wo es nur ging. So gab es natürlich einfache Kost, möglichst Gemüse aus dem eigenen Garten, wie Kohl oder Möhren. Bei Tisch aßen davon ein Teil der Kinder nichts und die Urgroßeltern glaubten, sie müßten eben hungern - aber nicht mit Tante Anna! Da gab es später Schmalzbrot und Kakao in der Küche! Das kann sogar ich bezeugen, denn meine Großmutter hat nie Gemüse gegessen. Immer aß sie Brot und trank Wasserkakao, wenn es auf dem Tisch stand!

Die Tante Anna hat auch noch die älteste Tochter der Selma - Alice, meine Mutter - betreut und ihr oft diese Geschichten erzählt. Meine Mutter nun, hat sie mir oft erzählt und meinem Vater Walter Duwe gefiel die Geschichte mit den Sparbüchern am besten. Das wollte er bei seiner einzigen Tochter - also mir - auch tun. Leider waren die Zeiten so schlecht und so habe ich eben nicht mit 20 Jahren geheiratet, sondern erst mit 27 und bin bis heute glücklich.

Und mein Vater ist auch ruhig gestorben. Er hat im Alter noch das mit dem Sparbuch bei mir und seinen drei Enkeltöchtern nachholen können.

Rita Winkler, geb. Duwe

Im Mai 1991

 


 

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© 2000  Volker J. Krüger, heim@thorn-wpr.de
letzte Aktualisierung: 09.09.2004