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Rathausturm mit Copernicusdenkmal

Heinz Neumeyer

750 Jahre Thorn



aus: Westpreussenjahrbuch Bd. 31, ISBN 3-922677-06-2; S. 5 ff
Herausgegeben von der Landsmannschaft Westpreussen 1981

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Zitate

(c)1980 Druckerei und Verlag C.J.Fahle, Münster (Westf.)

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[5] Die Stadt Thorn an der Weichsel kann im Jahre 1981 auf ihr 750jähriges Bestehen zurückblicken. Nach 1945 wurde sie vor allem durch ihre Universität zu einem polnischen Kulturzentrum ausgebaut. Sie ist jedoch eine deutsche Gründung - die erste deutsche Siedlung östlich der Weichsel -, die von ihrer Entstehung bis zum Ende des Ersten Weltkrieges - und damit auf neun Zehnteln ihres Weges bis zur Gegenwart - eine deutsche Bevölkerungsmehrheit hatte und durch deutsche Kultur geprägt war.

Dieses deutsche Kulturgepräge ist heute noch erkennbar. Wenn man von der Weichsel aus auf die Stadt sieht, dann erblickt man eine alte trutzige Festung mit starken Mauern, dichtgedrängten Häusern und ehrwürdigen Kirchen - ein Stück deutsches Mittelalter. In keiner anderen Stadt des Preußenlandes hat der Deutschordensgeist einen so starken Ausdruck gefunden.

Die Deutschordenszeit war die wichtigste Epoche in der Geschichte der Stadt; in ihr erlebte Thorn eine Blüte, wie sie es später nie wieder erreicht hat. Die Ausdehnung, die es damals erhielt, ist später nicht wesentlich überschritten worden. Zu der 1231 begründeten und 1236 an die heutige Stelle verlegten Altstadt trat 1264 die gewerbetreibende Neustadt. Alle historisch wertvollen Bauwerke beider Städte sind in der Ordenszeit entstanden, so die Kirchen St. Johann, St. Jakob und St. Marien, die nicht mehr erhaltenen Kirchen der Dominikaner und der Benediktinernonnen, die Artushöfe und das imposante Altstädtische Rathaus. Soweit diese Bauten später noch erweitert wurden, baute man auf den alten, vom Orden gelegten Grundlagen auf. Das gilt ebenso für die 1468 durchgeführte Erhöhung des Schiffes von St. Johann wie für die Vollendung des Altstädtischen Rathauses, dessen kastellartige Grundform trotz der Renaissance-Zutaten im 17. Jahrhundert erhalten blieb.

Im Handel übertraf Thorn alle anderen Städte des Ordenslandes. Von besonderer Bedeutung war der Grundsatz, daß alle von Süden einreisenden fremden Kaufleute Thorn berühren und dort ihre Waren drei Tage zum Kauf anbieten mußten. Dieses Stapelrecht, die Thorner Niederlage, wurde von den Hochmeistern Winrich von Kniprode (1365) und Konrad von Jungingen (1403) ausdrücklich bestätigt. Aber nicht nur im Landhandel, sondern auch im Seehandel trat Thorn hervor. Seine Schiffe befuhren Ost- und Nordsee und holten Tuche aus Flandern und England, die sie gegen polnisches Getreide und ungarische Metalle eintauschten. Bemerkenswert war, daß Thorn zu den Städten gehörte, die 1358 die deutsche Hanse begründeten, und daß es 1361 im deutschen Kontor in Brügge das westfälisch-preußische Drittel leitete - in einer Zeit, in der das später so mächtige Danzig noch verhältnismäßig geringe Bedeutung hatte. Von dem großen Ansehen, das Thorn in der Hanse genoß, zeugt die Tatsache, daß sein Ratsherr Albrecht Russe in den Jahren 1396 bis 1398 Kommandant der von der Hanse besetzten Stadt Stockholm war und daß 400 Thorner 1404 nach Gotland geschickt wurden, um die belagerte Hansestadt Wisby zu entsetzen. In dieser [6] Zeit fand das Selbstbewußtsein der Stadt seinen Ausdruck in dem gewaltigen Rathausbau, der in ganz Deutschland seinesgleichen suchte.

Thorn stand im Rampenlicht der Geschichte. Es war das Eingangstor zum Preußenland. Hier sammelten sich die Kreuzheere gegen Prussen und Litauer, hier erschienen bedeutende Herrscher wie König Ottokar von Böhmen und sein späterer Gegner Rudolf von Habsburg (1255, 1267), König Johann von Böhmen (1329) und Herzog Rudolf von Bayern (1363). Auch gewann die Stadt schon als Kongreß- und Verhandlungsort Bedeutung. So traf nach dem Ende des Kampfes um Pommerellen im Jahre 1343 der polnische König Kasimir der Große mit dem damaligen Hochmeister Ludolf König von Weizau zusammen, um den kurz zuvor abgeschlossenen Friedensvertrag von Kalisch zu bekräftigen.

Thorns Blüte- und Glanzzeit fand ein jähes Ende, als der Ordensstaat in eine schwere Krise geriet. Die Niederlage des Ordensheeres in der Schlacht von Tannenberg am 15. Juli 1410, der anschließende Triumphzug des Polenkönigs Wladislaus Jagiello durch das Preußenland, der Erste Thorner Friede vom 1. Februar 1411 und die damals dem Orden auferlegte hohe Kriegsschuldensumme sowie die wiederholten polnischen Angriffskriege, die sich bis 1435 hinzogen, fügten dem Ordenslande großen Schaden zu. Gleichzeitig aber wurde durch innere Zwietracht im Orden, Parteiungen und Willkürakte einzelner Ordensbeamten die Stabilität des Staates gefährdet. Als im Jahre 1440 der Hochmeister Paul von Rusdorf vor seinen aufrührerischen Konventen nach Danzig flüchten mußte, schritten die bis dahin von aller politischen Verantwortung ferngehaltenen Stände des Landes, Adel und Städte, zur Tat und begründeten den sogenannten Preußischen Bund - als ein Instrument der inneren Ordnung, das der wachsenden Anarchie steuern und den Ständen die Möglichkeit eine Mitregierung schaffen sollte. Zu den Gründungsmitgliedern, 19 Städten und 53 Edelleuten, traten später weitere Städte und Adlige hinzu. Der Bund wurde so zu einem beachtlichen Machtfaktor - zu einer Organisation, die sich als Vertretung des Preußenlandes fühlte und als solche dem Hochmeister gegenübertrat.

In diesem Bunde spielte die Altstadt Thorn als Mitglied des sogenannten Engeren Rates von vornherein eine führende Rolle. Ihr früher so gutes Verhältnis zum Orden hatte sich radikal gewandelt. Zusammen mit dem Adel des Kulmer Landes bildete sie den harten Kern des Bundes; ihr Ziel war nicht die Reform, sondern die Beseitigung des Ordensstaates. Der Grund für diese Haltung war, daß das frühere Vertrauensverhältnis zum Orden geschwunden war, so durch die Behinderung der freien Ratswahl durch den Hochmeister Heinrich von Plauen und die häufigen, niemals bestraften Übergriffe der Thorner Komture. Man hatte die Überzeugung gewonnen, daß die starre Form einer geistlichen Organisation, wie sie der Deutsche Orden darstellte, eine ständische Mitregierung nie zulassen würde. Diese Überzeugung bestätigte sich, als Hochmeister Ludwig von Erlichshausen Papst und Kaiser gegen den Bund mobilisierte und erreichte, daß sich die beiden höchsten Gewalten der Christenheit gegen ihn aussprachen. So erklärte der päpstliche Legat Ludwig von Silves, der 1450 nach Preußen kam, der Bund sei "wider den christlichen Glauben", und Kaiser Friedrich III. bezeichnete ihn nach einem Prozeß vor dem kaiserlichen Hofgericht am 1. Dezember 1453 als ungesetzlich und verhängte über seine Anhänger die Acht. Nun blieben für den [7] Preußischen Bund nur zwei Möglichkeiten übrig: Unterwerfung oder Aufstand. Er wählte den zweiten Weg, der zu dem verheerenden Dreizehnjährigen Kriege führte, dem furchtbarsten in der deutschen Geschichte (1454-1466).

Es ist heute schwer, darüber zu urteilen, ob dieser Krieg zwischen selbstbewußten, aufstrebenden Ständen und einer extrem konservativen autoritären Staatsmacht berechtigt war und die ungeheueren Opfer, die Verwüstung und Verödung des Landes rechtfertigte. Eine andere Frage aber ist die, ob der nächste Schritt des Preußischen Bundes notwendig und weise war: die Unterstellung unter den König von Polen. Die Geschichte hat die Antwort darauf gegeben. August von Kotzebue, der Verfasser einer Geschichte Preußens im Jahre 1808, hat die Folgen dieser Handlungsweise mit kräftigen Worten treffend bezeichnet:

"Dreizehnjährigen Jammer - kurzen Siegestaumel - das Joch einer fremden Nation - Zerrüttung des Vaterlandes und den Fluch der Nachkommen, denn die Geißel, dem Orden entrissen, wurde in den Händen der Polen zu Skorpionen".

Für die Politik aber, die in diese Katastrophe führte, trug der Rat der Altstadt Thorn die Hauptverantwortung; dieser traf vielfach Entscheidungen von großer Tragweite hinter dem Rücken der übrigen Bundesmitglieder. Dabei spielte ein Mann eine besonders verhängnisvolle Rolle: der aus Westfalen zugewanderte Bürgermeister Tilemann von Wege, der die Politik Thorns von 1450 bis 1454 leitete und sich durch fanatische Ordensfeindschaft, blinden Haß und Maßlosigkeit auszeichnete. Als der schon erwähnte päpstliche Legat Ludwig von Silves 1450 nach Preußen kam, um den Bund aufzulösen, erklärte der Bürgermeister: "Der Herr Legatus hätte besser daran getan, die Ungläubigen und Juden und andere böse Christen in seinem Lande in Portugal zu besuchen; deren seien dort viel, aber nicht hier, wo er solche böse und unchristliche Leute nicht finden würde." Und als Hochmeister Ludwig von Erlichshausen die Stände auf einer Tagfahrt in Elbing am 24. September 1451 aufforderte, den Bund aufzugeben, veranstaltete Wege zusammen mit dem Adel des Kulmer Landes eine Zusammenkunft in Lissewo, wo er ausrief: "Wäre ein Bürger von Thorn, der den Brief des Hochmeisters annehme, dem wollen wir den Kopf abschlagen und ihn vor die Hunde werfen."

Was uns aber heute besonders abstößt, ist die Wahl der Mittel, mit denen er seine Ziele zu erreichen hoffte. So scheute er vor Lüge, Betrug und Täuschung nicht zurück. In seinem Bemühen, den Kaiser gegen den Papst auszuspielen, begab er sich zweimal an den kaiserlichen Hof in Wiener Neustadt, bestach dort die kaiserliche Kanzlei und erhielt von dieser zwei gefälschte Urkunden, von denen die eine die Bestätigung des Preußischen Bundes, die andere, dessen Berechtigung, Steuern zu erheben, aussprach. Diese Fälschungen hatten den Zweck, die Bundesmitglieder zu täuschen. Außerdem streute er unwahre Gerüchte aus, daß der Bund - im Gegensatz zum Orden - beim Kaiser in hohem Ansehen stehe. Und während er im Oktober 1452 dem Kaiser seine und des Landes Preußens Ergebenheit beteuerte und diesen bat, den Bund "vor dem geistlichen Gerichte zu beschirmen", protestierte er später nach dem Urteilsspruch Friedrichs III. gegen den Kaiser als einen "parteiischen Richter", dessen Entscheidung man nicht anerkennen werde. Besonders unredlich und hinterhältig aber war, daß der engere Rat des Bundes und insbesondere die Stadt Thorn [8] während der Verhandlungen mit dem Kaiser und während des Prozesses vor dem kaiserlichen Hofgericht Beziehungen zu Polen anknüpfte. So ging im Oktober 1452 gleichzeitig mit einer Gesandtschaft an den Kaiser eine andere Gesandtschaft an den König von Polen ab, und in Thorn fanden Unterredungen zwischen polnischen Würdenträgern und den Thorner Bürgermeistern statt, worüber der Komtur von Thorn an den Hochmeister berichtete.

Nach dem ungünstigen Spruch des Kaisers aber setzte man nun allein auf die polnische Karte. Dabei verdrängte man die Erinnerung an frühere Jahrzehnte, in denen sich die polnische Eroberungspolitik gegenüber Preußen immer wieder erwiesen hatte, völlig aus dem Bewußtsein. Eine Gesandtschaft des engeren Rates begab sich Ende 1453 zu König Kasimir IV. nach Krakau und kehrte am 28. Januar 1454 von dort zurück - mit der Gewißheit, daß der König den Aufstand der Stände gegen den Orden unterstützen würde. Am 4. Februar brach der Aufruhr los, und bald darauf ging wiederum eine Bundesgesandtschaft nach Krakau, diesmal mit dem Auftrage, dem König von Polen die Herrschaft über das Preußenland anzubieten. Führer der Gesandtschaft war der preußische Edelmann Hans von Baisen, Vertreter Thorns der Bürgermeister Rotger von Birken.

In diesem Zusammenhang erhebt sich die Frage, was den Preußischen Bund zu diesem verhängnisvollen Schritt veranlaßt hatte. Zwar hatte der engere Rat schon in Polen vorgearbeitet, aber der Bund in seiner Gesamtheit hatte sich anfänglich nicht festgelegt. So hatten die Städte Elbing, Braunsberg und Königsberg den König von Dänemark, der Adel des östlichen Preußens den König von Böhmen und Ungarn als Herrscher gewünscht. Daß sich demgegenüber die von Pommerellen und dem Kulmer Land vorgeschlagene Wahl des Königs von Polen durchgesetzt hatte, könnte zu dem Schluß führen, daß damit die polnischen oder doch wenigstens polenfreundlichen Elemente des Ordenslandes den Ausschlag gegeben hätten. Diese Ansicht, die den angeblichen "Verrat am Deutschtum" so erklärt, ist aber völlig falsch. Denn wenn auch z.B. der kulmische Adel zu einem großen Teil dem polnischen Volkstum angehörte und die Stadt Thorn - verglichen etwa mit Elbing und Danzig - einen verhältnismäßig hohen Prozentsatz polnischer Bevölkerung aufwies, so waren doch die Führer des Preußischen Bundes Deutsche, und ebenso waren dies die Bürger der Städte. Die in Thorn wie auch in anderen Städten - ansässige polnische Minderheit war vom Bürgerrecht ausgeschlossen und übte keinerlei Einfluß aus. Aber auch der Vorwurf einer Polenfreundlichkeit ist nicht aufrechtzuerhalten. Weder die Stadt Thorn noch der kulmische Adel wollte eine Eingliederung Preußens in den polnischen Staat, sondern nur eine lose Verbindung zweier selbständiger Staaten unter einem Herrscher. Daß man dazu - schließlich auch mit Zustimmung des östlichen Preußen - den polnischen und nicht den dänischen oder den böhmischen König erwählte, entsprang nüchternen politischen Überlegungen. Nur der König des angrenzenden Polen konnte Preußen - so meinte man - wirksame Hilfe leisten, nur er konnte die ständischen und wirtschaftlichen Wünsche der Preußen erfüllen. Daß er dies in vollem Umfange tun würde, hielt man für sicher, als sich die Gesandtschaft zum König nach Krakau begab.

[9] In Krakau brachen aber nun die Illusionen der "fortschrittlichen Realpolitiker" zusammen. Während diese sich eingebildet hatten, dem König die Bedingungen für die Übernahme der Herrschaft vorschreiben zu können, mußten sie erleben, daß die polnische Diplomatie sie überspielte. Die beiden Vertreter Danzigs, Wilhelm Jordan und Hans Meydeburg, berichteten voller Enttäuschung ihrem Rat: "Wir haben hier alle gegen uns ... Wir hatten eine Weile wohl gewollt, daß wir eine halbe Meile über die Grenze gewesen wären; wir wollten nimmermehr nach Polen gekommen sein." Zwar erfüllte der König die Wünsche der Preußen insoweit, daß er in dem von ihm am 6. März 1454 ausgestellten "Inkorporationsprivileg"1) zusicherte, daß alle wichtigen Landesangelegenheiten nur mit Zustimmung der preußischen Stände entschieden und alle Landesämter nur mit eingeborenen Preußen besetzt werden sollten. Am Anfang der Urkunde aber erklärte er, daß er die Lande Preußen mit dem Königreich Polen "wiedervereinige" und sie in dieses "einverleibe" ("has terras Regno Poloniae reunimus et incorporamus"). Damit aber setzte er sich über den Rechtsstandpunkt der Preußen hinweg, denn diese hatten in einer gleichzeitigen Unterhändlerurkunde nur eine Vereinigung mit der Krone Polen ("corona Poloniae"), nicht aber eine Einverleibung in den polnischen Staat zugestanden. Außerdem aber war der Ausdruck "Wiedervereinigung" eine Geschichtsfälschung, denn Preußen hatte als Ganzes nie zu Polen gehört. Daß die preußischen Gesandten ein solche Urkunde entgegennahmen, erscheint uns heute unbegreiflich. Die unterschiedliche Auffassung von der Art der Verbindung Preußens mit Polen aber gab später während der ganzen Zeit der polnischen Oberhoheit immer wieder Anlaß zu Auseinandersetzungen.

Das sogenannte "Inkorporationsprivileg" war aber noch aus anderen Gründen fragwürdig. Der Preußische Bund war gar nicht berechtigt gewesen, im Namen aller preußischen Stände zu sprechen. Daß diese zu einem erheblichen Teil den Anschluß an Polen ablehnten und daher die sogenannte Unterwerfungsurkunde nicht besiegelten, hat der wohl beste Kenner der Deutschordensgeschichte, Erich Weise, nachgewiesen. Es handelte sich dabei um den Bischof von Ermland sowie die Städte und Adligen der Gebiete Schlochau, Konitz, Tuchel, Marienburg, Stuhm, des Ermlandes und des östlich davon gelegenen Niederlandes. War so der Bund keine bevollmächtigte Ständevertretung, so war er noch weniger eine Volksvertretung, denn die Mehrheit der Bevölkerung des Ordensstaates - vor allem die bäuerliche Bevölkerung auf dem Lande und die Handwerker in den Städten - neigten dem Orden zu.

Diese Tatsache aber war für den selbstherrlichen Preußischen Bund unerheblich, besonders für den Engeren Rat und die in ihm führende Altstadt Thorn. Diese genoß ihren Triumph über den verhaßten Orden, als sie - bald nach [10] Ausbruch des Aufstandes - nach einem Kampfe mit der Besatzung die Ordensburg zerstörte; nur der Danzker blieb erhalten. Die ordenstreue Neustadt Thorn aber - die anfangs dem Preußischen Bunde beigetreten, dann aber wieder aus ihm ausgetreten war - wurde ihrer Selbständigkeit beraubt und in die Altstadt eingemeindet. Am 27. Mai 1454 zog König Kasimir in Thorn ein; man bereitete ihm einen festlichen Empfang. Die Städte Thorn und Kulm und der Adel des Kulmer Landes brachten ihm ihre Huldigung dar; einige Edelleute wurden vom König zu Rittern geschlagen. Aber die Jubelfeier, die man veranstaltete, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß die meisten Landeseinwohner innerlich auf der Seite des Ordens standen, und als dieser im September 1454 bei Konitz einen glänzenden Sieg errang, gewann er neue Sympathien. Im folgenden Jahre kehrten Königsberg und die meisten ostpreußischen Städte wieder unter die Ordensherrschaft zurück. Der König von Polen wiederum gab einen ersten Beweis seiner "landesväterlichen Fürsorge" in der Weise, daß er seinen Söldnern urkundlich zugestand, bei Nichtzahlung des Soldes Ritter und Bürger in Preußen gefangenzunehmen (!) und für ihre Freilassung Lösegeld zu erpressen (!). Um dies zu verhindern, mußte das Preußenland immer höhere Summen aufbringen - weit höhere, als der Orden je gefordert hatte. Dies führte 1456 in Danzig, Braunsberg, Kulm und Thorn zu Aufständen, bei denen die ordenstreuen Gewerke die Macht an sich rissen. In Thorn waren diese im September Herren der Lage, und als der Kulmische Woiwode Gabriel von Baisen zwischen ihnen und dem eingeschüchterten Rat vermitteln wollte, erklärten die Gewerke: "Das Land ist weggegeben um drei oder vier Schwaben; das haben getrieben der lahme Stümper, der Kirchenverräter, und sein Bruder, der Woywode (gemeint waren Hans und Gabriel von Baisen), die haben uns verleitet und das Land verraten. Nun sind die Herren vertrieben, und ihr habt das Haus zerbrochen; ihr sollt es auch wieder bauen, wenn die Herren wieder herkommen."

Um dies zu erreichen, sandten die Aufständischen Boten an die Ordenshauptleute in Neumark mit der Aufforderung, die Stadt zu besetzen. Da diese aber zu lange zögerten, konnte die Gegenpartei zum Zuge kommen. Der Rat rief den König um Hilfe an, und dieser schickte polnische Truppen nach Thorn, die zusammen mit 500 Danziger Söldnern den Aufstand niederschlugen. Die Aufrührer aber traf ein hartes Schicksal: Sie wurden gefangen und 65 von ihnen ohne vorherige Gerichtsverhandlung auf dem Altstädtischen Markte enthauptet. Diese schreckliche Tat aber hatte zur Folge, daß danach die Ordenspartei in Thorn nicht mehr wagte, hervorzutreten und der Kurs der Stadt nicht mehr in Frage gestellt wurde. Für seine königstreue Haltung aber erhielt Thorn am 26. August 1457 - ähnlich wie auch Danzig und Elbing - sein Hauptprivileg, das ihm ein ausgedehntes Landgebiet - etwa die frühere Komturei Thorn - zusprach und die Freiheit der inneren Verwaltung garantierte. Als Statthalter des Königs wurde ein Burggraf eingesetzt, doch verpflichtete sich der König, dieses Amt nur an Thorner Ratsherren zu verleihen. Ferner erhielt die Stadt das Münzrecht und die Bestätigung der Thorner Niederlage.

Der Rat konnte dieses Privileg als stolzen Erfolg buchen, doch war dieser höchst fragwürdig, wenn man ihm das unermeßliche Leid und Elend gegenüberstellt, das der Dreizehnjährige Krieg dem alten Ordenslande brachte. Er war der schrecklichste aller Kriege in der deutschen Geschichte. In weniger als dreizehn Jahren sank die Bevölkerung auf die Hälfte ab; beim Dreißigjährigen Kriege [11] wurde in Deutschland dasselbe Ergebnis erst bei mehr als doppelter Dauer erreicht. Es kam hinzu, daß König Kasimir den Erwartungen der Preußen in keiner Weise entsprach und sich über deren berechtigte Forderungen rücksichtslos hinwegsetzte.

Wie die Stimmung im Lande gegen Ende des Krieges war, geht aus einer Erklärung hervor, die eine Gesandtschaft des Preußischen Bundes am Sonntag Lätare 1466 in Petrikau vor dem Könige abgab. In dieser Erklärung schilderte man eindringlich die Not des Landes, erhob aber auch gleichzeitig schwere Vorwürfe gegen Kasimir und hielt diesem seine Rechtsbrüche vor. "Wir sind", so erklärten die Gesandten", so verarmt, daß wir nur noch die roten Mauern um uns haben. Wollet Ihr uns eine gute Antwort geben, so haltet Euch, wie Ihr verheißet, denn wir werden daheim von den Unsrigen verspottet, weil selten erfolget, was wir in Eurem Namen zugesagt. Marienburg habt Ihr einem Fremdling übergeben, gleich als dürftet Ihr uns, einem geschworenen Manne, nicht vertrauen. Schon gleicht das Schloß einem Stalle, kein Ziegel auf den Dächern, die Brücken ungebessert, das Volk murret. Tut unser König also im Kriege, da er unser noch bedarf, was wird geschehen im Frieden? Unsere Rechte habt ihr zu mehren gelobt, nicht aber zu mindern; nun aber müssen wir von Knechtes Knechten mancherlei Übermut dulden. Polen und Preußen sollen Brüder sein; um der Sklaverei zu entrinnen, haben wir den schweren Krieg begonnen und sind nun Sklaven mehr als je zuvor. Der Gast verzehrt, was dem Wirte gebühret; jener ist Herr, dieser Knecht. Der Unsern Armut ist so groß, daß sie keine Klage an Euch bringen können, weil es ihnen an Reisezehrung gebricht. Wir fordern Gerechtigkeit, denn wo die mangelt, da werden Könige und Fürsten aus ihren Ländern vertrieben. Nicht ohne Bewilligung der Preußischen Stände Güter zu verleihen hat Eure Gnade uns zugesagt, doch seid Ihr so leichtfertig, fremden Gästen Städte und Schlösser einzuräumen, davon zu besorgen ist, daß einige Raubschlösser bleiben werden. Die armen Leute im Werder gehen zugrunde, durch ungebührliche Frondienste gedrückt, und weil die Dämme gegen Eure Verheißung ungebessert bleiben. Wollt Ihr das alles nicht wandeln, so müssen wir uns selber helfen." Mit diesen Worten aber, die mit einer Drohung schlossen, hatten die Abgeordneten des Preußischen Bundes - zu denen auch der Thorner Ratsherr Johann Troost gehörte - indirekt zugegeben, daß die Politik, die der Bund viele Jahre so eifrig betrieben hatte, in eine Katastrophe geführt hatte.

Zwar machte der Zweite Thorner Friede vom 19. Oktober 1466 dem blutigen Kriege ein Ende, und die Stadt Thorn bot wieder einmal den Hintergrund für große historische Entscheidungen. Dabei entfaltete sie wieder allen Glanz, ähnlich wie sie es beim Einzuge Kasimirs im Jahre 1454 getan hatte. Der polnische Geschichtsschreiber Dlugosz, der diesen Vorgang ausführlich geschildert hat, hebt dabei hervor, daß König und Hochmeister sich unter Tränen umarmten, daß der König die Ordensgesandtschaft bewirtete und beschenkte, daß König und Hochmeister im altstädtischen Artushof vor dem päpstlichen Legaten Rudolf von Lavant das Knie beugten und den Frieden beschworen und daß danach in der Franziskanerkirche zu St. Marien ein feierliches Tedeum gehalten wurde, wobei der Legat die Messe las. Aber dieser Freuden- und Jubeltag, wie ihn Dlugosz hinstellt, war eher ein Trauertag, und der Vertrag, der das Preußenland teilte, war in vieler Beziehung anfechtbar und wurde nie in vollem Sinne rechtsgültig; er [12] barg den Keim zu späteren Konflikten. Im westlichen Preußen leitete er eine dreihundertjährige Entwicklung ein, die zu einer weitgehenden Verpolung, politischen Entmachtung und wirtschaftlichen Verelendung des Landes führte.

Schon drei Wochen nach dem Thorner Friedensschluß kam es auf dem ersten westpreußischen Landtage in Marienburg am 11. November 1466 zu Auseinandersetzungen zwischen preußischen und polnischen Räten, da letztere die Sonderstellung Preußens - vor allem das preußische Indigenatsrecht und die Absonderung von den polnischen Reichsständen - nicht anerkennen wollten. Drei Jahre später aber erklärten - nach dem Zeugnis des Danziger Geschichtsschreibers Kaspar Schütz - die preußischen Stände auf einem weiteren Landtage in Marienburg, daß "leider, Gothe geklaget, in kegenwertikeith solliche gewalt in dießen Landen entstunde durch etzliche und vorgenommen werde, die denn bei den getzeiten und hirschafft und regirunghe des ordens ni werlde werhe gehorth geweßen".

Inzwischen hatte Kasimir einen neuen Krieg gegen Preußen begonnen, den sogenannten Pfaffenkrieg gegen den ermländischen Bischof Nikolaus von Tüngen, den der König widerrechtlich aus seinem Amt drängen und durch einen Polen ersetzen wollte. Die preußischen Stände sahen sich - so kurze Zeit nach ihrer "Befreiung" vom Deutschen Orden - genötigt, für Tüngen und das bedrohte preußische Indigenat einzutreten; mit ihrer Hilfe konnte Tüngen sich behaupten (1479). Aber schon zehn Jahre später, nach Tüngens Tode, wiederholte sich dieselbe polnische Politik gegenüber seinem Nachfolger, dem gleichfalls rechtmäßig gewählten Bischof Dr. Lukas Watzenrode, dem Onkel des Thorner Bürgersohns Nicolaus Copernicus. Wieder mußten die polnischen Angriffe auf die preußischen Privilegien abgewehrt werden.

Die massiven Angriffe auf das preußische Indigenat betrafen in erster Linie Preußens Adel und Geistlichkeit, weniger die Städte und am wenigsten die durch Sonderprivilegien ausgezeichneten großen Städte Thorn, Elbing und Danzig. Aber man mußte damit rechnen, daß die Polen versuchen würden, in Zukunft auch die Rechte dieser Städte anzutasten. Aber diese am Horizont aufziehende Gefahr wurde zunächst nicht beachtet, und besonders Thorn sonnte sich in der anscheinend unerschöpflichen königlichen Gunst. Da die Stadt es verstanden hatte, sich beim König in den Vordergrund zu spielen, verlieh dieser ihr den Vorrang vor Elbing und Danzig; sie wurde die erste Stadt Preußens. Auch wurde ihr die "große Ehre" erwiesen, daß die Könige bei Besuchen Preußens in der Regel zuerst nach Thorn kamen. Dort wurden sie festlich aufgenommen; im Rathaus richtete man sogar eine Königsstube ein. Statt Kulm, das für seinen Abfall zum Orden bestraft wurde, wurde Thorn nun der Oberhof für zahlreiche Städte kulmischen Rechtes; zu diesen gehörten auch Städte in Polen, darunter Warschau.

Im Jahr 1474 erhielt Thorn nochmals ein sehr bedeutendes Privileg, das u.a. die Befreiung der Thorner Kaufleute von allen Zöllen in Polen außer den von altersher üblichen verfügte, die Thorner Niederlage erneut bestätigte und die Konkurrenz der auf dem anderen Weichselufer liegenden polnischen Stadt Nessau beseitigte; diese Stadt wurde in das Landesinnere verlegt. Aber trotz aller dieser königlichen Gunstbezeugungen stand auch jetzt noch die Mehrheit der [13] Bevölkerung Thorns - wie auch die Danzigs - auf der Seite des Deutschen Ordens, was die Polen dazu veranlaßte, beide Städte als Aufenthaltsorte von "Aufrührern und Verrätern" anzuklagen.

Als während des Pfaffenkrieges der Orden auf seiten Tüngens in die Kämpfe eingriff und die polnischen Truppen - disziplinlose Söldnerhaufen - das Land verheerten, brach in Thorn ein Aufstand der Gemeinde gegen den Rat aus. Dieser hatte zur Folge, daß die Gewerke die Stadtschlüssel an sich brachten in der Absicht, die Ordenstruppen in die Stadt einzulassen. Dazu kam es nicht, da der Krieg bald zu Ende ging. Aber die polenfeindliche Stimmung in Thorn ließ -nach dem Bericht des Geschichtsschreibers Caspar Hennenberger, des Verfassers einer preußischen Geschichte vom Jahre 1584, der wiederum eine Mitteilung des Tolkemiter Mönches Simon Grunau übernahm - bei den Polen den Plan entstehen, die Thorner Bürger zu vertreiben und Polen an ihre Stelle zu setzen. Er erzählt: " 1479 streiften die beutelustigen Polen unter Bylorium im Kulmer Lande herum, und fügten besonders den Kulmseern und Thornern beträchtlichen Schaden zu. Dies aber that letzeren sehr weh, und erwürgten sie hinwiederum manchen Polen, auch bedienten sie sich dieser unverantwortlichen Rede: Es würde doch nicht eher gut in Preußen, bis man die Polen am Galgen erhänget, und sich wiederum zum Kreuze begeben, mit welchem man dem Diabolo zu widerstehen vermöchte. Solche Worte kamen vor den König, der 1480 am Drei König Markte mit 4000 Reisigen nach Thorn kam, rathschlagend allda mit den Seinigen, was er mit den Thornern desfalls thun sollte? Die Polen riethen: man solle die Stadt plündern, die Bürger an einen anderen Ort versetzen, und dagegen Polen in die Stadt einsetzen. Dies widerrieth aber Gastholdus, ein mächtiger Senator aus Litthauen, und bewies gründlich, was aus einem solchen Verfahren für Unheil erwachsen dürfte, so daß der König endlich erweicht seinen Zorn sinken ließ." Es ist fraglich, ob sich dies so zugetragen hat, zumal Grunau wenig zuverlässig ist. Da aber eine solche Geschichte nicht von selbst entsteht, so wird man daraus auf jeden Fall die Spannungen ersehen können, die damals - 14 Jahre nach dem Zweiten Thorner Frieden - zwischen den Thorner Bürgern und den Polen bestanden. Es ist wohl anzunehmen, daß die königstreue Politik des Rates nicht populär war.

Der Rat aber mußte in der Folgezeit erkennen, daß sich das Wunschziel, den alten Glanz der Königin der Weichsel, wie er in der Ordenszeit bestanden hatte, trotz königlicher Privilegien nicht verwirklichen ließ. Die Privilegien erwiesen sich als fragwürdig, da auf seiten der Könige nicht die Absicht bestand, sie einzuhalten und auf seiten der Stadt nicht die Macht vorhanden war, sie zu verteidigen und zu behaupten. Der erste schwere Schlag, der den Handel der Stadt traf, war die Aufhebung der Torner Niederlage durch König Sigismund 1. im Jahre 1526; weitere Nachteile für die Thorner Kaufleute entstanden durch die rechtswidrige Anlage von Zollstellen in Fordon, Diebau und am Weißen Berge. Obwohl zunächst noch in Thorn relativer Wohlstand herrschte, trat gegen Ende des Jahrhunderts eine wirtschaftliche Krise ein. Als auf dem Reichstage des Jahres 1578 die Thorner zur Zahlung eines Geldvorschusses an die Krone aufgefordert wurden, erklärten die Abgeordneten der Stadt dem polnischen Krongreßkanzler, "der gemeine Säckel der Stadt wäre wegen der in vorigen Zeiten erlittenen vielen Verdrießlichkeiten und Verfolgungen gänzlich erschöpft und [14] mit Schulden belästiget: unter den Bürgern fände sich eine große Dürftigkeit, da man ihnen die Gelegenheit, ihr Brot zu suchen, und ihre Güter zu vermehren, benommen habe. Sintemalen das Getreide hin und wieder aufgekauft, in den Speichern aufgeschüttet und geradezu nach Danzig hinabgeschifft würde; von denen daselbst gekauften Waaren aber in den benachbarten Orten, insonderheit zu Diebau, ordentliche Niederlagen angerichtet und die übrige Nahrung durch die in den Städten und Dörfern herumstreichenden Schotten entzogen würde. Den bisher noch übrig gebliebenen Stapel mit gesalzenen Fischen suche man auf mancherlei Art dermaßen zu beschneiden, daß er nunmehr fast gänzlich verloren zu sein schiene. Der freie Handel des überseeischen Salzes würde theils von dem Zoll-Einnehmer am Weißen Berge, theils von königlichen Salz-Verwaltern vermöge des königlichen Verbots gehemmt, und über das alles wären die Bürger durch die im vorigen Sommer ausgestandene Pest von dem Verkehr mit anderen abgehalten und in eine nicht geringe Armuth versetzt worden." Der Rückgang des Handels hatte Thorn, das sich noch 1557 Königliche Stadt Thorn in der deutschen Hanse genannt hatte, 1572 dazu veranlaßt, sich von diesem Städtebund zurückzuziehen; es ist am 13. Juni dieses Jahres letztmalig auf dem Hansetag in Lübeck erschienen.

Aber noch schlimmer als der wirtschaftliche Niedergang war die politische Ohnmacht, in die das Preußenland in dieser Zeit gestürzt wurde. Am 16. März 1569 verkündete das berüchtigte Dekret von Lublin2) die Union Preußens mit Polen und verfügte, daß die preußischen Stände in Zukunft den polnischen Reichstag besuchen müßten. Zwar kam nur der Adel dieser Aufforderung nach; die großen Städte Danzig, Elbing und Thorn lehnten den Reichstagsbesuch ab und unterstrichen damit den Abstand zum polnischen Reich. Aber die nach polnischer Auffassung vollzogene Union führte dazu, daß die Könige seitdem vor der ihnen in Preußen geleisteten Huldigung nicht mehr die preußischen Privilegien bestätigten, wie dies früher üblich gewesen war. Als König Stephan Bathory 1576 die Privilegienbestätigung verweigerte, offenbarte sich die Schwäche der preußischen Stände darin, daß sie ihm trotzdem huldigten. Nur Danzig lehnte dies ab und leistete erfolgreichen Widerstand. Dies läßt seine große Bedeutung als politischer und militärischer Machtfaktor erkennen - und gleichzeitig den großen Abstand zu seinen Schwesterstädten Elbing und Thorn. Von Thorns Resignation und Kleinmut aber zeugte, wenn seine Abgeordneten auf dem Michaelis-Landtage 1587 und dem Reichstage von 1589 erwogen, ob es für die großen Städte nicht zweckmäßig wäre, zur Wahrung ihrer Rechte in den polnischen Senat einzutreten. Dies wurde jedoch von Danzig und Elbing entschieden zurückgewiesen.

War die Ordenszeit für Thorn eine Zeit des Aufstiegs und der Blüte gewesen, so brachte die polnische Zeit eine Kette von Mißerfolgen, Enttäuschungen und Leiden. Der "Segen" der Verbindung mit der polnischen Krone zeigte sich besonders deutlich, als Polen im 17. und 18. Jahrhundert ein Spielball auswärtiger Mächte wurde und der König nicht in der Lage war, Preußen zu schützen. So wurde Thorn Opfer fremder Invasionen; zwischen 1655 und 1772 wurde es zweimal von Schweden und dreimal von Russen besetzt. Ständige Einquartierun[15]gen, Belagerungen und Beschießungen brachten unsägliches Elend über die Bevölkerung. Zwar konnte Thorn im ersten schwedisch-polnischen Kriege, den König Gustav Adolf führte (1626-1635), einen schwedischen Angriff kleineren Formats am 16. Februar 1629 durch ein Bürgeraufgebot abwehren. Im zweiten Schwedenkriege aber (1655-1660) wurde die völlig hilflose Stadt, der der König Johann Kasimir von Polen keine Besatzung zur Verfügung gestellt hatte, am 5. Dezember 1655 kampflos vom Schwedenkönig Karl Gustav in Besitz genommen -wobei man allerdings die Kuriosität anmerken muß, daß der Rat vorher - im September - beim Anmarsch schwedischer Vorhuten diesen eine Abteilung von 60 Mann (!) entgegengeschickt hatte, die natürlich auseinandergesprengt worden war. Dieser Vorfall illustriert die klägliche Lage und militärische Bedeutungslosigkeit Thorns - zu einer Zeit, in der Danzig mit einer Söldnertruppe von 5000 Mann, 15 000 bis 20 000 wehrhaften Bürgern und modernsten Befestigungswerken eine Insel des Widerstandes bildete, die weder Gustav Adolf noch Karl Gustav anzugreifen wagte.

Nach einer zwölfmonatigen Belagerung durch Polen, Österreicher und Brandenburger wurde Thorn am 30. Dezember 1658 wieder von den Schweden befreit, und nach dem Frieden von Oliva (1660) trat eine vierzigjährige Kampfpause ein. Aber im sogenannten Nordischen Kriege (1700-172 1) fiel die Stadt - diesmal von den sächsischen Truppen des Königs und Kurfürsten August II. verteidigt - im Jahre 1703 für 6 Jahre wieder in die Hände der Schweden und ihres Königs Karl XII. Das Bombardement3) im Jahre 1703 aber war das schlimmste, das Thorn erlebt hat; es zerstörte das herrliche Rathaus und legte einen großen Teil der Stadt in Trümmer.

Zu den schweren materiellen Verlusten, die die Kriege brachten, trat aber eine noch unerträglichere seelische Not: die Verfolgung der Protestanten, die in dem furchtbaren Thorner Blutgericht von 1724 ihren Gipfel erreichte.

Thorn hatte sich, wie das bei einer deutschen Stadt nicht verwunderlich ist, schon früh - 1520 - der Reformation zugewandt, sie im stillen eingeführt und schließlich - am 25. März 1558 - ein Religionsprivileg erhalten, das zwar noch nicht die Anerkennung der Augsburgischen Konfession, sondern nur den Gebrauch des Abendmahls in beiderlei Gestalt gestattete, was aber praktisch auf Religionsfreiheit hinauslief. Nun wurde der evangelische Gottesdienst in den Kirchen sanktioniert, in denen man ihn schon lange ausgeübt hatte: in der altstädtischen Pfarrkirche zu St. Johann, der neustädtischen Pfarrkirche zu St.Jakob, der ehemaligen Franziskanerkirche zu St. Marien und der vorstädtischen Hospitalkirche zu St. Georg. Die Kirchen der Dominikaner und Benediktinernonnen blieben katholisch.

Dieser Zustand blieb etwa drei Jahrzehnte bestehen. Als aber Sigismund III., ein Jesuitenzögling, die Regierung antrat (1587-1632), setzte eine scharfe Gegenreformation ein. Diese führte zunächst dazu, daß alle Kirchen, die dem königlichen Patronat unterstanden, rekatholisiert wurden. Dies geschah in Thorn mit der Johanniskirche (1596). Außerdem aber verfolgte man ein weiteres Ziel: die [16] Niederlassung von Jesuiten, der Sturmtruppe der Gegenreformation in evangelischen Städten, um die "Bekehrung der Ketzer" durchzuführen. Diese Absicht stieß auf heftigen Widerstand der evangelischen Städte, auch Thorns. Dabei ging man von der Erfahrung aus, die man überall mit den Jesuiten gemacht hatte: Diese störten den konfessionellen Frieden und übten in den von ihnen geleiteten Schulen oder Kollegien einen unheilvollen Einfluß auf die dort aufgenommenen evangelischen Schüler aus. Da die in Preußen wirkenden Jesuiten meist Polen waren, kann man auch annehmen, daß bei den deutschen Protestanten eine nationale Abneigung gegen sie vorhanden war - zumal die Jesuitenschüler, überwiegend Söhne polnischer Edelleute, herausfordernd und disziplinlos auftraten.

Dem Rat der Stadt Thorn gelang es zunächst, die in Thorn auftretenden Jesuiten aus der Stadt zu entfernen (1606). Im folgenden Jahre wurde jedoch ein Reichsgesetz erlassen, das allen Jesuiten den Aufenthalt in allen Städten Polens und Preußens gestattete. Darauf kehrten die Jesuiten nach Thorn zurück, und der Rat konnte ihre weitere Wirksamkeit nicht unterbinden. Auch ein Besuch, den Abgeordnete der drei Städte Danzig, Elbing und Thorn deswegen beim Kurfürsten Johann Sigismund von Brandenburg im Jahre 1611 in Königsberg machten, war erfolglos. Allein Danzig vertrieb die Jesuiten - wie es auch die einzige Stadt war, die die Herausgabe seiner Haupt-Pfarrkirche zu St. Marien an die katholische Kirche verweigerte.

In Thorn aber mußte der Rat aus mancherlei Gründen jahrelange Prozesse gegen die Jesuiten und den sie schützenden Kulmischen Bischof Johann Kuczborski, einen Eiferer gegen die "Ketzer", führen. Einen unerhörten Auftrieb aber erhielt der polnisch-katholische Glaubensfanatismus durch die Angriffskriege der lutherischen Großmacht Schweden. In diesem Zusammenhange war ein Ereignis von größter Bedeutung: das angebliche Wunder der schwarzen Madonna von Tschenstochau. Als das dortige Kloster, das ein seit dem Mittelalter verehrtes Muttergottesbild beherbergte, Ende 1655 von den Mönchen und einer kleinen Heeresabteilung erfolgreich gegen die Schweden verteidigt worden war, erklärte König Johann Kasimir die Jungfrau Maria zur Königin Polens. Daraus ergab sich in der Folgezeit für die polnischen Katholiken ein besonders enges - noch heute bestehendes - Verhältnis zur Gottesmutter, das Bewußtsein einer Auserwähltheit vor anderen katholischen Völkern und zugleich ein maßloser Fanatismus gegenüber Andersgläubigen. Dieser rechtfertigte es auch, Vereinbarungen mit "Ketzern" nicht einzuhalten. Das zeigte sich auch bei der Nichtbeachtung des Friedensvertrages von Oliva, der den zweiten schwedisch-polnischen Krieg abgeschlossen hatte (1660). Darin war außer der Religionsfreiheit der Dissidenten in einem besonderen Artikel ausdrücklich den Protestanten im Königlichen Preußen der ungestörte Besitz ihrer Kirchen zugesichert worden. Die "Folge" davon war, daß man in Polen den Dissidenten jeglichen Gottesdienst, auch in Privathäusern, durch Reichstagsbeschluß untersagte. In Thorn aber wurde der Rat dafür, daß er die ihm von den Schweden im Kriege übergebene Johanniskirche nicht übernommen, sondern korrekterweise für die katholische Kirche reserviert hatte, dadurch "belohnt", daß er 1667 auch noch die Neustädtische Pfarrkirche zu St. Jakob an die Katholiken abtreten mußte; diese wurde den Thorner Nonnen, deren Kloster im Kriege zerstört worden war, überlassen.

Schon vorher - 1660 - hatte man eine polnische Besatzung nach Thorn gelegt, die den Widerstand dieser deutschen und evangelischen Stadt brechen sollte.

[17] 1682 erhob der Bischof von Kulm, Johannes von Bnin-Opalinski, sogar noch auf die letzte den Evangelischen verbliebene Pfarrkirche zu St. Marien Ansprüche. Zwar wurden diese von der Stadt zurückgewiesen und ebenso die auf zwei Thorner Landkirchen, wo er eigenmächtig katholische Geistliche eingesetzt hatte. So hatte er am 5. Juni 1682 mit Hilfe des Kulmischen Woiwoden Michael Dzialinski in den Kirchen von Gramtschen (Gremboczin) und Rogau (Rogowo) katholischen Gottesdienst eingeführt. Der Rat hatte daraufhin eine Militärabteilung von mehreren hundert Mann in die Dörfer entstandt, die katholischen Priester vertrieben und den evangelischen Gottesdienst wiederhergestellt. Am 27. Dezember 1682 aber drangen dreißig fanatische Katholiken in die Kirche von Rogau ein und mißhandelten dort den lutherischen Prediger Tamnitzius und einige Gemeindemitglieder schwer. Die Strafe dafür blieb aus. Dafür erreichte Opalinski, der mit "Exkommunikation" (!) drohte, in einem mit der Stadt geschlossenen Vergleich am 11. Januar 1683, daß der Rat sich verpflichtete, zwei im Schwedenkriege zerstörte katholische Kirchen wieder aufzubauen. Außerdem brachte er Verträge mit der Stadt zustande, worin festgelegt wurde, daß Katholiken in die Bürgerschaft, die Zünfte und den Rat aufgenommen werden sollten. Die Rechte der Jesuiten wurden befestigt und erweitert. Dadurch wurden die Voraussetzungen für den einige Jahrzehnte später ausbrechenden Thorner Tumult und das darauf folgende furchtbare Thorner Blutgericht geschaffen.

Dieses Ereignis aber war die tiefste Demütigung, die die überwiegend deutsche und evangelische Stadt erlebte. Anlaß dazu war ein am 16. Juli 1724 von Jesuitenschülern provozierter Angriff von Thorner Bürgern auf das Jesuitenkollegium, wobei Einrichtungsgegenstände - möglicherweise auch Heiligenbilder zertrümmert und verbrannt wurden. Die Jesuiten verlangten daraufhin vom Rat die Bestrafung der Täter. Da dieser jedoch nach ihrer Meinung die Angelegenheit zu lässig betrieb, wandten sie sich an das königliche Hofgericht in Warschau. Dieses führte in Thorn eine Untersuchung durch und stellte schließlich eine Anzahl von Schuldigen fest, darunter auch die Bürgermeister Johann Gottfried Roesner und Heinrich Zernecke, weil diese angeblich den Tumult nicht unterdrückt und seine Anführer nicht zur Verantwortung gezogen hätten.

Auf Grund dieser Ermittlungen fällte das Hofgericht am 7. November 1724 das furchtbare Urteil, das die Hinrichtung beider Bürgermeister und zwölf weiterer Bürger verfügte. Die Vollstreckung des Urteils war nur an die Voraussetzung gebunden, daß die Jesuiten mit Eideshelfern die Schuld der Angeklagten beschworen. Diese Voraussetzung wurde erfüllt. Die Zahl der Hinrichtungen verringerte sich jedoch noch auf zehn, da Bürgermeister Zernecke infolge Fürsprache von Katholiken im letzten Augenblick begnadigt wurde, zwei Bürger entflohen und einer sein Schicksal dadurch abwendete, daß er zur katholischen Kirche übertrat. Die Exekution der übrigen fand am 7. Dezember 1724 statt. Während Roesner auf dem Hofe des Rathauses "in ehrenvoller Weise" mit dem Schwerte hingerichtet wurde, wurden die neun Bürger, deren Enthauptung auf dem Markte - bei Anwesenheit einer großen Menschenmenge - vorgenommen wurde, noch vorher - gemäß dem Urteil - grausam verstümmelt. Dabei wurde einem der Verurteilten der Leib aufgeschlitzt, das Herz herausgerissen und mit den Worten "Sehet, das ist ein lutherisch Herz" den versammelten Zuschauern präsentiert.

Dieses Blutgericht erregte nicht nur in evangelischen, sondern auch in katholischen Ländern Abscheu und Entsetzen. Es war ein regelrechter Justizmord, denn [18] ein einwandfreies Gerichtsverfahren war nicht vorausgegangen. Nicht nur die protestantischen Herrscher von Preußen, England, Dänemark und Schweden und der griechisch-orthodoxe Zar Peter von Rußland hatten sich bemüht, das Blutvergießen abzuwenden; auch der päpstliche Nuntius in Warschau, Santini, war dagegen aufgetreten und hatte sogar zuletzt den Jesuiten verboten, den von ihnen geforderten Eid, der den Tod der Verurteilten besiegelte, zu leisten. Aber die polnischen Jesuiten waren "päpstlicher als der Papst" und genossen den Triumph, eine stolze "ketzerische" Stadt zu demütigen und die Ketzer der wohlverdienten Strafe zuzuführen. Die Gewinnung der weltlichen Eideshelfer für die Bezeugung der- Schuld der Angeklagten war aber höchst fragwürdig. Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß die Jesuiten sie im Interesse der katholischen Sache zu falschen Aussagen veranlaßt hatten.

Bemerkenswert war, daß dem Bluturteil "Strafbestimmungen" angehängt wurden, die mit dem Tumult an sich nichts zu tun hatten. So wurde den Evangelischen die einzige ihnen noch verbliebene Pfarrkirche zu St. Marien weggenommen und den Franziskanern zugesprochen. Ferner wurde verfügt, daß fortan alle drei Ordnungen der Stadt - Rat, Schöppenkollegium und Dritte Ordnung - zur Hälfte aus Katholiken bestehen sollten. Beide Bestimmungen waren in höchstem Maße ungerecht. Während die katholische Minderheit nun über drei Pfarrkirchen verfügte, mußte sich die evangelische Mehrheit auf den viel zu kleinen Artushof beschränken. Die Besetzung der Ordnungen mit Katholiken aber war einmal ungerecht, weil diese weniger als die Hälfte der Bevölkerung ausmachten und zum andern stieß sie auf große Schwierigkeiten, weil unter den Katholiken kaum Leute gefunden werden konnten, die fähig waren, diese Ämter zu bekleiden.

Man hätte erwarten können, daß Thorn nach dem schweren Schlage von 1724 seine Stellung zu Polen überprüft und einen Abfall erwogen hätte - etwa einen Anschluß an Brandenburg-Preußen, dessen König Friedrich Wilhelm I. sich im Zusammenhang mit dem Blutgericht sehr für Thorn eingesetzt hatte. Dies trat jedoch nicht ein. Man hielt starr an der Loyalität zur polnischen Krone fest und brachte dies - in wenig würdevoller, oft sogar serviler Weise bei allen möglichen Gelegenheiten zum Ausdruck. So bewies man "patriotischen Sinn" dadurch, daß man im März 1727 die Genesung von König August II. feierte - dem König, der das Thorner Blutgericht nicht verhindert hatte, und nach seinem Tode, am 1. Februar 1733, ließ man 6 Wochen hindurch täglich die Glocken läuten (!). Und als die Berliner Zeitung im Jahre 1737 in ihrer Nummer 129 meldete, daß die Thorner evangelische Bürgerschaft von der katholischen Geistlichkeit angefochten werde, teilte der Rat der Zeitung mit, daß dies nicht zutreffe und veranlaßte, daß eine entsprechende Erklärung abgedruckt wurde. Die Bemühungen um den Bau einer neuen Kirche, die die verlorene Marienkirche ersetzen sollte, waren lange vergeblich. Zunächst wurde der Bau abgelehnt, schließlich - drei Jahrzehnte nach Wegnahme der Marienkirche - dann doch genehmigt, aber dabei verfügt, daß das Gebäude nicht das Aussehen einer Kirche haben dürfe; Turm und Kreuz waren nicht zugelassen. So galt das am 18. Juli 1756 eingeweihte neue Gotteshaus nur als Bethaus oder Oratorium, was eine neue Demütigung bedeutete. Dagegen wurde schon 1730 - in Ausführung des im Zusammenhang mit dem Blutgericht erlassenen Dekrets von 1724 - zur Verherrlichung der katholischen Religion mitten in der Stadt eine Mariensäule aufgestellt, die erst nach der zweiten Angliederung an Preußen 1815 wieder abgebrochen wurde.

[19] Im polnischen Thronfolgekrieg (1733/34) mußte Thorn zunächst die Besetzung durch die Truppen des Königs Stanislaus Leszczynski, später die durch das Heer des Gegenkönigs, Augusts III., ertragen. Im Siebenjährigen Kriege aber wurde es - unter Mißachtung der Neutralität Polens - von 1758 bis 1762 von der Armee des russischen Generals Graf Fermor besetzt. Thorn war nicht in der Lage, dies zu verhindern. Von seiner militärischen "Leistungsfähigkeit" in dieser Zeit zeugte, daß es 1734 für das Heer des Königs Stanislaus eine Abteilung von 50 Mann (!) aufstellte.

In "friedlichen" Zeiten aber kam es häufig vor, daß der benachbarte - meist polnische - Adel des Kulmer Landes nach Raubritterart auf den nach Thorn führenden Straßen Kaufleute überfiel, ausplünderte und tötete, auch wurden die Ländereien und Wälder der Stadt verwüstet. Diese setzte sich dagegen zur Wehr. So wurde 1618 der polnische Adlige Bialochowski wegen Straßenraubes in Thorn hingerichtet, und am 17. Dezember 1722 traf drei polnische Edelleute wegen ähnlicher Vergehen dasselbe Schicksal. Wie groß aber das Durcheinander im polnischen Rechtswesen war, zeigte der Fall des polnischen Edelmanns Konopka, der die Stadt Thorn acht Jahre hindurch, von 1741 bis 1749, durch Prozesse und Gewalttaten in Atem hielt. Da ihm ein Thorner Bürger eine Schuldsumme nicht zurückzahlte, glaubte er, dazu berechtigt zu sein, sich an den Ländereien der Stadt schadlos zu halten und erwirkte bei dem für Preußen gar nicht zuständigen polnischen Tribunal in Petrikau ein entsprechendes Urteil, auf Grund dessen er die Stadtdörfer Gremboczin und Richnau durch seine Leute besetzen ließ. Er wurde von dort durch Stadtsoldaten vertrieben, und das von der Stadt Thorn angerufene, allein zuständige königliche Hofgericht sprach Konopka das Recht zu seinen eigenmächtigen Gewaltaktionen ab. Trotzdem prozessierte er beim polnischen Tribunal weiter, und dieses erlaubte sich sogar, ohne sich um das Urteil des Hofgerichts zu kümmern, den Marienburgischen Woiwoden anzuweisen, das Dorf Gremboczin für Konopka in Besitz zu nehmen. Unbegreiflicherweise war der Woiwode - der, als leitender Beamter doch über die Rechtsverhältnisse und über den Rechtsgang informiert sein mußte - bereit, der Aufforderung des Tribunals zu folgen; er wurde jedoch durch die Thorner daran gehindert. Der Fall Konopka aber wirft ein Schlaglicht auf die unhaltbaren und unüberschaubaren Zustände im Gerichtswesen Polens und Polnisch-Preußens im 18. Jahrundert.

Mochte Thorn gelegentlich - wie z. B. im Fall Konopka - noch eine gewisse Macht demonstrieren, so konnte dies doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Stadt zu großen Aktionen nicht mehr fähig war. Durch das Blutgericht hatte sie einen irreparablen Schock erhalten. Julius Emil Wernicke, der Verfasser einer Geschichte Thorns im Jahre 1842, hat dies so charakterisiert: "Eine Ruhe, wie sie nach einer Lethargie zu sein pflegt, gewonnen durch das völlige Schwinden einstiger Größe und einstigen Wohlstandes, war jetzt für Thorn eingetreten. Von einer politischen Stellung und Selbständigkeit des kleinen Freistaates ist kaum noch ein schwacher Schatten vorhanden; Nahrungslosigkeit, ja mitunter die bitterste Armuth, umlagern den häuslichen Herd, wo Wohlstand und Frohsinn sonst herrschte." Er fährt dann fort: "Und der innere Geist des Friedens, bedingt durch Bürgerglück und Bürgertugend, wird nicht eher wieder in Thorns Mauern heimisch, als bis die Stadt aus ihrer unnatürlichen Stellung zur Republik Polen herausgerissen, ihrem ursprünglichen Mutterlande, Preußens segenspendendem Scepter, einverleibt wurde."

[20] Diese aus einer späteren Sicht gewonnene Meinung, die eine positive Einstellung zum Hohenzollernstaat Brandenburg-Preußen zum Ausdruck brachte, war jedoch bei der Führung Thorns im 18. Jahrhundert nicht anzutreffen. Man fürchtete das Königreich Preußen als einen despotischen Staat; statt dessen erstrebte man die alte Freiheit des Preußenlandes, die 1454 garantiert und 1569 zerstört worden war. Im Kampf um die alten Privilegien aber standen die großen Städte Danzig, Elbing und Thorn unter der Führung Danzigs in vorderster Front. So erklärte der berühmte Danziger Geschichtsschreiber und Ratssyndikus Gottfried Lengnich im Jahre 1722: "So wie ehemals Cremutius Cordus Cassium den letzten Freiheit liebenden Römer genennet, dürfte es fast scheinen, als wenn die drei Großen Städte die letzten Preußen sein sollten." Zu einer Wiederherstellung der Privilegien schien sich eine Aussicht zu eröffnen, als August I. 1763 gestorben war und es in Polen zu Thronwirren kam. Dabei setzte man alle Hoffnung auf die jetzt entscheidende Macht Rußland. Im Jahre 1764 übergaben die drei Städte - von Verantwortungsgefühl für ganz Westpreußen beseelt - dem Beauftragten der russischen Zarin Katharina II. eine Denkschrift, worin sie auf das Privileg Kasimirs IV. von 1454, die Unrechtmäßigkeit des Lubliner Dekrets von 1569 und die dem König Heinrich von Valois 1574 überreichte Schrift hinwiesen. In dieser hätten - so führten die Städte aus - die Preußen klar zum Ausdruck gebracht, daß sie zum Königtum Polen (Regnum Poloniae), nicht aber zum polnischen Staate (Respublica Polona) gehörten. Und auf dem Graudenzer Landtag vom 7. September 1767 beschlossen auf Veranlassung des Danziger Ratssyndikus Lengnich die preußischen Stände, mit Hilfe der russischen Kaiserin die alte Unabhängigkeit Preußens von Polen wiederherzustellen. Dieser Schritt war eine Dokumentation preußischen Freiheitswillens, gleichzeitig aber bewies er eine Fehleinschätzung der russischen Politik. Dieser konnte nichts daran gelegen sein, alte Strukturen neu zu beleben.

Vor dem Graudenzer Landtag aber hatte die Auflösung des polnischen Staates schon begonnen. Im März 1767 trat in Thorn die sogenannte Thorner Konföderation zusammen, ein Zusammenschluß der Protestanten Polens und Preußens unter dem Schutz Rußlands. Außerdem zog in Thorn eine russische Garnison ein. Der Warschauer Traktat von 1768 sprach unter russischem Druck die Religionsfreiheit aus, doch bildete sich darauf die katholische antirussische Konföderation von Bar, deren Abteilungen durch das Land zogen und überall Greuel verübten, auch in der Umgebung von Thorn. Die Regierungstruppen des Königs Stanislaus Poniatowski waren den Haufen der Konföderierten nicht gewachsen; diese wurden erst im Januar 1771 von einem russischen Heer vernichtend geschlagen. Die verworrenen Verhältnisse in Polen aber führten schließlich Rußland, Preußen und Österreich zu dem Entschluß, polnische Randgebiete anzugliedern. Bei der im September 1772 durchgeführten sogenannten Ersten Teilung Polens4) fiel das westliche (königliche) Preußen an den brandenburgisch-preußischen Staat Friedrichs des Großen, jedoch ohne die Städte Danzig und Thorn, die weiterhin unter der Oberhoheit der polnischen Krone blieben, praktisch jedoch unter russischen Einfluß kamen.

[21] Die Angliederung Westpreußens an den Hohenzollernstaat wurde in Danzig und Thorn sehr negativ beurteilt, und der Thorner Bürgermeister Klosmann, der als einziger für den Anschluß seiner Heimatstadt an Preußen eintrat, galt als "Verräter des gemeinsamen Wohles". Weder Danzig noch Thorn waren infolge der Abschnürung von ihrer Umgebung lebensfähig. Besonders deutlich wurde das bei Thorn. Dieses war nach einer Schilderung aus dem Jahre 1784 "ein stiller und todter Ort, der fähig wäre, lauter schwermüthige und hypochondrische Leute zu bilden". Die Einwohnerzahl, die um 1600 etwa 20 000 betragen hatte, sank bis auf 5570 Personen ab; die Wirtschaft kam zum Erliegen. Unter diesen Umständen war der eigensinnige Stolz des Thorner Rates auf die alte Freistaatherrlichkeit anachronistisch und die zwischen Rußland und Preußen im Jahre 1793 vereinbarte Vereinigung beider Städte mit Preußen die einzige Möglichkeit zu einer Besserung der Lage. Trotzdem blieb der Thorner Rat uneinsichtig. Als am 25. März 1793 die preußischen Truppen gegen die Stadt vorrückten, ließ er gewissermaßen als Zeichen seines Protestes - die Tore verschließen, so daß diese von den Truppen aufgebrochen werden mußten.

Diese letzte verzweifelte Widerstandshandlung konnte jedoch nicht als Ausdruck polnischer oder polenfreundlicher Gesinnung verstanden werden. Bis zuletzt hatte sich die Stadt trotz ihrer tiefen Demütigung im Jahre 1724 mit Erfolg darum bemüht, ihren deutschen Charakter zu bewahren, und noch 1766 hatte Samuel Luther von Geret, der damalige Resident Thorns am polnischen Hofe, erklärt: "Wer ein bürgerlich Amt in der Stadt bekleiden wolle, muß ein Preuße sein und wenigstens deutscher Nation ... Verdammt sei doch ein Pole und ein polnisch Kleid in unserer Ratsstube, da, wenn dies Mode würde, wir bald mit aller noch guten Ordnung, Freiheit, Polizei und Ansehen, so herunterkommen würden durch die Polnische Niederträchtigkeit und Einräumung alles, was nur ein Edelmann oder Starost oder Woywod verlangt." Und als Thorn 1793 aufgefordert wurde, dem König von Preußen zusammen mit den gleichfalls angegliederten polnischen Städten zu huldigen, lehnte der Rat dies ab und bat darum, dies an der Seite Danzigs tun zu dürfen; denn "Thorn sei eine deutsche und preußische Stadt, ja die älteste und erste Stadt in Preußen: sie sei nie zu den polnischen Städten gezählt worden, hätte nie Polen zu ihrem Vaterlande gehabt, indem sie davon an Nation, Sprache, Sitte, Rechten und Behörden gänzlich unterschieden wäre." Am 7. Mai 1793 begab sich der Stadtpräsident Luther von Geret mit neun Vertretern der Stadt zur Huldigung nach Danzig; alle waren Deutsche.

Die Bevölkerung Thorns aber mußte bald erkennen, daß die politische Neuordnung eine Aufwärtsentwicklung mit sich brachte. "Diese günstige Umgestaltung der Verhältnisse" - so drückte es der schon erwähnte Julius Wernicke aus "konnte nur wohlthätig auf den zunehmenden Wohlstand der Stadt, wie auf den Charakter und die Sitten ihrer Einwohner wirken, und der beste Beweis dafür war, daß allmählig auch die letzten Spuren von früher gerügten Mängeln schwanden, indem der besser gesinnte Theil der Bevölkerung sich überzeugte, daß diese politische Umgestaltung nur das einzige Rettungsmittel gewesen sei, die Stadt von ihrem Untergange zu retten." Wie positiv sich Thorns Bürger zum preußischen Staat einstellten, zeigte sich schon sehr bald, als im März 1794 sich die polnischen Aufständischen unter Kosciuszko der Stadt näherten. Damals boten [22] sämtliche Zünfte und Gewerke dem preußischen Militär ihre Hilfe an, und die Schüzenbrüder stellten sich für die Bedienung des groben Geschützes zur Verfügung.

Überblickt man die 120 Jahre der Zugehörigkeit Thorns zum brandenburgisch-preussischen Staat - die Zeit von 1793 bis 1920, die nur durch die siebenjährige napoleonische Periode unterbrochen wurde -, dann müssen wir feststellen, daß diese Epoche einen stetigen Aufstieg verzeichnen konnte. Sie brachte keine Sensationen, keine Wiederherstellung der Königin der Weichsel, aber eine gesunde und solide wirtschaftliche Entwicklung, die Wiederbelebung von Handel und Gewerbe und den Aufbau einer Industrie, so daß die Stadt bis zum Jahre 1910 auf 46 000 Einwohner anwuchs. Vor allem aber brachte die preußische Herrschaft ein sicheres Leben in einem Rechtsstaat - nach Jahrhunderten polnischer Anarchie. Besetzungen durch fremde Heere, Überfälle durch polnische Banden und religiöse Bedrückung der Protestanten hörten auf. Wie sehr aber die deutschen Thorner ihr Leben im deutschen Staat schätzten und wie sehr sie eine erneute Bedrückung durch die Polen fürchteten, zeigt, daß sie nach dem Ersten Weltkriege fast geschlossen ihre Heimatstadt verließen; der Anteil der deutschen Bevölkerung verringerte sich von 66 auf vier Prozent. Auch im Zweiten Weltkriege erhöhte er sich nur unwesentlich. Heute lebt in Thorn kaum noch ein Deutscher. Aber die herrlichen Bauwerke der Deutschordenszeit, die wir auch heute noch bewundern können, erinnern uns - 750 Jahre nach Gründung der Stadt - an Thorns deutsche Vergangenheit.


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1) vgl. " 1454, ein Schicksalsjahr Westpreußens", von Dr. Heinz Neumeyer, in Westpreußen-Jahrbuch, Band 4 (1954), S. 18 ff.
2) vgl. "Das Dekret von Lublin", von Dr. Heinz Neumeyer, im Westpreußen-Jahrbuch, Band 8 (1958), S. 33 ff.
3) vgl. die Faltkarte im Westpreußen-Jahrbuch, Band 23 (1973), nach S. 56.
4) vgl. verschiedene Beiträge hierzu im Westpreußen-Jahrbuch, Band 22 (1972).

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Literatur:

Schütz, Caspar: Historia Rerum Prussicarum, das ist wahrhafte und eigentliche Beschreibung der Lande Preußen. Zerbst, 1592.

Hennenberger, Caspar: Kurtze und wahrhafftige Beschreibung des Landes zu Preußen. Königsberg, 1584.

Hartknoch, Christoph: Alt- und neues Preussen, oder preussischer Historien zwei Theile. Frankfurt und Leipzig, 1684.

Lengnich, Gottfried: Geschichte der Preußischen Lande königlich-polnischen Antheils. 1-9. Danzig, 1722-1755.

Zernecke, Jacob Heinrich: Thornische Chronica. Berlin, 1727.

Dittmann, George Gottlieb: Beyträge zur Geschichte der Stadt Thorn. Bd. 1. o. 0. 1789. (Nachdruck: Hamburg; 1970. Sonderschriften des Vereins f. Familienforschung von Ost- und Westpreußen Nr. 15).

Wernicke, Julius Emil: Geschichte Thorns. 1., 2. Thorn, 1838-1842.

Kestner, Ernst: Beiträge zur Geschichte der Stadt Thorn. Thorn, 1882.

Heuer, Reinhold: 700 Jahre Thorn. 1231-1931. Danzig, 1931.

Schumacher, Bruno: Geschichte Ost- und Westpreußens. 3. Aufl., Würzburg, 1958.

Keyser, Erich: Westpreußen. Aus der deutschen Geschichte des Weichsellandes. Würzburg, 1962.

Bahr, Ernst: Thorn. (Handbuch der historischen Stätten. Ost- und Westpreußen, S. 221-225.) Stuttgart, 1966.

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Neumeyer, Heinz, Dr. phil., Historiker, *18.08.1915 in Danzig-Langfuhr. Realgymnasium Danzig-Oliva. Studium der Philologie (Geschichte, Deutsch, Englisch) Danzig (Techn. Hochschule, Abt. f. Geisteswissenschaften) und Königsberg (Albertus-Universität). 1940 Philos. Staatsexamen, 1941 Promotion (Dissertation: "Der westpreußische Ständestaat und Polen 1587-1605"). 1940-1947 Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft. Während der Kriegsgefangenschaft Studium der Theologie (YMCA-Studienlager, Norton-Camp/England). Auf Grund dieser Studien Erweiterungsprüfung in Religion (Hamburg 1948). In der Folgezeit verschiedene Tätigkeiten (Hauptamtlicher Mitarbeiter ostdeutscher Landsmannschaften, Dozent an Volkshochschulen, Mitwirkung an Aktionen von Bundesministerien: Dokumentation der Kriegsereignisse und Kriegsverluste, Gesamterhebung der Vertriebenen). Mitarbeit an wissenschaftlichen Dokumentarwerken (Altpreußische Biographie, Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Theologische Realenzyklopädie). 1964-1970 Wissenschaftl. Mitarbeiter von Prof. Dr. Rohde, Institut für Osteuropakunde an der Universität Mainz (Sonderauftrag: Dokumentation der evangelischen Kirchen Ostdeutschlands). Zahlreiche Publikationen, besonders zur Geschichte Westpreußens, u.a. "Die staatsrechtliche Stellung Westpreußens zur Zeit der polnischen Oberhoheit" (Göttinger Arbeitskreis, 1953), "Danzig - ein Blick auf seine Geschichte" (1960), "Biographie zur Kirchengeschichte von Danzig und Westpreußen" (1967), "Kirchengeschichte von Danzig und Westpreußen in evangelischer Sicht" (Bd. 1: 1971, Bd. 2: 1977). Lebt in 2080 Pinneberg [1981!].



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letzte Aktualisierung: 25.10.2005