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Rathausturm mit Copernicus-Denkmal

Pfarrer Heinz Krause  † 4.3.2001

Schwere Entscheidungen


in: Der Westpreusse, 23/1988, Seite 7



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Ein Stück Thorner Stadtgeschichte


Die Zahl in blauer eckiger Klammer, z.B.: [23], bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang im Original.




Heinz Krause

[7] Am 18. November des Jahres 1655 meldete sich beim Rat der Stadt Thorn ein Bote des Königs Johann Kasimir von Polen. Er überbrachte die Mahnung, man möchte unter allen Umständen der polnischen Krone die Treue bewahren. Das hieß mit anderen Worten, man solle sich nicht dem herannahenden Schwedenkönnig ergeben. Genau acht Tage später stand vor den Toren der Stadt ein schwedischer Trompeter, der im Namen des Kommandierenden einer schwedischen Vorhut die Aufforderung zur kampflosen Übergabe der befestigten Stadt überreichte. Was tun? Es war eine sehr schwere Entscheidung, die der Rat der Stadt zu fällen hatte.

Seinerzeit hatte sich Thorn, wie auch Elbing und Danzig und der Landadel der Oberhoheit der Krone Polens unterstellt, da man mit dem Ritterorden nicht mehr konnte, und hatte an dieser Verbindung getreulich festgehalten. So hatte der Rat der Stadt noch im August 1655 eine Abteilung Soldaten in Richtung Graudenz in Marsch gesetzt, um mit anderen sich den vordringenden Schweden entgegenzustellen. Weiterhin war man dabei, die Befestigungen und Wälle der Stadt zu verstärken und zog gleichzeitig die Bürgerschaft quartierweise zu Übungen ein. Man hatte also alles getan, um sich im Sinne des polnischen Königs den schwedischen Eindringlingen zu widersetzen.

Die Schweden ihrerseits glaubten, Polen besetzen zu müssen, da sie um ihre Vormachtstellung im Ostseeraum fürchteten. Bisher waren sie die Macht gewesen, die fast die gesamten Ostseeküsten be[8] herrschte. Nun waren die Russen im Vordringen in diesen Raum, und da wollte der neue schwedische König Karl Gustav das schwache Polen benutzen, um seine Machtstellung zu festigen. In schnellem Siegeszug gelang es ihm, große Teile Polens zu besetzen und Polens König Johann Kasimir nach Schlesien zu vertreiben.

Nun standen also am 26. November 1655 die Schweden vor den Toren Thorns. Noch ehe der Rat eine Antwort auf die Aufforderung zur Übergabe der Stadt gegeben hatte, wurde gemeldet, daß in der Gegend des Weinberges vor dem Jakobstor an 3000 schwedische Reiter gesichtet waren. Zu der Avantgarde gesellte sich in den nächsten Tagen der König selbst mit größeren Heeresverbänden. Am 1. Dezember mußte eine Deputation des Thorner Rates zwecks Verhandlungen in seinem Feldlager erscheinen. Er bestand auf einer sofortigen freiwilligen Übergabe der Stadt, versprach dafür, alle Rechte Thorns zu respektieren. Die Verhandlungen dauerten vier Tage, dann fiel beim Rat die Entscheidung: Übergabe.

Wenn man die folgenschwere Entscheidung, die so ganz dem bisherigen Verhalten des Rates widersprach, verstehen will, so muß man folgendes bedenken: Einmal stand der schwedische König mit einer großen Heeresmacht vor den Toren zum Sturm der Stadt bereit, die Stadt selbst hatte die Restaurierung ihrer Verteidigungswerke aber noch nicht vollenden können. Außerdem konnte der Schwedische König zum großen Erschrecken der Verhandlungsdelegation genaue Pläne der Stadtbefestigung Thorns vorlegen, die auf den neuesten Stand gebracht waren. Beeindruckend mag auch gewesen sein, daß die Vorverhandlungen von der schwedischen Seite aus von dem früheren polnischen Unterkanzler Radziejowski geführt wurden, der selber auf die schwedische Seite übergetreten war und daß der polnische König Kasimir, dem die Stadt sich verpflichtet fühlte, schon aus seinem Land geflohen war. Wie weit die religiöse Frage bei den Entscheidungen mit eine Rolle gespielt hat, läßt sich schwer beurteilen, wäre aber bei der evangelisch-lutherisch geprägten Stadt durchaus verständlich (die Schweden waren ja Protestanten, und man wußte sehr wohl, wieviel das Eingreifen des Schwedenkönigs Gustav Adolf im dreißigjährigen Krieg für die protestantische Sache bedeutet hatte). Die Stadt hatte gegenüber dem polnischen Staatswesen, das sich zunehmend immer mehr auf die katholische Kirche stützte, auf ihre Religionsfreiheit pochen müssen, ja manche leidvolle Beeinträchtigung auch eingesteckt. Nun stand ein im Glauben gleichgesinnter König mit seinem Heer vor den Toren.

Am 5. Dezember zog der schwedische König mit Gefolge hoch zu Roß in Thorn ein. Die Bürgerschaft bildete Spalier. Der König begab sich unverzüglich in die damals noch evangelische Marienkirche zu einer Andacht. Danach ging es in das Rathaus, wo er "gleich den Königen von Polen bewirtet wurde" wie Wernicke in seiner "Geschichte Thorns" (Bd. II, S. 210) berichtet. Die Besetzung der Stadt durch die Schweden dauerte drei Jahre und war eine schwere Belastung für die Bevölkerung, da meist größere Abteilungen der schwedischen Besatzungstruppe in Privatquartieren untergebracht waren. Rücksichtslos wurde die Stadt auf eine eventuell zu erwartende Belagerung zugerüstet. Aus strategischen Notwendigkeiten wurden die Vorstadtkirchen St. Georg, St. Lorenz und St. Katharinen in Brand geschossen oder niedergebrannt. Die Vorkehrungen erschienen berechtigt, denn polnische und kaiserliche Truppen waren in das Vorgelände der Stadt schon eingedrungen.

Der polnische König Johann Kasimir war nach Polen zurückgekehrt und zog mit kaiserlicher Unterstützung gegen den Eindringling, Schweden, zu Felde. Den Schweden war es auf die Dauer unmöglich gewesen, die weiten eroberten Gebiete zu halten. In der befestigten Stadt Thom setzten sie sich aber fest. Schon Anfang Januar 1658 streiften polnische Truppenteile durch die Lande in der Umgebung Thorns. Sie führten sich au rachedurstige Freischärler. So plünderten sie das Dorf Mocker, zerstörten die Mühlen in Leibitsch und steckten die evangelische Kirche in Gurske in Brand. Alle Dörfer um Thorn herum plünderten sie, so daß "die Bauern in die Stadt sich begeben müssen, derer Häuser und Höffe sie . . . ruinieret, daß nicht ein Pfahl ... an seinem Orte stehen geblieben", wie Chronist Zemecke (Thornische s. 346) vermeldet. Vom 2. Juli ab war dann die Stadt selbst von allen Seiten eingekreist, nachdem die polnischen Truppen durch kaiserliche und brandenburgische Verbände verstärkt worden waren. Die Schweden verteidigten Thorn sechs Monate lang aufs tapferste. Die Bevölkerung wurde zur Mithilfe gezwungen und mußte auch enorme Geld- und Naturalabgaben (Korn und Tuch) für die Verteidiger aufbringen. Am 30. Dezember 1658 fand die Belagerung ein Ende, nachdem man den schwedischen Truppen freien Abzug zugesichert hatte.

Am Neujahrstag des Jahres 1659 wurde der polnische König Johann Kasimir und seine Gemahlin am Altthomer Tor vom Rat feierlich empfangen und in die Stadt geleitet. Bei der Zeremonie wurden dem König die Stadtschlüssel nach einer in lateinischer Sprache gehaltenen Empfangsrede übergeben. Hierauf, so wird berichtet, "wurden sämtliche Deputierte zum Handkusse gelassen" (Wernicke s.o. S 215). Darauf begaben sich die Majestäten zum Dankgottesdienst in die katholische Johanniskirche. Dann tafelte man im Rathaus und der Rat mußte seinen Treueid dem König gegenüber wiederholen wobei es sich zeigte, daß der König keinen Rachegefühlen der Stadt gegenüber raumgab - wie ein polnischer Historiker bemerkt, während andere polnische Zeitgenossen vom Verrat der Stadt sprachen. Wohl hatte der Rat seinerzeit den Schweden die Tore geöffnet, aber auf die Verteidigung Thorns durch die Schweden hatte er keinen Einfluß nehmen können. Hier hatten die Schweden allem das Sagen gehabt. Jedoch ließ der polnische nun seinerseits ein Truppenkontingent als Besatzung in der Stadt zurück, für dessen Unterhalt die Stadt die Kosten übernehmen mußte.

Endlich kam es im Frühjahr 1660 in Oliva zum Friedensschluß zwischen Schweden und Polen. Sofort reichte der Rat der Stadt Thorn bei der schwedischen Krone eine Schadenersatzforderung für die Besatzungszeit ein, die auch anerkannt wurde. Ebenso forderte die Stadt von der Krone Polens eine Rückzahlung für vorgeschossene Soldzahlungen und für die Belieferung der polnischen Truppen mit Naturalien etc. Auch diese Forderung wurde anerkannt. Insgesamt betrugen die Kosten der Stadt, die durch die Kriegshandlungen verursacht worden waren, 90459 Reichstaler - damals eine ungeheure Summe. Sie wurde nie erstattet, und brachte das einstmals wohlhabende Thorn an den Rand des Ruins.

Heinz Krause



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© 2000  Volker J. Krüger, heim@thorn-www.de
letzte Aktualisierung: 13.03.2004