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Rathausturm mit Copernicus-Denkmal

Heinz Krause  † 4.3.2001

Nicht der Vogel, sondern das Nest

Heimatliche Heiratsgeschichten aus der 1. Hälfte unseres Jahrhunderts

Der Westpreusse, 12/883, Seite 5-6



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Heinz Krause

[5] "Dat is jo nich üm'n Vagel, dat is üm's Nest", sagte ein Mädchen, wie Christian Graf von Krockow in seinem Buch "Die Reise nach Pommern" berichtet. In Westpreußen hätte man das sprachlich sicher ein bißchen anders formuliert, aber dem Inhalt nach traf der Ausspruch des pommerschen Mädchens doch auch auf unsere Verhältnisse in Landgebieten in vielen Fällen zu. Wie sollte man auch anders einen Hof halten, wenn nicht beide Partner zusammenlegten? Wie sollten die anderen Geschwister ausgezahlt werden, wenn nicht der Hof ruiniert werden sollte? Da mußte schon oft die Neigung zurückstehen bzw. sie durfte nicht ausschlaggebend sein. Der Erhalt des "Nestes" (sprich: des Hofes oder Heimes) war maßgebender als das Finden des "Vogels" (sprich: Ehepartners).

Wie sollte Hugo Duwe, Mitte zwanzig, Landwirt mit Leib und Seele, zu einem Hof kommen? Auf dem elterlichen Bauernhof waren noch drei jüngere Brüder und der Vater rüstig, so daß hier mit einer Übernahme der Wirtschaft nicht gerechnet werden konnte. Kurz vor der Jahrhundertwende hatte der junge Mann als (forscher) Ulan seinen Militärdienst abgeleistet und war auf den elterlichen Hof zurückgekehrt. Da stand er nun vor der Frage: "Und was nun?" In solcher Situation pflegte man sich umzusehen und rumzuhören, und es fanden sich dann meist auch Leute, die ihren Rat anboten und Vorschläge machten. So wurde Hugo Duwe auf eine Bauerntochter auf "der Höhe" aufmerksam gemacht, von der es hieß, daß ihr Vater ihr den Hof übergeben wolle, wenn sie einen tüchtigen Bauern als Ehemann fände.

Die Sache mit "der Höhe" gefiel dem jungen Mann nicht so sehr. Er selbst war auf einem Hof in der Weichselniederung, in einem rein deutschen Dorf, aufgewachsen, und bei jenem Hof auf "der Höhe" ging es um eine stark polnische Gegend. Das Dorf Siemon, zu dem der auf dem Abbau gelegene Hof der deutschen Familie gehörte, hatte eine überwiegend polnische Bevölkerung, die auch den Charakter des Dorfes prägte.

Man würde auf dem Hof wie auf einer Insel leben müssen, meinte der junge Mann, ganz umgeben von anderem Volkstum. Und das junge Mädchen? Die Zukünftige? Sie war freundlich und nett, aber ihm doch fremd in ihrer Art. Aber der Hof war gut, nur die Wirtschaftsgebäude würde man vergrößern müssen. Der Ackerboden schien für gute Erträge geeignet zu sein, man müßte nur sicher manche Parzelle drainieren. Es würde viel Arbeit geben, aber das reizte gerade den jungen Mann. "Zureden hilft", das alte Sprichwort schien sich zu bewähren. Jedenfalls, es dauerte nicht lange, und die Hochzeit des Landwirts Hugo Duwe und der Bauerntochter Berta Lipke wurde in Siemon gefeiert.

Jedoch die Freude dauerte nicht lange. Das junge Paar kam ganz gut miteinander aus. Nur mit den Eltern der jungen Frau gab es bald Schwierigkeiten, zumal sie auf dem Hof wohnen geblieben waren. Sie hatten gemeint, es würde alles so weitergehen. Der junge Mann dagegen versuchte seine Ideen von der Bewirtschaftung eines Bauernhofes zu verwirklichen. Aus den Anfangsschwierigkeiten wurden Gegensätze. Es kam zum Krach. Da sattelte der junge Mann sein Pferd, das er vom heimatlichen Hof mitgebracht hatte, und schnürte sein Bündel. Er kehrte auf den Hof seiner Eltern in der Thorner Niederung zurück und berichtete, daß er es auf jenem Hof auf der Höhe nicht aushalten könne. Es wäre ihm alles zu fremd und man wolle ihn nur als gute Arbeitskraft benutzen und er wolle sich in alles einfügen und sich unterordnen wie ein Knecht.

Was sollte man machen? Die Gespräche zwischen dem eigenen Vater und seinem Sohn ließen manches anders erscheinen. Und schließlich konnte der junge Mann seine Frau auch nicht einfach sitzenlassen, zumal sie beide miteinander doch ganz gut auskamen. Also machte sich der Vater mit dem Sohn auf den Weg nach Siemon. Sie wurden auf dem Lipkeschen Hof kühl, aber nicht abweisend empfangen. Auch hier schien man eingesehen zu haben, daß man etwas falsch gemacht habe. Vater Duwe gelang es, seinem Sohn, der seinerseits auch zurücksteckte, zu mehr Rechten zu verhelfen. Man fing noch einmal an und siehe da: Es ging. Ja, mit den Jahren ging es immer besser, zumal die Alten merkten, daß ihre Kräfte nachließen und daß der junge Mann den Hof nur immer mehr verbesserte. Der Hof stellte nicht nur die polnischen Nachbarhöfe weit in den Schatten, nein, auch die angrenzenden deutschen Großgrundbesitzer konnten dem nunmehr Duweschen Hof nicht ihre Anerkennung versagen. Es war ein Musterhof.

Auch die Familienverhältnisse gestalteten sich aufs Beste. Drei fröhliche Kinder wuchsen heran. So hatte sich alles zum Guten gewandt. Es war ein Staat, mit anzusehen, wenn an Festtagen der Duwesche Verdeckwagen, gezogen von zwei rassigen Braunen, vor der Rentschkauer Kirche vorfuhr, der Kutscher die Wagen türen öffnete und die fünfköpfige Familie dem Wagen entstieg. Wohlsituierte Leute - eine glückliche Familie!

Die Jahre vergingen, die Jahrzehnte auch. Zwei Kinder heirateten nach auswärts. Da starb die Mutter, Frau Berta Duwe geb. Lipke (die Großeltern Lipke waren schon lange tot), und es mußte eine neue Bäuerin auf den Hof. Nach einigem Suchen war sie gefunden. Der Sohn heiratete eine nette junge Frau. Es gab aber doch Schwierigkeiten, nicht so sehr mit der Schwiegertochter, sondern zwischen Vater und Sohn. Der Vater, noch nicht sechzig, konnte sich nicht daran gewöhnen, daß die Jungen nun das Sagen auf dem Hof haben sollten. Er fühlte sich in die Ecke gestellt. Dazu kam als Witwer ein Gefühl der Einsamkeit, weil der Gesprächspartner der eigenen Generation fehlte. Aus dem Miteinander wurde ein Gegeneinander. Hugo Duwe, der den Hof so hoch gebracht hatte, verlor die Freude daran und strebte weg. Aber wohin?

Da besann sich der nunmehrige Altbauer auf die Anfänge seiner Familiengründung. Wie war es gewesen? Wir hatten darüber eingangs folgendes berichtet: "In solcher Situation pflegt man sich umzusehen und rumzuhören, und es finden sich dann meist Leute, die ihren Rat anbieten und Vorschläge machen." So wurde Hugo Duwe auf eine ältere Dame in Bromberg aufmerksam gemacht, die eine große, schöne Wohnung nach einer Erbschaft ihr eigen nennen durfte. Dazu war die Behausung komplett ausstaffiert und eingerichtet bis zu den gefüllten Schränken (ein alter wohlsituierter Rechnungsrat hatte seiner treuen Pflegerin alles vermacht). Man lernte sich kennen, fand Gefallen aneinander und heiratete. Das Nest war gefunden. Das Problem war nicht, wie man miteinander auskommen würde (dazu hatte man genug Lebenserfahrung), sondern: Wie würde ein alter Bauer sich in den neuen städtischen Verhältnissen zurechtfinden? Die Umwelt in dem etwas abseits gelegenen Dorf hatte ihn schon vor 30 Jahren beunruhigt, hatte ihn dann aber doch wohl auch mitgeformt. Und nun die große Stadt mit ihrem pulsierenden Leben und auch gewissen Ansprüchen! Wie würde das gehen? Nicht nur das Nest war wichtig, sondern auch die Umgebung.

Es ging, und zwar nicht nur leidlich, sondern erstaunlich gut. Hugo Duwe war bald nicht mehr wiederzuerkennen. Er fügte sich nicht nur in die Verhältnisse, sondern er stellte sich ganz auf die neue Situation um und füllte eine Position aus. Manche der fernerstehenden Bekannten verwechselten ihn manchmal mit dem verstorbenen alten Rechnungsrat. Er ging immer sorgfältig gekleidet und machte so seine Spaziergänge, machte seiner Frau Besorgungen und führte sie dann und wann aus ... ins Kaffee Grey, ins Theater usw. und empfing gern Besuche. Wie war die Wende möglich geworden? War es seine zweite Frau oder die ganz neue Umgebung? Oder hatte diese feinere Art schon immer in dem Manne gesteckt? Die Fragen werden schwer zu beantworten sein.

Eines kann man ganz bestimmt an dem Lebensweg des Hugo Duwe feststellen, nämlich, das: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.

Die Partnerwahl ist heute sicher noch schwieriger als damals. Man vergleiche die Heiratsannoncen in den Zeitungen und die Berichte über Ehescheidungen. Früher war durchaus nicht alles leichter. Manchmal ging es aber mit einer anderen Zielsetzung merkwürdig gut, wenn der gute Wille da war. Davon hat die vorausgehende Geschichte, die dem Leben nacherzählt ist, berichten wollen.

Heinz Krause



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© 2000  Volker J. Krüger, heim@thorn-www.de
letzte Aktualisierung: 13.03.2004