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Pfarrer Heinz Krause † 4.3.2001Hochwasserkatastrophen
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Die Zahl in blauer eckiger Klammer, z.B.: [23], bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang im Original. Heinz Krause |
[3] Hochwasser gibt es jedes Jahr an der Weichsel, es fragt sich nur, wie hoch das Wasser steigt. Das hängt mit der Eigenart des Stromes, der als einer der wasserreichsten in Europa gilt, zusammen. Die Weichsel, über eintausend Kilometer lang, bringt im Jahresdurchschnitt etwa 135 Milliarden Kubikmeter Wasser in die Ostsee - und das eben sehr unterschiedlich in den verschiedenen Jahreszeiten. Das erste Hochwasser pflegt im Frühjahr zu kommen, das zweite um Johanni (Ende Juni). Hierbei spielen die geographischen Gegebenheiten und die Witterungsverhältnisse die entscheidende Rolle. Es hängt alles davon ab, wann die Schneeschmelze in den Karpaten, also am Oberlauf des Stromes, einsetzt, wann die Rokitnosümpfe im Mittellauf auftauen und ob im Unterlauf, der ja am nördlichsten liegt, der Winter zu Ende gegangen ist, bzw. ob hier die Eisdecke geschmolzen ist. Ist letzteres nicht der Fall, d. h. wenn es im Süden schon Frühling wurde, im Norden aber noch der Winter herrscht, dann kann es zu den gefährlichen Eisverstopfungen kommen, die das Wasser nicht ordentlich abfließen lassen, so daß es rapide hinter der Eisbarriere steigt. Jetzt ist es wichtig, wie hoch die Dämme sind. Es ist weiter entscheidend, ob die Dämme gefroren oder gar aufgeweicht sind. Das alles gilt für das Winterwasser. Beim Sommerhochwasser, das nie so hoch steigt, können aber Kaninchenbaue oder Maulwurfsgänge den Damm unterspülen helfen (so geschehen in Scharnau 1926). Die Aufzeichnungen über die Eindeichung der Thorner Stadtniederung gehen bis in das 16. Jahrhundert zurück, desgleichen die Meldungen von Überschwemmungen. Die erste ausführliche Beschreibung einer Hochwasserkatastrophe liefert uns Pfarrer Liebelt aus Gurske (1757-1802). Er schreibt: "1786 zu Anfang des Februar wurde hier die Weichsel ganz ohne allen Schaden vom Eise befreyet, da im Gegenteil tiefer unten in der Gegend von Mewe die Dämme durch die Macht des Wassers weggerissen und viele Dörfer unter Wasser gesetzt wurden..." Dann aber fror die Weichsel noch einmal zu und es heißt weiter in dem Bericht: "Den 23. März stand hier noch alles fest. Wir erhielten aber die Nachricht, dass bey der Stadt (Thorn) das Eis in Bewegung sich gesätzt hätte... Gegen Nießewrcie (Nischewke? Nessau?) bis an Gurske sahen wir die fürchterlichste Eisstopfung aufgetürmt... Das Wasser fing vor meinen Augen an immer mehr gegen den Damm heranzulaufen... wider aller Vermuthen goss das Wasser an drey bis vier Stellen über den Damm wohl l/4 Elle hoch weg... ich sehe, dass es bei meinem nächsten Nachbarn mit aller Gewalt in den Garten herein stürzte, die Meinigen waren schon sehr meinetwegen besorgt. Aber mein Nachbar Jacob Heise kam mit dem Kahn, führte uns herüber und brachte uns in Sicherheit. Auf dem Damm hinter der Kirche goss das Wasser auf gleiche Art herüber, so weit wir sehen konnten... Um 10 Uhr des Morgens hatte ich vom Kirchthurm den traurigsten Anblick - alle Häuser tief im Wasser die Länder voll von Eis... Kurz: wegen der Stopfung der Weichsel ging diese völlig ins Dorf." Soweit der Bericht vom Jahre 1786. 1829 richtete Hochwasser in Groß Bösendorf durch "Übertreten der Weichsel" im April großen Schaden an. Der Regierungs-Counducteur Bohlmann aus Thorn stelle totale Versandungen und Auskolkungen an den guten Äckern und Wiesen des Dorfes fest, die durch Dammbrüche entstanden waren. Die größte Überschwemmung in der Thorner Niederung, die an Furchtbarkeit alle früheren übertraf, war die des Jahres 1871. Sie konnte um so weniger gemeistert werden, als alle waffenfähigen Männer eingezogen waren (deutsch-französischer Krieg von 1870/71). Der Amtsvorsteher Marohn gibt folgenden kurzen Bericht von der Katastrophe: "Das Eis der Weichsel hatte sich gegen Gurske bis auf den Grund versetzt. Der Wasserstand betrug 17 Fuss. Am 28. Februar kam die Eisdecke in Bewegung. Das Wasser stieg in einigen Stunden bis auf 26 Fuss. Nachmittags 1/2 1 Uhr erfolgten die ersten Deichbrüche. Trotzdem blieb das Wasser beim Steigen und die Versetzung kam nicht in Bewegung. Am ersten März drohte das Wasser auf den Boden (des Hauses) zu steigen, infolgedessen war ich gezwungen, die Gebäude zu verlassen. Nur mit großer Lebensgefahr und Kraftanstrengung gelang es mir, uns alle auf den Kirchberg zu retten; es war die höchste Zeit, denn gleich darauf wurden unsere sämtlichen Gebäude, welche sich in gutem Zustande befanden, vom Eise fortgerissen." Vorstehender Bericht des Amtsvorstehers kann noch durch die Aufzeichnungen des Pfarrers Dr. Lambeck, Gurske ergänzt werden, in dessen Pfarrhaus das Wasser 1 Meter hoch im Untergeschoß stand und der wegen einer schweren Erkrankung im Bett in die höher gelegene Kirche, getragen werden mußte. Er schreibt: "....Furchtbare Eismassen stürzten in die Niederung und rissen alles mit sich fort, was ihnen entgegenstand. Sämtliche Baumgärten sind theils durch Entwurzelung der Obstbäume, theils durch den Druck der Schollen vernichtet. ... Der Damm ist auf vielen Stellen, so bei der Kirche rechts und links bis auf den Grund durchbrochen, (,die Ausbrüche" waren mehr als 10 Meter tief) eine Menge Schornsteine sind eingestürzt, Scheunen und Ställe fortgerissen, so ganze Gehöfte spurlos von der Erde verschwunden ... Ob Menschen ihr Leben verloren haben, weiß ich nicht, denn alle Kommunikation ist durch das dicht zusammengedrängte Eis aufgehoben, aber es ist leider fast zu befürchten, indem an vielen Stellen Nothfahnen aus den Dächern gesteckt wurden und Nothschüsse getan. Die der Kirche zunächst vorhandenen Besitzer... flüchteten sich mit ihrem Vieh und den Sachen, die sie in der Angst zusammengerafft hatten, hierher auf den Kirchberg. ...Hier sind auf wenigen Quadratruten an Männern, Frauen, Kindern, Einwohnern und Dienstleuten 133 Personen zusammengedrängt, 115 Stück Vieh in meinen und des Lehrers Ställen und in den Vorhallen der Kirche untergebracht. Diese fast alle Lebensmittel entbehrenden Menschen werden von mir und dem Lehrer Lüderitz unterhalten, unsere Vorräthe nehmen aber stark ab, und da wir nirgends auskönnen, weil wir von allen Seiten vom Eise eingekeilt sind, so steht Hungersnot unter uns zu befürchten... So bald es irgend möglich ist, muß uns von Thom mit Heu, Schrot, Salz und Lebensmitteln geholfen werden, lange können wir uns nicht mehr helfen." Durch mündliche Überlieferung wird uns von derselben Notzeit aus Groß Bösendorf berichtet, daß man von dem Duweschen Hof das Vieh auf einen nahen Sandberg getrieben habe, wo Menschen und Tiere unter den Bäumen etliche Zeit kampieren mußten, da der ganze Hof unter Wasser gestanden habe. Im Wohnhaus hatte das Eis einen Baum durch die Fensteröffnung der Wohnstube bis an den Ofen gedrückt, der unter dem Druck eingestürzt war. In allen Räumen stand das Wasser fast zwei Meter hoch. - Auf dem Zudzischen Nachbarhof wurde ein Teil des Viehes mit dem Kahn (jeder Hof hatte seinen eigenen Kahn) aus dem niedriger gelegenen Stall in das Wohnhaus transportiert, das höher lag. Das übrige Großvieh stand teilweise bis an die Knie im durchfluteten Stall im Wasser. In Scharnau hatte sich das Eis zwischen der höher gelegenen Straße und der bewaldeten Höhe aufgetürmt. Als der Ulan George Duwe, ein Bauernsohn aus der Niederung, vom Militär entlassen in die Heimat zurückkehren wollte (er war mit der Ostbahn von Berlin bis Fordon gekommen, war hier über die Weichsel gesetzt worden, hatte dann die Höhe in Richtung Scharnau überquert), versperrte ihm eine riesige Eisbarriere den Weg. Das Wasser war hier abgeflossen, aber die hochaufgetürmten Eisschollen waren liegen geblieben. Erst in stundenlanger, mühsamer Kletterei über die Eisberge konnte D. in das Dorf Scharnau gelangen. Nach dieser schweren Hochwasserkatastrophe wurden die Dämme höher aufgeschüttet und zwar bis auf über neun Meter, gemessen vom Fuß des Dammes bis zur Krone. Diese Maßnahme bewahrte die Dörfer der Thorner Stadtniederung in der Folgezeit vor erneuten Katastrophen. Wie wichtig dabei aber weiterhin die "Dammwache" war, zeigt die Hochwassergefahr im Jahre 1929. Infolge einer stromab liegenden Eisverstopfung stieg das Weichselwasser gegenüber Groß Bösendorf so hoch, daß kein halber Meter mehr fehlte und das Wasser hätte den Damm überspült. Das bedeutete, daß dem Dorf eine Wasserwand von bald neun Metern in einer Breite von ca. zwei Kilometern stand, denn die Weichselwasser hatten das gesamte Land bis an die gegenüber liegenden Höhen von Weichselthal überschwemmt. Wenn das schmale Band des Dammes (er war glücklicherweise gefroren) dem Druck dieser ungeheuren Wassermenge nicht standhielt, drohte ein Unglück großen Ausmaßes. Plötzlich wurde von der Dammwache gemeldet, daß gegenüber dem Besitz des Bauern Herrmann Fritz, also gegenüber der Mitte des Dorfes, sich Sickerwasser im Innendeichabschnitt zeige. Schnell war der Boden hier aufgeweicht, zumal der Frost nachließ. Der Damm drohte unterspült zu werden. Dem alarmierten Dorf gelang es in gemeinsamer großer Anstrengung mit Dichtungsmaterial und Sandaufschüttungen den gefährdeten Dammabschnitt zu reparieren. Das war gerettet, die Niederung vor einer Katastrophe bewahrt. Auch heute noch fließen riesige Wassermengen in jedem Jahr die Weichsel stromab der Ostsee entgegen. Der mächtige Strom bleibt weiterhin von unbändiger Urgewalt. Heinz Krause |
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letzte Aktualisierung: 29.09.2004