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Rathausturm mit Copernicus-Denkmal

Heinz Krause  † 4.3.2001

Erinnerungen an Thorn

Nachlese nach einem früheren Treffen in der Patenstadt Lüneburg

Der Westpreusse, 9/83, Seite 7-8



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Eine freundliche Zusendung von Pfarrer Krause


Die Zahl in blauer eckiger Klammer, z.B.: [23], bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang im Original.




Heinz Krause

[7] "Verwandte ähneln sich", so sagt man. Wir waren fest davon überzeugt. Wir kamen aus Lüneburg und hatten festgestellt, daß Lüneburg uns sehr an Thorn, unsere Heimatstadt, erinnere. Die beiden Städte sind auch verwandt, es sind beides Hansestädte, also sozusagen Schwestern. Hier fanden wir auf engem Raum zusammengedrängt auch die großen schönen Kirchen, die engen Gassen, den großen Markt, die alten Bürgerhäuser ...Wir hatten uns fast wie zu Hause gefühlt.

Wir kamen damals von einem der Thorner Treffen in Lüneburg und waren noch ganz erfüllt von allem Erlebten. Natürlich blieb das Schönste das Treffen mit Verwandten und Bekannten - die Wiedersehensfreude. Aber auch das andere hatte uns beeindruckt: Der Festakt im alten Rathaussaal, der Gottesdienst in der St. Johannis-Kirche, der Lichtbildervortrag mit den Thorner Fotos usw. Jedoch das Wohnen und Spazieren durch die alte Stadt gehörten mit zum Schönsten.

Nun waren wir im Anschluß an das Thorner Treffen noch ein paar Tage in die Heide gefahren und in Bevensen, jenem kleinen Bad zwischen Lüneburg und Uelzen, gelandet. Genau gesagt, lag unser Quartier in Medingen, einem Ortsteil von Bevensen, dicht am Waldrand und ganz in der Nähe des Klosters. Es war so recht ein Ort zum Besinnen und Nacherleben der Dinge, die hinter uns lagen.

Beim Mittagessen in dem freundlichen Hotel saßen wir an einem Tisch, an dem schon ein älteres Ehepaar Platz genommen hatte. Es waren weit gereiste Leute, mit denen wir bald ins Gespräch kamen. Meine Frau und ich bewegte noch immer das Heimattreffen, und so erzählten wir auch davon. Auf einmal wurde der gegenübersitzende Herr stutzig und sagte: "Sie sprechen da immer von Thorn, sagen Sie, ist das nicht die Stadt, in der Copernicus geboren ist?" Ich bejahte das. Darauf das Gegenüber: "Ist dort nicht auch ein Copernicusdenkmal aufgestellt?" Wir erzählten nun von dem Standort jenes Denkmals auf dem Altstädtischen Markt vor dem ehrwürdigen Rathaus. Da unterbrach der Gesprächspartner mit der absonderlichen Frage: "Sagen Sie, wissen Sie, wann das Denkmal dort aufgestellt worden ist?" Da waren wir tatsächlich überfragt. Ich fing an zu raten und meinte: "So um 1860." Der Frager antwortete prompt "Am 25. Oktober 1853." Uns blieb sozusagen die Sprache weg. "Ja", sagte unser Gegenüber, "das habe ich genau behalten, das ist nämlich der Verlobungstag eines meiner Vorfahren."

Nun erfuhren wir folgende interessante Geschichte, die so glücklich in Thorn endete (man hatte sie in der Familie immer weiter erzählt): Der Ahn hatte als Leutnant der Gleiwitzer Ulanen den Auftrag erhalten, die Remontepferde aus Trakehnen in Ostpreußen zu holen. Ein Bekannter, der von dem Auftrag gehört hatte, bat bei dem Ritt durch Westpreußen, in Dwiersno, dem Gut eines Herrn von Hippel einzuschauen und auf dem Rückweg einen Sack mit grauen Erbsen mitzubringen. Dem Leutnant war dieser Zusatzauftrag hoch willkommen, denn es war ein weiter Weg von Schlesien über Posen und Westpreußen nach Ostpreußen, und er mußte da oft um Quartier bitten. Er kehrte auf dem Hin- und Rückweg in Dwiersno (später "Schwiersen" genannt - und bei Kulmsee gelegen) ein. Neben der Gastfreundschaft mit der er aufgenommen wurde, beeindruckten ihn aber auch die hübschen Töchter des Hauses. Nach Gleiwitz zurückgekehrt, wurde ihm klar, daß Laura von Hippel, die eine der Töchter, einen festen Platz in seinem Herzen behalten hatte. Der junge Ulanenleutnant versuchte, nähere Kontakte zu dem Gutshaus in Dwiersno aufzunehmen, bekam aber von den Eltern der Erwählten eine Absage. Finanzielle Erwägungen hatten sich in den Vordergrund geschoben. Wie sollte ein junger Offizier ohne Vermögen eine Familie ernähren? Darauf achtete man damals, zumal der Vater der jungen Dame auch nicht in der Lage war, eine Aussteuer mitzugeben, die diese Sorgen behoben hätte. Die Zeiten waren für die Landwirte nicht immer rosig.

Jedoch, der junge Mann gab nicht auf. Vor allem lag ihm an einem Gespräch unter vier Augen mit dem jungen Mädchen. Dazu war es noch immer nicht gekommen. Das war damals gar nicht so leicht zu arrangieren infolge der herrschenden strengen MoraIgesetze. Er nahm sich vor, unter allen Umständen festzustellen, ob Fräulein von Hippel ihn auch gern habe. Der Zufall kam ihm zu Hilfe. In einer Gleiwitzer Zeitung las er im Sommer des Jahres 1853, daß im Herbst in Thorn an der Weichsel, der Geburtsstadt des berühmten Astronomen, ein Copernicusdenkmal mit großen Feierlichkeiten eingeweiht werden solle. Das erschien ihm als Chance Es war ihm klar, daß eine Stadt ihren größten Sohn bei diesem Anlaß gebührend feiern würde unter Teilnahme weitester Kreise aus Stadt und Land. Dann würde dort auch die Familie von Hippel sein. Es war so. Aber weder am Vormittag noch am Mittag fand sich für den eilends angereisten Offizier Gelegenheit, die junge Dame allein zu sprechen. Erst am Abend beim Festball bot sich eine Möglichkeit. Der forsche Ulanenleutnant bat die Auserwählte, mit ihm den Cotillon zu tanzen. Das ist ein länger andauernder Tanz mit allerlei Überraschungen. Dabei ergab sich die Gelegenheit zu einem Liebesgeständnis und in Erfahrung zu bringen, wie die Partnerin dazu stehe. Und siehe da, das Fräulein von Hippel liebte schon längst den Herrn Leutnant Hänisch, so gestand sie. So wurde der Cotillon bei der Einweihung des Copernicusdenkmals in Thorn am 25. Oktober 1853 die heimliche Verlobung der jungen Leute. Der elterliche Widerstand wurde dann überwunden - wenn auch erst ganz allmählich. Der junge Mann erwies durch seine Tüchtigkeit, daß er sehr wohl eine Familie ernähren konnte und brachte es sogar bis zum Kommandierenden General. Natürlich, solch ein herausragendes Ereignis aus der Familiengeschichte behält man leicht, auch das Datum und den Ort, um so mehr, wenn es sich um eine so schöne Stadt wie Thorn handelt.

Noch einmal an diesem Tage wurden wir in die Gefilde der Heimat versetzt. Vor Abend machten meine Frau und ich einen Spaziergang heraus aus Medingen, um den gegenüberliegenden Wald an der Ilmenau zu durchstreifen. Unvermutet stießen wir auf einen Friedhof, im Kranz uralter großer Bäume gelegen. Wir betreten gerne Friedhöfe, nicht nur um der Stille und Ruhe willen, die man hier vorfindet, sondern auch, um die oft seltsamen Inschriften und Namen zu studieren - an den Gräbern lang gehend. Man lernt auch ein Stück der Gegend und ihrer Bewohner kennen. Auf einmal blieb ich wie angewurzelt stehen: War das möglich? Auf einer großen grauen Granitplatte stand: Hans Hilgendorf 1891-1966. Hier mitten in der Heide? Mein Lehrer am Thorner Gymnasium? Der spätere Direktor der Graudenzer Oberschule? Eine Nachfrage bestätigte es, wenn man auch nicht sagen konnte, warum der Verstorbene hier auf diesem verborgenen Waldfriedhof seine letzte Ruhestätte gefunden hatte. Man wußte nur, daß er zuletzt in Hannover an einem Gymnasium tätig war. Nun, es blieb für mich gleich, ich sah "Professor Hilgendorf" (wie wir sagten) in Thorn. Zuerst hatte ich den allezeit forschen Lehrer in dem eigentlichen Gymnasium in der Strobandstraße erlebt. Er war dann mit uns in den alten Bau in der Bäckerstraße umgezogen. Mir fielen die unvergeßlichen Deutschstunden ein, wie er mit uns Schillers "Wilhelm Tell" las, auch, wie er sagte "setzen", weil ich den aufgegebenen Text nicht ordentlich auswendig aufsagen konnte. "Sacre nom de dieu" hörte ich ihn wettern, wenn unsere Französisch-Arbeiten schlecht ausgefallen waren. Er war streng mit uns, aber wir liebten ihn. Seine Fähigkeiten und seine Gerechtigkeit erwarben unsere höchste Achtung. Das schloß nicht aus, daß wir versuchten, ihn auch, wie wir sagten, "auf die Palme zu bringen". Jetzt war mir zumute, als müßte ich noch Abbitte tun. Aber sicher war er, der große Pädagoge, über unsere Streiche erhaben. Wir verdanken ihm viel und mir war in dieser Stunde an seinem Grabe, als müßte ich ihm das noch alles sagen. Prof. Hilgendorf war eine Persönlichkeit, die einen beeindruckte, aber auch formte. Das werden viele Schüler des Thorner und Graudenzer Gymnasiums mit mir sagen. Noch an dem Grabstein war etwas davon da und führte uns in das Land der Jugend in der geliebten Heimat.

Sehr nachdenklich kehrten wir im Abendsonnenschein in unser Quartier zurück. Es war so, als ob wir an diesem Tage dreimal in Thorn gewesen wären.

Heinz Krause



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© 2000  Volker J. Krüger, heim@thorn-www.de
letzte Aktualisierung: 13.03.2004