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Horst Ernst Krüger:


Die Geschichte einer ganz normalen
Familie aus Altthorn in Westpreussen


kommentiert und um Quellen ergänzt von Volker Joachim Krüger


Diese Seite ist ein Dokument mit einem Kapitel Text

Edith kramt vergilbte Briefe aus

 

Die Zahl in blauer eckiger Klammer [23] bezeichnet in diesem Dokument immer den jeweiligen Seitenanfang in der Originalausgabe, die dem Herausgeber vorliegt.

Hinter dem eröffnen sich genealogische Zusammenhänge in Bezug auf die betreffende Person.

Falls Sie sich den Originaltext, um den es an der so bezeichneten Stelle geht, ansehen wollen, so werden Sie hier fündig.

Mit diesem Zeichen weist der Herausgeber dieses Dokuments auf Bemerkenswertes hin und

mit diesem Zeichen macht er auf Fragen aufmerksam, die sich ihm zu dem jeweiligen Text gestellt haben.

Hier erwartet Sie ein Schwarz-Weiss-Foto und hier eine solches in Farbe.

Und falls Sie mehr über die soKurzbiographie gekennzeichnete Person erfahren wollen, finden Sie hier eine Kuzbiographie.

"Meine Ehe mit Herbert war so prall voll Gefühl, wie es nur Menschen erleben, deren Liebe unerfüllt bleibt. Er wurde zuerst im Nordabschnitt der Ostfront eingesetzt. Die braunen Uniformen der Niederung hatten ihn für abkömmlich erklärt, da sein Vater noch rüstig genug sei, den großen Hof in Pensau zu bewirtschaften. Herbert versuchte in der ersten Zeit mit täglichen Briefen, den landwirtschaftlichen Betrieb, den er nicht nur formal von seinem Vater übernommen, son[190]dern nach seinen Vorstellungen umorganisiert hatte, aus der Ferne weiter zu bewirtschaften. Der Adressat dieser Briefe war ich. Damit übertrug er mir die unternehmerische Verantwortung."

Der siebzigste Brief aus Rußland ist auf den 4. August 1942 datiert.

Meine liebste Ea!

Es ist schon wieder Abend geworden, aber ich will schnell noch Deinen Brief beantworten, sonst hätte ich doch keine Ruhe. Wenn Papa neulich so lange auf Entenjagd war und nur eine mitbrachte, so hatte er wohl Pech gehabt. Sind viele Enten in diesem Jahr, oder ist das Wasser zu hoch? Ich möchte dort auch lieber mal solche Jagd mitmachen. Hier schieße ich ja auch auf alles, was man sieht, sogar auf Sperlinge. Wild ist hier sehr wenig. Ab und zu ist mal ein Hase oder Kaninchen zu sehen, Rehe gar nicht. Vorgestern kam ein Elch heraus, ich konnte ihn aber nicht erwischen. Wie ist es jetzt mit den Wildschweinen?

Inzwischen wird der Melkermeister wohl schon da sein und hoffentlich seine Arbeit gut versehen. Wenn das der Fall ist, dann unterstütze ihn und gebe ihm lieber etwas mehr als zuwenig. Es kann ja als Prämie oder Tantieme angerechnet und im Lohnbuch eingetragen werden, damit nicht irgendwelche Vorschriften verletzt sind. Den Vorschlag mache ich, weil die Anerkennung viel ausmacht.

Daß die Zwischenfrucht so tadellos geworden ist, Grünfutter und Silage gibt, ist erstaunlich. Wenn Du keine Salzsäure bekommst, ist "Amasil" viel besser zum Silieren. Bleibt auch genügend zum Füttern für die Pferde übrig? Eventuell muß ihnen zur Nacht noch Grünfutter gegeben werden. Die Bullen und die Kälber bekommen doch auch Grünfutter?

Was mit der Wicke hinter dem Lakenberg geschehen soll, wird ja Vater am besten beurteilen können. So spät wie in diesem Jahr ist die Ernte auch wohl noch nie gewesen. Ein Glück, daß wir in Pensau mit Maschinen so gut besetzt sind. Da kann ja eigentlich nichts passieren.

[191]Zur Herbstbestellung muß dann schon bei Zeiten alles gut überlegt und besorgt werden. Darum muß ich mich ja eigentlich gar nicht kümmern, oder ist es auch recht, wenn ich es tue? Soweit es möglich ist, laß ich mir die Dinge durch den Kopf gehen, obwohl ich nun bald ein Jahr im Felde bin. Mich interessiert aber noch jede Kleinigkeit, denn ich bin sehr mit der Scholle verbunden. Sie liegt mir so nahe, und es ist die geliebte Heimat, für die man sich ja letzten Endes hier draußen einsetzt.

Du, meine liebe, liebe, gute und beste Ea, sei tausend Mal herzlichst gegrüßt von Deinem Dich so treu und bis in den Tod liebenden Herbert.

"Ich habe Herbert ebenfalls fast täglich geschrieben. Meine Briefe enthielten einen Bericht über die wirtschaftlichen und finanziellen Vorgänge. Meine Gefühle konnte ich nicht so zum Ausdruck bringen, wie ich es eigentlich gewollt hätte."

Pensau, den 27. Oktober 1942

Mein lieber, guter Mann!

Gestern habe ich nur ganz flüchtig geschrieben. Sonnabend kamen Deine lieben Briefe vom 12. und 13. Oktober. Wieviel Liebe und Sehnsucht spricht aus ihnen. Von den Schlummerstündchen und dem Schmusen zehre ich heute noch und sehne mich danach. Ebenso, mein Liebster, nach dem Einkuscheln bei Dir. Es ist alles so leer und kalt. Ich habe oft Deine lieben Zeilen neben mir liegen und schlafe damit ein. Wie groß die Sehnsucht manchmal ist, weißt Du ja, denn es geht Dir genauso wie mir. Ich habe mich Dir ganz geschenkt, Dir gilt mein ganzes Denken, Sinnen und Fühlen. Wie soll es auch anders sein, Liebster.

Es stehen noch vier Briefe von Dir aus. Hoffentlich kommen sie noch an. Das Wetter ist herrlich, wir hatten bisher keine Nachtfröste. Das bekommt den Saaten gut. Wenn es doch noch eine Weile so bleiben würde. Die Zuckerrübenernte ist beendet. Kuhn fängt morgen an, die Möhren zu roden. Ich werde sie alle an das Arbeitsdienstlager in Schmolln liefern. Die Einnahmen des Gemüsebaus waren in diesem Jahr gut. Nur [192] die Gurken und der Kohl haben versagt. Von der Geflügelhaltung habe ich Dir noch nie berichtet, weil ich viel Pech damit hatte. Einige Hühner werden mir fast täglich gestohlen. Auch auf den Nachbarhöfen verschwindet das Geflügel. Die Diebe tauschen es vermutlich gegen andere knappe Waren ein. Ich kann mich manchmal darüber schwarz ärgern. Ich sage mir dann aber immer wieder, daß der Verlust zu ersetzen ist.

Nun, mein Goldchen, möge Dich der liebe Gott behüten und beschützen. Es grüßt Dich in inniger Liebe

Deine Ea.

"Den einhundertdreiundfünfzigsten Brief schrieb mir Herbert am 2. November 1942."

Meine liebste Ea!

Ehe die Essenholer weggehen, will ich noch schnell diesen Brief schreiben. Ich schicke Dir wieder zwei Zulassungsmarken für Pakete. Post wird es hoffentlich heute abend auch noch geben, denn Tante Ju war wieder da. Mir geht es soweit noch immer gut. Das Wetter ist flau und trübe und für die Jahreszeit immer noch recht warm. Wie geht es nun zu Hause?

Wenn es alles gerecht wäre, müßte man uns hier einmal gegen die braunen Helden von der Heimatfront austauschen. Diejenigen, die noch nie an der Front gewesen sind, könnten hier auch einmal vor dem Feinde ihre Kunst beweisen.

Grüße die Eltern und Sybillchen, Dein Dich so liebender Herbert.

"Zu der übermenschlichen Last, die wir infolge des Krieges zu tragen hatten, kam jetzt die Freude über die Geburt unseres ersten Sohnes. Ursula hatte aus diesem freudigen Anlaß an Herbert geschrieben."

Großputz, den 8. November 1942

Lieber Herbert!

Herzlich gratulieren Jochen und ich zur glücklichen Geburt Eures Stammhalters. Mit Euch freuen wir uns, daß Ea einem gesunden Jungen das Leben schenken durfte. Dir wünschen wir besonders, daß es Dir recht bald vergönnt sein möge, mal wieder in die Heimat zu kommen, um Dich mit Ea an Euren bei [193] den Kleinen zu freuen. Zu Muttis Geburtstag war ich wieder einmal in Altthorn und besuchte bei dieser Gelegenheit auch Ea, die man nur bewundern muß, wie tapfer und selbstverständlich sie alles Schwere trägt. Sybillchen ist ein großes Mädel geworden und schon sehr selbständig. Sie hilft mit ihrer so unbekümmerten Fröhlichkeit und frohem Geplapper ihrer Mutti über manche traurige, einsame Stunde hinweg. Von Deinem Ergehen hörte ich von Ea aus Deinen Briefen. Wie hart ist das Ringen und wie unvorstellbar die Strapazen. Auch heute wurde wieder im Wehrmachtsbericht von schweren Kämpfen in Deinem Abschnitt berichtet.

Lieber Herbert, vielmals danken wir Dir für Deinen Brief und freuen uns, wenn Du bei all dem Schweren noch Zeit findest, an uns zu schreiben. Ganz besonders dankt Jochen Dir für das Päckchen Zigarren, die gut ankamen. Die Freude war besonders groß, da in den Tagen die Zigaretten restlos alle waren und die Raucherkarte schon reichlich vorweg abgekauft war.

Nun, lieber Herbert, wünsche ich Dir einen recht baldigen, frohen Heimaturlaub und alles, alles Gute, es grüßen Dich herzlichst

Joachim und Ursula.

"Am 29. Dezember 1942 schrieb ich aus Pensau diesen niedergeschlagenen Brief an Herbert."

Mein lieber, guter Mann!

Langsam und doch so schnell geht dies für uns soviel Unglück bringende Jahr zu Ende. Man fragt sich: Was wird das neue an Schwerem bringen? Auf Glück oder Freude braucht man nicht zu hoffen. Ja, still und dankbar bin ich. Wer weiß, warum man alles dies erleben mußte. Ob es wohl zum Guten war? Es ist mir manchmal, als wenn alles ein schwerer Traum war, dem endlich einmal ein Erwachen folgen muß. So ist jetzt mein ganzes Leben.

Liebster, wie mag es Dir nur gehen. Jetzt haben wir auch auf einmal Frost bekommen. Wie grimmig mag es bei Euch schon sein und dann immer auf dem Sprung und auf dem Posten sein, weder an sich noch an alles andere denken, nur an das eine: "Deutschland muß leben." Sich dazu durchzuringen, muß schwer [194] sein, zumal bei so traurigen Nachrichten von zu Hause. Du hast Dich auf den kleinen Siegfried gefreut. Dein größter Wunsch war in Erfüllung gegangen. Nun ist alles fort, nur die Sehnsucht und das Heimweh bleiben.

"Dieser Brief hat sich mit dem zweihundertsten aus Rußland, den Herbert am 30. Dezember 1942 geschrieben hatte, gekreuzt."

Mein liebes Frauchen!

Heute erreichten mich Deine lieben Briefe vom 18. und 19. Dezember. Leider bekomme ich nun nach all dem Schweren, was Du durchmachen mußtest, noch die Nachricht von Vater, daß es ihm gesundheitlich gar nicht gut geht. Soweit es mir irgend möglich sein wird, will ich Dich in Deiner jetzigen Aufgabe von hier aus seelisch unterstützen, Dir Kraft und Zuversicht zusprechen und Dir dadurch helfen. Was die Wirtschaft angeht, kann ich wenig sagen. Mich interessiert zwar alles sehr, wenn Du es schreibst, aber disponieren und entscheiden wirst Du dort an Ort und Stelle müssen.

Es tut mir leid, daß Dich das Schicksal an einen so schweren Platz gestellt hat. Behalte Deine bisherige Stärke und feste Liebe zu mir und lasse Dich durch nichts erschüttern und beeinflussen. Wenn ich einmal nach Hause zurückkommen werde, ist auf einen Schlag alles behoben. Wir werden wieder glücklich unser Leben weiterleben. Ich werde Dir ewig dankbar für alles sein. Wenn ich Dich nicht hätte, wäre ich auch nicht so kampffähig und widerstandsfähig. Durch Deine so sorgende, große Liebe gewinne ich stets von neuem Kraft, Stärke und Einsatzbereitschaft. Du läßt mich nicht verzagen, und wenn es manchmal noch so aussichtslos und dunkel zu sein scheint. In Deiner großen Liebe, mit der Du mich umgeben hast und in den Briefen laufend von neuem umgibst, werde ich den Kampf bestehen, denn die Trennung läßt uns ja erst das Glück der Liebe voll empfinden und ihren wahren Wert erkennen. Was aus dieser unsrigen Liebe entspringt, will man nicht abgeben und verlieren. Man klammert sich an jedem bißchen fest, und erst recht, wenn es ein lebender Körper ist. Nun geht es aber leider auf der Welt nicht im[195]mer nur so, weil eine höhere Macht über dem Menschenwillen steht.

Da die Eltern für Deine Unterstützung jetzt wegfallen und eine Bewirtschaftung des Betriebes durch Dich allein kaum möglich ist, solltest Du unbedingt einen UK-Antrag stellen. Versuche, was irgend möglich ist. Vielleicht setzt Du Dich zuerst mit Helmut Domke in Verbindung. Der Kreisbauernführer kann auch viel dazu beitragen, daß er genehmigt wird. Du solltest alles unternehmen und Dich nicht so gleich abfertigen lassen. Du kannst Dich doch nicht auch noch kaputt machen, und die Wirtschaft darf nicht zurückgehen. Es sind doch noch so viele da, warum werden denn die nicht eingezogen. Sie könnten doch auch hier draußen an der Front mal etwas beweisen und nicht bloß in der Heimat die große Lippe riskieren. Solange Vater noch da war, Du mehr freier warst, ging es ja. Vielleicht wäre es möglich, mich nach Thorn oder in die Umgebung von Pensau zu versetzen, damit ich Dir mit Rat und Tat zur Seite stehen kann.

Ich wünsche Vater gute Besserung, grüße auch Sybillchen, und verbleibe mit einem Gutnachtkuß,

Dein Herbert.

"Die braunen Uniformen der Niederung und des Landkreises Thorn hatten ihr Opfer an die Front geschickt. Ich war von Pontius zu Pilatus gelaufen, um Herberts Wunsch durchzusetzen. Die Goldfasanen waren natürlich weiterhin an der Heimatfront unabkömmlich. Meine Bemühungen waren alle vergeblich. Die Begründung für meinen Antrag, daß mein Schwiegervater für die Betriebsführung ausgefallen sei, ließen sie nicht gelten. An der Ostfront waren so viele Offiziere der unteren Dienstgrade gefallen, daß dringend Ersatz benötigt wurde. Man schickte Herbert von der Ostfront zum Offizierslehrgang an die Infanterieschule V in Warthelager bei Posen. Dorthin schrieb ich ihm am 21. August 1943 folgenden Brief."

Mein liebster Herbert!

Heute vor fünf Jahren, wie schön schien damals das Leben zu sein. Dann am gleichen Tag vor zwei Jahren der neue Anfang bei Sybillchens Geburt. Es ist ein sehr denkwürdiger Tag.

[196] Jedenfalls, all die Wünsche und Träume eines idealen Ehelebens sind in Erfüllung gegangen. Goldchen, Du hast mich glücklich gemacht, und ich bin stolz darauf, Deine Frau sein zu dürfen. Ebenso lieb wie damals habe ich Dich ja auch noch, wenn nicht noch mehr. Die Liebe hat sich geändert, sie ist viel tiefer und größer geworden durch unsere Ehe.

Nun etwas anderes. Heute wird Milchprämie ausgezahlt. Ich bin gespannt, wieviel es sein wird. Die Schrotmühle soll jetzt wieder entplombiert werden. Heute wird Kalkmergel ausgeladen. Es kommt in diesem Jahr alles schon früher, das ist auch besser so. Der Mohn wird Montag gemäht, und dann wollen wir ihn auch gleich dreschen. Der Arbeitsdienst hat gestern sechzig Zentner Kartoffeln bekommen. Der Roggen hat etwas über sein Hektolitergewicht gewogen. Damit brachte der Doppelzentner nach Abzug der Fracht 18,35 Rm. Das ist ein schöner Preis. So läßt es sich wirtschaften. Ich hoffe doch, daß ich in diesem Jahr wieder etwas zurücklegen kann, denn große Anschaffungen werden wir wohl nicht machen.

Mehl machte mir das Angebot, unsere Lokomobile zu kaufen. Er will sie reparieren und sich dann verpflichten, alles bei uns zu dreschen. Es käme dann ja sowieso nur das längere Dreschen in Frage, denn für die kleinen Sachen werden wir doch wohl Rohöl bekommen. Mir gefiel das Angebot, was meinst Du dazu?

Wie leid tut es mir, daß ich Dir nicht ein Paket zu Sybillchens Geburtstag schicken konnte. Aber wenn es erst Montag weggeht, bekommst Du es bis zu Deiner Abfahrt wohl nicht mehr. Hoffentlich klappt unser Treffen bei Hans-Joachim und Ulla in Thorn oder bei uns in Pensau.

Nun, mein Lieb, sei mir vielmals herzlich gegrüßt und hunderte Mal geküßt von

Deiner Dich so unendlich liebenden Frau.

"Herbert wurde zum Leutnant befördert und an den Südabschnitt der Ostfront versetzt. Die militärische Lage war dort schwierig, seitdem die 6. Armee in Stalingrad als Folge der einzig [197] und allein von Hitler zu verantwortenden Strategie am 2. Februar 1943 kapituliert hatte. Am 24. Juni, wenige Tage vor dem ersten Großangriff der deutschen Truppen an der Ostfront, fand eine Unterredung zwischen Hitler und Baldur v. Schirach auf dem Berghof statt. Schirach hatte Hitler unmißverständlich erklärt, ein militärischer Sieg sei nicht mehr zu erreichen. Infolgedessen solle Hitler den Krieg auf eine andere Weise beenden. Hitler hatte nach diesem Gespräch gesagt, so berichtete später sein Luftwaffenadjudant Nicolaus v. Below: ‚Wie denkt er sich das. Er weiß doch genauso wie ich, daß es keinen Weg mehr gibt, es sei denn, ich schieße mir eine Kugel in den Kopf.'(12)

Von Juli an nahm der russische Druck auf den Südabschnitt zu. Hier kämpften zwei Heeresgruppen, die von den Feldmarschällen v. Mannstein und v. Kluge geführt wurden. Sie hatten von Hitler den Befehl erhalten, das Donezbecken gegen die vorrückende Rote Armee zu verteidigen. Alle deutschen Fronttruppen hatten eine weit unter ihrem Soll liegende Verbandsstärke. Nach einem vergeblichen Angriff und sehr verlustreichen Kämpfen mußte das Donezbecken aufgegeben und eine rückwärtige Hauptkampflinie bezogen werden. Der deutsche Landser, der die militärische Lage klarer sah als das Führerhauptquartier und die Generalstäbe der Heeresgruppen, hatte den Schlachtruf geprägt: 'Vorwärts, Kameraden, wir gehen zurück.' Herbert fuhr an die Front bei Kriwoirog. Er hatte mir am 27. September 1943 folgenden Brief geschrieben."

Mein liebstes Frauchen!

Heute nacht habe ich recht gut auf einem Strohsack in einer ukrainischen Schule geschlafen. Die Stadt, in der ich mich heute befinde, macht einen merkwürdigen Eindruck und ist für uns nicht so selbstverständlich. Ganz weit auseinander gelegene, einzelne, niedrige Häuser aus Lehm oder Stein, alles weiß angekalkt, niedrig und mit rotem Blech gedeckt. Nur ab und zu einige größere Bauten, sonst nur diese kleinen, viereckigen, ganz niedrigen Häuschen. Es sieht so nach Orient aus. Die Bevölkerung ist ukrainisch, arm wie überall und [198] dreckig auch wie überall. Das Land ist ebenfalls weit ausgedehnt, nur mit riesigen Schluchten durchzogen. Der Boden ist ausgezeichnet, nur sehr schlecht bestellt und nicht ausgenutzt. Das ärgert mich am allermeisten, aber dagegen ist scheinbar hier nichts zu machen. Es ist eben Krieg. Aber diese ganze Gegend nach Deutschland versetzt gedacht, wäre wie ein Paradies zu gestalten. Ich schreibe Dir von diesen äußeren Dingen, die mich umgeben, denn Dienstliches darf ich nicht berichten. Meine Reise ist immer noch nicht zu Ende. Vielleicht dauert sie noch einige Tage. Ich bin jetzt rund zweitausend Kilometer von Dir entfernt, aber was ist das schon, die Gedanken sind so schnell, und ich bin genauso bei Dir, als wenn ich sehr viel näher wäre. Heute nacht habe ich schön geträumt, man wollte mich wegen der Herbstbestellung auf vier Wochen nach Hause schicken. Nachmittags geht die Reise wieder weiter. So gondelt man durch die Gegend. Heute abend habe ich einmal etwas anderes essen können als in den letzten fünf Tagen. Nur Brot und Wurst ist nicht das richtige.

Heute vor vier Jahren war mir die Flucht aus der Warschauer Zitadelle gelungen und somit meine Rettung vor einem so frühzeitigen Untergang beschieden. In der Zwischenzeit ist so allerlei passiert. Wir beide hatten viele schwere Tage und Stunden, aber wiederum auch schöne, die ja viel mehr im Gedächtnis haften bleiben. Wollen wir beide immer an diese denken und uns von ihnen tragen lassen. Vielleicht kommen sie wieder, und dann ist diese schwere Trennungszeit auch wieder überbrückt. Leider wird sie diesmal sehr lange sein. Lasse es Dir immer gut gehen, sorge Dich nicht um mich, habe viel Freude an Sybillchen und freue Dich auf unseren nächsten kleinen Sprößling. Pflege Dich nur gut und laß niemals den Kopf hängen, wenn auch mal längere Zeit keine Post von mir kommen sollte. Damit muß man rechnen. Wenn ich Dir nur meine Feldpostnummer angeben, so daß ich auch Nachricht von Dir erhalten könnte. So, nun werde ich für heute wieder schließen. Falls jemand nach mir fragen sollte, grüße immer von mir. Den Eltern erzähle alles, was [199] ich so schreibe und was erzählenswert ist. Meine Liebe für Sybillchen läßt Du ihr sowieso angedeihen. Ich grüße und küsse Dich in unendlich großer und treuer Liebe,

Dein Mann.

"Am dritten Tag nach seiner Ankunft an der Hauptkampflinie trafen Herbert tödliche Kugeln, als er an der Spitze seiner Einheit ein Maisfeld durchkämmte. Sein Grab liegt in Saxagan. Werner und Ursula schrieben mir die folgenden Briefe."

In Rußland, den 26. Oktober 1943

Liebe, arme Ea!

Gleichzeitig mit dem Telegramm über die Geburt unserer zweiten Tochter Astrid erreichte mich die niederschmetternde Nachricht vom Heldentode Deines und unseres lieben Herbert. Ich finde nicht die Worte, um Dir, arme Ea, mein tiefst empfundenes Beileid zum Ausdruck zu bringen. Wenn ich dort sein könnte, würde ich Dir die Hände drücken. Mit welch stolzem Gefühl mag er als junger Leutnant an die Front gegangen sein, und mit welchem Bangen wirst Du seinen Weg dorthin begleitet haben. Doch keiner von Euch wird daran gedacht haben, daß sich das Schicksal so schnell erfüllen könnte. Wie grausam ist doch dieser Krieg, welche Lücken hat er schon in die Reihen unserer Familie gerissen, und wir können doch nur unseren Herrgott bitten, daß er nicht noch mehr von uns fordert. Als letztes Vermächtnis von Deinem Herbert möge Dir das junge Leben, das Du in Dir trägst, neuen Inhalt geben. Wenn Dir auch Dein Herbert unersetzlich ist, so werden Dir doch Deine Kinder, in denen er ja weiterlebt, Trost und Kraft auch in den schwersten Stunden verleihen.

Leb wohl, liebe Ea. Für heute muß ich schließen und hoffe, am Sonntag mehr schreiben zu können.

In tiefer Trauer grüßt Dich

Dein Bruder Werner.

Großputz, den 20. November 1943

Meine liebe Ea!

Still und andächtig gedenken wir am Sonntag all unserer lieben Toten, besonders ehrfurchtsvoll neigen wir uns vor unseren Helden, die ihr junges Leben für unser Vaterland gaben. Schon zum zweiten Male in diesem grausigen Kriege hat unsere Familie ein so großes Opfer [200] bringen müssen. Unvergessen für uns alle sind unser Papa und unser Herbert. Dir, meine liebe Ea, laß in tiefstem Mitempfinden mit Deinem großen Schmerz in Gedanken still die Hände drücken und Dir zur Seite sein, wenn Du in Gedanken einen stillen Heldenfriedhof in den Weiten Rußlands suchst, um Deinem Herbert Blumen auf sein Grab zu legen. Immer wieder bitte ich Gott, Dir Trost und Kraft zu schenken. Sehr oft bin ich in Gedanken bei Dir und möchte so gerne einmal zu Dir kommen und still bei Dir sitzen.

Joachim ist zu einem Lehrgang in Breslau. Ilse Dahlweid ist bei mir und macht draußen die Wirtschaft. Ich bin so froh darüber, denn sonst ginge alles drunter und drüber. Vater Dahlweid geht es gesundheitlich auch wieder gar nicht gut. Da geht Ilse inzwischen auch noch immer nach dem Rechten sehen. In Bendomin muß in Kürze auch eine andere Lösung gefunden werden, denn Vater kann sich nicht mehr um die Wirtschaft kümmern, und Ilse ist nicht zuzumuten, daß sie ihre gute Stelle bei der Pommerschen Saatgutgesellschaft aufgibt.

Dir, meine liebe Ea, und für Dein Sybillchen gute Gesundheit wünschend, grüßt Dich sehr lieb

Deine Schwester Ursula.


 
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© 2000   Volker J. Krueger, heim@thorn-wpr.de
letzte Aktualisierung: 30.07.2004